Film

Ohne mein viertes Kind
von Britta Wandaogo
DE 2009 | 43 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 33
05.11.2009

Diskussion
Podium: Britta Wandaogo
Moderation: Andrea Reiter
Protokoll: Nina Selig

Synopse

Andy arbeitet in der Altpapiersortierung, um seine Familie über Wasser zu halten. Brigitte, seine Frau, muss in Kurbehandlung. Das Jugendamt entzieht ihnen das Sorgerecht für ihr viertes Kind. Andy kämpft. Um das Sorgerecht für die anderen Kinder nicht auch zu verlieren, muss er Opfer bringen. 

Protokoll

Für Andrea Reiter ist Britta Wandaogo ein intensives Portrait in großer Nähe zum Protagonisten gelungen, das von Andys Bemühungen erzählt, die Familie zusammen zu halten, und gleichzeitig auch die Institutionen beschreibt, die eingreifen. Prozesse werden dargestellt, nicht gewertet.

Wandaogo hat bereits 2007 einen Film mit Andy gedreht (1200 brutto), in dem es im Kern um seine Arbeit in der Altpapierpresse ging. Die Entscheidung des Jugendamtes, das vierte, gerade geborene Kind in eine Pflegefamilie zu geben, war damals neu und überraschend. Ohne mein viertes Kind zeigt für Reiter die Odyssee der Familie und Andy, der am Glauben und an der Hoffnung festhält, dass die Familie wieder zusammenkommt. Seine Freundin Brigitte ist für ihn dabei keine Stütze, so Wandaogo. Er ergreife beim Jugendamt das Wort, sie habe nicht die Kraft dazu, funktioniere gerade mal für sich selbst. Brigitte, so Andrea Reiter, wird als die „abwesende Anwesende“ gezeigt.

Zufällige Momente des Begleitens, aber auch bedachte Momente, wie z.B. Andy im leeren Zimmer der neuen Wohnung zu zeigen, der Umgang mit Raum, die besondere Bedeutung, die er durch die Kamera bekommt, machen für Andrea Reiter den Film aus. Wandaogos Arbeitsweise beruht einerseits auf ihrer Intuition und dem, wie sie sagt, glücklichen Umstand, dass Andy seine Gedanken laut vor der Kamera ausspricht. Dies steht im Gegensatz zu den Gesprächen mit seiner Freundin, die sehr konkret und manchmal auch nörgelnd sind. Vertrauen ist für die Regisseurin eine weitere wichtige Voraussetzung für ihre Arbeit. Sie geht nicht agierend an ihre Protagonisten heran, kann sich so auf die Kamera konzentrieren. Andy habe ihr viele Freiheiten gelassen. Brigitte habe sie eher nervös gemacht und Wandaogo hatte das Gefühl, dass sie genervt war von den Dreharbeiten, aber trotzdem nichts gesagt hat.

Die Texttafeln im Film sind, so die Regisseurin auf die Nachfrage eines Diskutanten, ein Kompromiss mit dem WDR. Auf das letzte Bild des Films, ein Familienbild, das erstmalig alle fünf der zusammenlebenden Mitglieder zeigt, angesprochen, erklärt sie, dass für sie „Familie Familie sei“, trotz Andys Ankündigung sich von Brigitte zu trennen. Auf die Frage, wie sie denn an eine „solche Familie“ gekommen sei, antwortet Wandaogo, dass es viele Familien gäbe, in denen sich solche Dramen abspielen, man müsse nur die Augen öffnen und sich im Umfeld umgucken.

Ein Diskutant fragt nach der Szene im Jugendamt und dem irritierenden, direkten Blick der Angestellten in die Kamera. Wandaogo erläutert, dass das Jugendamt auf den Film vorbereitet war, sie sogar die Auflage bekommen hatte, diesen nur realisieren zu können, wenn das Jugendamt in die Mitarbeit einwilligt. Bei dem Gespräch über den Kuraufenthalt von Brigitte hatte Wandaogo nur drei Minuten Zeit, mit der Kamera im Büro zu filmen. Auch wenn die Bilder die Erzählung zu unterbrechen scheinen, hat Wandaogo sie im Film gelassen. Denn die Mitarbeiterin sei „nicht unsympathisch“ und macht die für Wandaogo wichtige Aussage, dass die drei älteren Kinder auf jeden Fall bei Andy und Brigitte bleiben können. Ein Diskutant merkt an, dass durch ihr direktes Sprechen in die Kamera die Zuschauer Andys Position einnehmen können.

Gefragt, ob sie ihren Protagonisten nicht auch vor eventuellen Konsequenzen, z.B. durch das Jugendamt, schützen wolle und deswegen keine Szene zeigt, die in großem Maße die Überforderung Andys dokumentiert, antwortet Wandaogo, dass sie als Filmemacherin Andy gegenüber Verantwortung trägt. Außerdem klinge für sie in einigen Szenen schon an, dass er auch ungeduldig und rabiat sein kann.

Eine weitere Diskutantin merkt an, dass sich neben der Perspektive des Vaters auch unbedingt die der Kinder aufdrängen müsste. Dies bejaht Wandaogo und erklärt, dass es sie auch interessiert habe, wie bestimmte Verhaltensweisen von Generation zu Generation weitergegeben werden und sie deswegen auch Andys Mutter zeigt. In den Gesprächen mit ihr, im Gegensatz zu denen mit Brigitte, findet Andy eine klare Stimme. Ein anderer Diskutant geht ebenfalls auf die Perspektive der Kinder ein und weist auf die Szene hin, in der Kathrin versucht, ihren Vater zu trösten. Wandaogo bildet verschiedene Ebenen des sozialen Raums ab, zu denen auch die der Kinder gehört und ihr Sprechen untereinander. Der Film arbeitet für ihn zudem mit Elementen des Melodrams (z.B. im Blickregime) und er fragt die Regisseurin, auf welche Art sie das Publikum in diese Emotionalität führt. Der Blick der Kamera, antwortet sie, sei für sie nicht auf etwas gerichtet, sondern bei etwas dabei. Dies erreicht sie z.B. durch lange Einstellungen und das szenische Einfangen der vielen Gespräche und Monologe. Gerade bei den Themen, die ihr Film aufgreift, sei die Kamera sehr oft auf die Protagonisten gerichtet und nicht bei ihnen.

Nach einer eventuell geplanten Langzeitbeobachtung gefragt, bezeichnet Wandaogo diese Form als „das Beste was einem passieren kann“. Ihr Interesse an der Entwicklung eines Menschen sei groß. Allerdings gibt es für ein solches Format kaum Sendeplätze.

Nach dem Ablauf der Dreharbeiten gefragt, erklärt die Regisseurin, dass das meiste sehr spontan passiert sei und sie selten wusste, ob z.B. Termine beim Jugendamt anstanden. Die Vorgeschichte Andys würde Wandaogo auch nicht im Rahmen einer Langzeitbeobachtung interessieren. Für sie ist alles ab dem „Jetzt“ wichtig.

Sie ist froh, als Filmemacherin keine Entscheidungsträgerin sein zu müssen, sondern nur dabei sein zu können.

 Andrea Reiter, Britta Wandaogo v.l. © Duisburger Filmwoche, Foto: Simon Bierwald
Andrea Reiter, Britta Wandaogo v.l. © Duisburger Filmwoche, Foto: Simon Bierwald