Film

Die grosse Erbschaft
von Fosco Dubini, Donetello Dubini
CH/DE 2010 | 90 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 34
03.11.2010

Diskussion
Podium: Fosco Dubini, Donetello Dubini
Moderation: Werner Dütsch
Protokoll: Ann Katrin Thöle

Synopse

Ein abgebranntes Haus, ein Schatz und eine Familiengeschichte als Archäologie. Die Dubinis waren aus Italien in das kleine Tessiner Bergdorf gekommen. Das Haus wurde zur Trutzburg in ihrer neuen Heimat. Ein Film über Migration, Integration und Ausgrenzung.

Protokoll

Der Mittwoch steht im Zeichen des Hauses. Das Haus als Lebensraum, als Schutz- und Rückzugsort, als materielle Entsprechung der eigenen Existenz, ein Ding, in dem man Dinge sammeln kann, in dem man schläft, isst, zu Hause ist und manchmal doch nicht.

Die Dubinis haben ein Haus geerbt. Es steht im Tessin, in einem kleinen Bergdorf. Die Großeltern sind damals aus Italien hierher gekommen. Das Dorf ist irgendwie Heimat geworden, aber ganz angekommen ist die Familie hier nie. „Die Dubinis, die sind hochnäsig und stolz“ – das war eines der Vorurteile gegenüber den italienischen Einwanderern.

Zwei Tanten und zwei Onkel sind unverheiratet geblieben und haben bis zu ihrem Tod diese Trutzburg, diese Festung von Haus bewohnt. Danach stand es leer, mit lauter Zimmern, in denen sich seit Jahren und Jahrzehnten nichts veränderte hatte.

Und nun die Rückkehr an diesen Ort. Anlass ist ein Brand im Jahr 2001 (der Vater, der hier noch aufgewachsen ist, bevor er in die Schweiz ging, ist sich sicher, es war der pyromanische Sohn des Nachbarn).

Als die Brüder hinfahren, ist die Kamera einfach dabei, man ist schließlich Filmemacher. So sammelte sich nach und nach immer mehr Material an. Aufnahmen von den Räumen und den gefundenen Objekten, von den seltsamen Verformungen, die das Feuer verursacht hatte. Der Brand schien alles konserviert zu haben, über die Dinge hatte sich eine feine Schicht Asche gelegt. Der Film sei „in Schichten entstanden“, ausgehend von der Chronologie der Ereignisse, an deren Ende der Abriss des Hauses stand.

Diese Schichten haben sich auf die formale Struktur des Films übertragen, es wurden verschiedene Bild- und Tonebenen entwickelt, die sich überlagern, ineinander greifen und verschieben. Diese Art von filmischer Konstruktion ähnelt der früherer Arbeiten der Schweizer Brüder. Dütsch betont die nüchterne Haltung der Filmemacher, deren Blick in die Vergangenheit weder nostalgisch noch sentimental ausfalle. Es wurde ja auch viel gelacht zwischendurch. Fosco mit dem Metalldetektor auf der Suche nach den Silbermünzen usw… Und doch scheine manchmal eine gewisse Trauer durch, ein Bewusstsein über das Ende einer Epoche und eine Art Abschied von einem familiären Erbe, das über die materielle Hinterlassenschaft – das Haus – hinausgeht.

Das Erzählen erhält eine besondere Bedeutung im Zusammenhang mit Erinnern und Reflexion. Den Interviews mit dem Vater, der Cousine und den zwei Söhnen stehen Erinnerungsfragmente und Textbeschreibungen der Filmemacher gegenüber. Diese waren wiederum Vorlage für einen wissenschaftlich anmutenden Text, den Barbara Marx liest. Vor allem das Sprechen des Vaters sticht heraus. Er ist einer der letzten Repräsentanten einer oralen Kultur, die mehr und mehr verloren geht. Die Fähigkeit, Geschichten zu erzählen, die zu Legenden werden. Auf der Bildebene wiederum erzählen die gesammelten Objekte und Überbleibsel vergangenen Lebens ihre eigenen Geschichten. Kleider über Kleider, die gekauft, aber nicht getragen wurden. Im Alltag waren die Schürzen ja viel praktischer. Der Kronleuchter als Zeichen eines bürgerlichen Lebensstils. Viel Nippes, Bettwäsche, Döschen und Kram. „Das vollgestopfte Haus ist wie eine Sprache, deren die Bewohner nicht mächtig sind“. Man könnte auch fragen: „Waren die Dubinis Herr im eigenen Haus?“ Auch der Verweis auf das „Verschwinden der Glühwürmchen“ (Pasolini) scheint Sinn zu machen. Denn DIE GROSSE ERBSCHAFT dokumentiert das Verschwinden einer noch bäuerlich geprägten Gesellschaft mit ihren alten, in erster Linie familiär geprägten gesellschaftlichen Strukturen. In diesem Zusammenhang kommt man auf den Konsumismus der 60er Jahre zu sprechen, all die Statussymbole, die angeschafft werden mussten, um zu zeigen: man ist wer. Alles Zeichen einer Anstrengung – aufsteigen, ankommen, dazugehören. Auch die Bedeutung von Besitz in diesem dörflichen, vermeintlich idyllischen Leben interessiert die Filmemacher. Haus und Hof wurden mit aller Macht verteidigt. Grenzziehungen, Zäune, es gibt das eigene und das Feindesland. Das scheint sich in der eigenen Familie durch die Erfahrung der Ablehnung und das Gefühl, eben doch nicht ganz Teil der Gemeinschaft zu sein, potenziert zu haben. Eigentlich ist es ein archäologischer Film geworden, der fast 100 Jahre Familiengeschichte abhandelt, hinter der aber noch eine weitere Dimension oder Schicht aufschimmert: eine Geschichte dieser Region, dieses Landstrichs, und auch eine über Anpassung, Heimat und Integration.

Ruzicka muss hier eingreifen: nicht, dass bisher nichts besprochen worden wäre, aber nun ist es genug mit dem „Parlando-Ton“ – überhaupt, es ließe sich auch mutmaßen, die explizit süffisant-ironische Erzählhaltung des Films erfülle einen rein rhetorischen Zweck. Aber gut… ihm geht es jetzt noch mal um die Frage nach der (Co-)Autorschaft und um die Demokratisierung der Kameratechnik und was das denn bedeutet für das Bilder machen. Das „Können“ werde dadurch nicht obsolet, so die Dubinis. Aber es lasse ein Spiel mit allzu klaren Kompetenzzuschreibungen zu.

Am Schluss dieser abrupt endenden Diskussion – die Sterne warten – steht eine Feststellung, die im Kontext der aktuellen Integrationsdebatte eine interessante Erweiterung erfährt: Eigentlich waren die Dubinis eine „überangepasste Familie“. Sie haben Strategien des Überlebens entwickelt, geboren aus der Not, in einer feindlichen Umgebung Fuß fassen zu müssen. Vielleicht ist Fosco Dubini auch deshalb irgendwie froh über den Brand.