Film

Loos Ornamental
von Heinz Emigholz
AT 2008 | 72 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 32
07.11.2008

Diskussion
Podium: Heinz Emigholz
Moderation: Werner Dütsch
Protokoll: Torsten Alisch

Synopse

27 Bauwerke und Innenausstattungen des Architekten Adolf Loos in Wien, Paris, Pilsen, Prag. Häuser, Laden- und Wohnungseinrichtungen, Fassaden und Denkmäler aus den Jahren 1899 bis 1931, gefilmt in der Reihenfolge ihrer Entstehung.

Protokoll

Im Frühjahr ist die beste Zeit für architektonische Außenaufnahmen: Eine nahezu hysterische Tierwelt quetscht sich als balzende Vogelstimmen in alle O- Töne, die innen oder außen aufgenommen werden. Die Häuser sind noch von nackten Ästen geschmückt, die sich dann sehr schnell mit sattem Grün füllen und jede noch so künstlerische Bauart zuwachsen.

LOOS ORNAMENTAL ist ein Dokumentarfilm über 27 noch existierende Bauwerke des österreichischen Architekten Adolf Loos: Der Film will keinen „Idealzustand“ dieser Häuser zeigen oder rekonstruieren, sondern ihren Zustand im Moment der Aufnahme (Frühjahr 2006), wo die eigentlichen Bauherren schon lange nicht mehr da sind und die Bauten von „vergangener“ Zeit geschliffen wurden.

Protagonisten dieses Films sind die Räume und Bauwerke, nicht die vielleicht zufällig anwesenden Bewohner, die allenfalls wie geisterhafte Erinnerungen aus den Spuren der „Benutzung“ dieser Bauten erst im Kopf des Zuschauers entstehen. Ohne sichtbare Menschen im Film können wir Zuschauer uns in diese Bauten viel besser hinein-imaginieren und Gedankenräume aufbauen: kombinierte Oberflächen lassen komplexe Bewegungen im Kopf entstehen.

Beim Bau dieser Häuser hat der Architekt eine Lichtdramaturgie entwickelt, die Emigholz zum Drehen ausreicht. Zusätzliches Licht würde auch die Bauten verändern – allenfalls Langzeitbelichtungen von sonst zu dunklen Ecken lässt Emigholz gelten.

Loos plädierte für die Verwendung vielfältigster und vor allem edelster Materialien (statt minderwertiger Ziselierungen oder Überflüssigem). Diese Vielfalt will Emigholz in den Kamerabildern einfangen, auch wenn dazu mal ein Ausschnitt „gekippt“ werden muss: „Aus einem Bild kann ja nichts rausfallen!“ Hingucken, kombinieren, zusammenbringen. Offene Türen und Treppen verbinden die Räume. Durchblicke im Haus. Räume in Aktion. Verschachtelte, komplexe Räume. Und es gibt Beziehungen, zu benachbarten Häusern, zur Außenwelt. Bilder im „Verbund“ machen. Elemente aus einem Bild tauchen in der nächsten Einstellung wieder auf. Ein Raum lässt sich durch das Anschauen rekonstruieren. Dieselben Dinge, aber aus verschiedenen Winkeln gezeigt. So wird auch beim wiederholten Sehen dieser Film immer reicher. Die Gleichzeitigkeit beim SEHEN, die vielfältigen Blickwinkel setzen sich jedes Mal neu zusammen.

Ob man dies als einen „Stummfilm mit Ton“ bezeichnen könne, als Weiterentwicklung frühester Filmtechniken, wird gefragt. Im ursprünglichen Kino wurde ja auch die Welt gezeigt, wie sie „woanders“ aussieht, bejaht Emigholz. Er will diese Räume neu errichten, im Kino: „WIE sehen diese Bauten und Räume heute wirklich aus.“

Wäre dieser Film auch als Foto-Film denkbar, möchte jemand wissen. Emigholz negiert: Die Fotografie zeigt den Bruchteil einer Sekunde und als Standbild nur den Stillstand. In diesem Film aber kann man SEHEN, dass sich um und in den Häusern etwas BEWEGT, und sei es auch nur Luft, die durch die Räume weht.

Und der TON ist natürlich komponiert gewesen: Originalton-Aufnahmen jedes Aufnahmeortes („Jeder Raum hat beim Drehen auch einen bestimmten Ton“) wurden bearbeitet und neu zusammengesetzt.

Der Spielfilm hat in seiner langen Geschichte einen extensiven Gebrauch von Architektur gemacht („Metropolis“, „Caligari“, Antonioni, „Die Hard“, „Das fünfte Element“), aber Dokumentarfilme dazu gibt es kaum. Emigholz will sich in seiner Reihe „Photographie und jenseits“ noch mit weiteren Architekten beschäftigen. Anfang der 90er Jahre hatte er dies als einen großen Essay-Film geplant, nach ein paar Jahren Arbeit wurde ihm klar, dass es wohl eher 35 Filme werden…

„Ein Haus hat allen zu gefallen, ein Kunstwerk niemanden“

– lautet ein Architekten-Credo. Das man aber durchaus ablehnen darf!

[…] Das kind ist amoralisch. Der papua ist es für uns auch. Der papua schlachtet seine feinde ab und verzehrt sie. Er ist kein verbrecher. Wenn aber der moderne mensch jemanden abschlachtet und verzehrt, so ist er ein verbrecher oder ein degenerierter. Der papua tätowiert seine haut, sein boot, seine ruder, kurz alles, was ihm erreichbar ist. Er ist kein verbrecher. […]

Adolf Loos, Ornament und Verbrechen (1908)