Film

Maryvilla
von Filipp Forberg
DE 2007 | 39 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 31
08.11.2007

Diskussion
Podium: Filipp Forberg
Moderation: Gudrun Sommer
Protokoll: Sven Ilgner

Synopse

Die Costa Blanca, eine der größten Tourismusbaustellen Europas. Bilder eines Urlaubsdomizils: Beton in Stein, Luxusvillen mit Bauernstubeninterieur, Baustellen. Keine Urlauber zu sehen. Unerlässlicher Status ist der Swimmingpool, unerlässlich seine Pflege. Im Großen offenbart sich die Eintönigkeit. Schöne neue Welt.

Protokoll

Maryvilla handelt von Tourismus. So wie der vorher programmierte Film Hotel Very Welcome auch. Gudrun Sommer zieht den Bogen zwischen touristischer Sehnsucht in dem Backpackerfilm und dem Niederschlag, den Konsequenzen des Tourismus in Filipp Forbergs Film. Maryvilla ist ein Ort seiner Kindheit, seiner Erinnerung. „Vielleicht mit 12 Jahren“ sei er das letzte Mal zum Urlaub mit den Großeltern dort gewesen. Als er 2006 den Ort dann wieder besuchte, war es ein anderer als der seiner Kindheit. Er kann nicht genau benennen, was die Faszination für ihn ausmachte. Die architektonische Struktur, die Veränderung im Vergleich zu damals, der persönliche Bezug? Das Plenum versucht zu später Stunde, dieser Faszination auf den Grund zu gehen.

Ein Diskutant lobt den Ton und dessen Verwendung im Film als besonders „crisp“, ihn habe es leicht verrückt gemacht, manche Töne so exakt zu hören, den Ursprung des Tons aber nicht genau erkennen zu können. Forberg weist darauf hin, dass alle Bilder mit Originalton und Synchronklappe gedreht wurden. Mit Stereo- und Monomikrofon, um Spielraum bei der Montage zu haben.

Wie es zu dieser Motivauswahl kam, möchte Sommer wissen, wie lief der Prozess der Bildersuche ab? Forberg sei zunächst mit einem Fotoapparat nach Maryvilla gefahren, „das ist aber eigentlich unwichtig!“ Wichtiger war es, den Ort aufzunehmen. Intuitiv, gefühlsmäßig dann zu entscheiden, was plausibel erscheint, um die Faszination einzufangen. Der Ort wirkt statisch, daher sei schnell die Entscheidung entstanden, mit festen Einstellungen zu arbeiten. Minimale Bewegungen bekämen so noch größere Aufmerksamkeit. Als gedreht wurde, standen manche Bilder schon fest, andere kamen spontan dazu. Es war eine Art des Bildersammelns. Dennoch blieb das Drehverhältnis gering. Die intuitiven Entscheidungen schienen sich im Schnitt zu bestätigen.

Barbara Pichler spricht auch von Intuition, sie beschreibt den Bildaufbau, den Umgang mit der Architektur und weist auf viel innerbildliche Dynamik hin. Der Filmemacher bestätigt diese Komposition. Jedes Bild müsse für sich selber stehen können. Abgeschlossen wird der Film mit dem einzigen Nachtbild, einem Stromumspannwerk, dessen Scheinwerfer die Atmosphäre schaffen.

Werner Ruzicka drückt die Wertschätzung für die Zuschauer aus, die er bei Maryvilla gespürt habe. Man müsse sich zunächst an dieses Sehen gewöhnen, den Bildern könne man nicht ausweichen. Er lobt die Länge der einzelnen Einstellungen als genau richtig, um das Bild fertig zu lesen. Dabei weist er auf die Differenz zweier Blicke hin. Die Perspektive und Auswahl des Filmemachers auf solch einen Ferienort und andererseits der eigene, „panoramatische“, weil touristische Blick jedes Zuschauers.

Die Diskussionsteilnehmer versuchen weiter, Forbergs Faszination von Maryvilla zu ergründen. Er spricht auch von zwei Blicken auf den Ort. Selbstverständlich denkt man an Katalog- und Postkartenästhetik. Die Unübersichtlichkeit Maryvillas sollte aber das Thema sein und wird durch die gewählten Blicke bewusst noch gestützt. Gudrun Sommer beschreibt das Wechselspiel der Motive. Monumentale Natur, der Berg, stünde der menschlichen Industrie, der Brücke beispielsweise, entgegen. Sie empfände es als ein „gebautes Paradies.“ Auch das Reinigungs- und Sauberkeitsmotiv habe sie immer wieder entdeckt. Charakteristisch sei die Einstellung der Ameisen, die den menschlichen Müll abtransportieren. Diese Nahaufnahme bezeichnet der Filmemacher im Übrigen als „Riesentotale“ für die Tiere, schließlich seien die Ameisen selber so klein. Forberg spricht von den Poolreinigern, denen auch eine Einstellung gewidmet ist. Deren Sisyphusarbeit, Swimming-Pools regelmäßig zu reinigen, auch wenn sie nicht benutzt würden, ähnele vielleicht den Ameisen in ihrem Staat, die unermüdlich aufräumen.

Die Montage des Films, die Annäherung an den Ort, unterstützt den wechselhaften Eindruck. Von der Peripherie ausgehend, von unten nach oben ginge die Entwicklung. Entsprechend der Philosophie, die Gudrun Sommer in Maryvilla entdeckt habe: Zuerst Bauen, um sich dann im Gebauten zu erholen. Die gebauten Fremdkörper an diesem Ort stehen zur Debatte. Scheinen die Häuser die „Logik des Bergs“ zu imitieren? Forberg geht noch weiter, „die Häuser sind der Berg!“ Es handele sich um eine geologische Umformung, wenn man so will. Die Löcher im Berg weisen daraufhin, dass das Gestein an anderer Stelle benutzt wurde, um solide Häuser zu errichten. Häuser, die sich in diesem Berg verwurzeln. Das Wechselspiel von Innen und Außen ist entscheidend, stellt Gudrun Sommer fest. Fast wirke es, als wären die Menschen in ihren Häusern abgeschirmt. Sie suchten vielleicht sogar Schutz vor dem Ort, den sie besuchten.

Eine Totale des Films bildet ein Blick auf die Häuser und deren Swimmingpools. Ein Labyrinth. Werner Ruzicka nimmt den Begriff des Labyrinths auf. Er erinnert an die Diskussion zu dem Film Das Block (Kolbe/Wright) in dem die beiden Regisseure von einem Haus als einem Tier sprechen. Ruzicka sieht Parallelen zu den Häusern im Berg. Sie würden abstrakt. Man stelle sich vor, die Häuser würden aufstehen, aus dem Berg herausbrechen. Sie würden zu Lebewesen, zu Monstern, die sich gegenseitig überfallen…

Kampf der Häusermonster an der Costa Blanca:

Eine Vorstellung, die sowohl den Regisseur als auch die Diskussionsteilnehmer fasziniert.