Synopse
Ein abgelegener Hof im Kanton Graubünden. Ein Bauernpaar blickt auf ein karges Arbeitsleben zurück. Welche Erinnerungen sind geblieben? Gab es Momente des Glücks? Warum dieses Leben und kein anderes? Ein Film über die Schwierigkeit, etwas in Erfahrung zu bringen. Und ein Film über die Heimat.
Protokoll
Die (immer seltener werdende) Medienunerfahrenheit der Protagonisten
Vor Beginn der Dreharbeiten bestand die Sorge, dass die Stube, in der gefilmt wurde einer Belagerung durch das Filmteam nicht gewachsen sein könnte. Sie kamen nur zu dritt und verhielten sich behutsam. Mit den Dreharbeiten entwickelte Ivo Zen seine Methode, sich den Protagonisten, seiner Tante und seinem Onkel, in der im Film durchgängigen dramaturgischen Form zu nähern. Sie sprechen Rätoromanisch und wurden von seinem Französisch sprechenden Team nicht verstanden. Gedreht wurde auf Super16 und der Filmemacher wollte sparsam mit dem Material umgehen – so war es wichtig, dass er in sehr engem Kontakt zur Kamera blieb.
Während der Dreharbeiten lernte er seine Verwandten ganz neu kennen. Dass sein Onkel, der als kauzig und verschlossen galt, einmal nicht Bauer werden wollte, war für ihn genauso neu, wie dessen tiefere Motivationen zu entdecken. Wenn seine Tante und sein Onkel nicht wussten, wie oder was gerade gedreht wird, wurden sie skeptisch, das musste stets berücksichtigt werden.
Festhalten des Vergänglichen
Der Onkel Ivo Zens zeigt seine Fotos, die er gut gesichert in einer Kammer im oberen Stock seines Hauses aufbewahrt, und erklärt deren Entstehungsprozess. Beeindruckend ist, dass er mit seinen Bildern gegen Vergänglichkeit zu kämpfen sucht. Er zeigt ein Bild, das er heute nicht mehr machen könnte, wie er bemerkt, da das Motiv nicht mehr existiere und er berichtet, dass er immer, wenn er erfährt, dass in seiner Umgebung etwas verschwinden soll, sich beeilt, es noch zu fotografieren. Die Bilder in Großaufnahme in den Film zu integrieren, passte nicht in Zens Konzept des Dialogischen, und er überlegt, dass das Vorenthalten dieser Bilder vielleicht ein bisschen gemein ist…
Das Bewusstsein des Verschwindens und der Vergänglichkeit bestimmt auch den Film von Ivo Zen. Vor einem Monat, anderthalb Jahre nach Drehende, ist sein Onkel verstorben. Den Bauernhof Pizzet wird es wohl in Kürze nicht mehr geben.
Orte der Erinnerung
Wie für Ivo Zen, der seit zwanzig Jahren nicht mehr in dem Tal lebt, viele Orte Erinnerungen bergen, so auch für seinen Onkel und seine Tante. Diese Orte wollte er filmisch festhalten und erkunden, wie sie von Menschen gesehen werden, die immer dort leben. An dem Ort, an dem er seinen Onkel zu dessen unerfüllten Träumen befragt, hätte dieser am liebsten einen Bauernhof gebaut, berichtet Ivo Zen. Er liegt auf der anderen Seite des Tals, direkt gegenüber vom Bauernhof Pizzet. Diesem Ort hat sein Onkel ein Gedicht gewidmet, das er vorträgt. Wie schwer muss es sein, seit dreißig Jahren auf einen Hang zu blicken, an dem man gerne leben würde.
Die Schwierigkeit, Privatestes nach außen zu tragen
Die Eröffnung des Onkels, dass er nicht über seine unerfüllten Träume reden will, dann aber doch beschreibt, was ihn beschäftigt: dass er das Angebot einer Metzgerlehre abgelehnt hätte, weil er keine Tiere töten wollte – das ist für das Publikum schwer nachvollziehbar. Was ist daran so schlimm, dass er es nicht sagen wollte und warum nicht an diesem Ort? Vielleicht wollte der Onkel dem Metzger im Dorf mit der Äußerung, dass er selbst diesen Beruf nicht mag, nicht zu nahe treten, soziale Kontrollen vorausahnend. Hier bleibt eine Leerstelle im Film und für die Zuschauer, obwohl allen klar ist, dass ein Achtzigjähriger mit der Infragestellung seines Lebens nicht so leicht umzugehen vermag, wie vielleicht jüngere Generationen.
Die Frage des Privaten wird auch an Ivo Zen gerichtet. In seinem Film heißt es, dass er versuche, mit seiner Kindheit „Frieden zu schließen“. Der Filmemacher hat als Jugendlicher fluchtartig die Enge des Tales verlassen, wenn er nun an die Orte seiner Kindheit zurückkehrt, kann er die Gefühle von damals abrufen, jene der sozialen Kontrolle eingeschlossen. Erstaunt hat er bei seinen Besuchen festgestellt, dass er den „konservativen Wunsch“ hegt, dass seine Heimat sich nicht verändern soll. Vielleicht geht es ihm darum, nun zu akzeptieren, dass sich das Leben auch dort weiterentwickelt. Und tatsächlich stellt sich für ihn nach so langer Zeit sogar die Frage, ob er in diese Gegend zurückkehren könnte.
Film als Geschichtsschreibung
Die Suche nach den Wurzeln, das Aufsuchen seiner Heimat, eine Annäherung auch über andere Filme mit einer ähnlichen Thematik, diese Fragestellung ist für Ivo Zen erst mit seinem eigenen Filmprojekt wichtig geworden. Sein Film sollte persönlich werden, auf einen Kanon, auf das Fortschreiben nationaler Geschichte bezieht er sich nicht. In der Besonderheit seiner Geschichte liegt die Kraft. (Gleichsam wird sie Teil des Kanons.)
Repräsentationen
Aus dem Publikum wird bemerkt, dass gleich wie in Duisburg auch in Leipzig die Schweizer Filme „Pizzet“ und „Que sera?“ gezeigt wurden. Wie könnte man eine solche Repräsentation und damit Präsentation der Schweiz in Deutschland verstehen? Diese Frage bleibt offen.