Synopse
Andrea Wolf. Protagonistin eines feministischen Martial Arts-Films aus den Achtzigern. 1998 wurde sie als kurdische Terroristin in Ostanatolien erschossen. Aus dem Amateur-Trashfilm wurde ein Dokument. Aber NOVEMBER ist kein Film über Andrea Wolf. Und kein Film über die Situation in Kurdistan. Eine Reflexion über die Gesten der Befreiung nach dem Ende der Geschichte. Sie zirkulieren weiter – als reisende Bilder.
Protokoll
Der November ist die Zeit nach dem revolutionären Oktober. Im November taucht eine neue Form von Terrorismus auf, die mit dessen alter Tradition bricht, sagt der Text im Film. Und – so Vrääth Öhners poetische Überleitung zur Diskussion des Films – diese „Periode des November ist durch Unübersichtlichkeit gekennzeichnet. In der Periode des November beginnen die Bilder zu reisen zwischen Wahrheit und Fiktion.“
(Nur das noch kurz dazwischen – dass ein dekonstruktivistisch arbeitender Film humorfreie Zone sein muss und eine selbstreflexive Position amüsante Diskussionen ausschließt, hat Hito Steyerl eindrucksvoll widerlegt. Eine höhere Form von Intelligenz wohl, bei allem politischen und bildkritischen Interesse auch noch lachen zu können – es gab in Duisburg ebenso Beispiele für das Gegenteil.)
In Hito Steyerls „November“ geht es nicht primär um politische Überzeugungen, sondern um die Gesten und Posen, die damit in Verbindung stehen, um deren Bildmächtigkeit und die Fehler beim Umkopieren und Vermengen ihrer Vorlagen. Um die nebelige Unübersichtlichkeit ihrer Konstruktionen nicht einfach zu wiederholen, werden sie nun selbst in Beziehungen gesetzt. Der Film, sagt der Katalogtext, “reflektiert stattdessen die Gesten der Befreiung nach dem Ende der Geschichte, wie sie in der Popkultur und durch reisende Bilder verbreitet werden.“ Als Popkultur, so Steyerl in der Diskussion, versteht sie „den kollektiven Erfahrungsschatz, den man so im Kopf hat.“
Wie also ist dann der Begriff eines „experimentellen Dokumentarfilms“ zu verstehen, fragt Vrääth Öhner, denn in Steyerls Arbeit erkennt er nicht ein offenes oder chaotisches Spiel, sondern vielmehr eine gesteuerte Versuchsanordnung: „Welcher Frage ist das Experiment in November gefolgt?“ Steyerl stimmt Öhners Interpretation des Experiments, als Steuern, auch als ästhetische Strukturierung zu: „man schafft verschiedenen Versuchsanordnungen, um die Geschichte zu verstehen, um auf Wahrheiten zu stoßen, oder Aussagen zu machen.“ Auf diese Weise wird in „November“ die Fiktionalisierung einer konkreten Person, Andrea Wolf, in verschiedenen Varianten durchgespielt.
Zwei Eckpunkte, so Steyerl, gaben den Anstoß zu ihrem Film und dessen Auseinandersetzung: Zum Einen das Plakat, das Steyerls Jugendfreundin Andrea Wolf nach ihrer Exekution in Kurdistan als Ikone nach Deutschland zurückkehren ließ, und zum Anderen die Präsentation von angeblich den Irak belastenden Bildmaterial durch Collin Powell vor dem UN-Sicherheitsrat. Das Bildmaterial war als Beweis für den Vorwurf von Massenvernichtungswaffen im Irak vorgeführt worden – eben diese Bilder hatten die nachfolgenden Kriegshandlungen mit ausgelöst. „Ich hatte Probleme“, so Steyerl, „mit dem Poster von Andrea, dass sie als Ikone – fast schon als poststalinistische Ikone – zurückkam…Das Bild von Wolf ist letztlich eine Hieroglyphe, also nicht entzifferbar, anders als etwa Che Guevara. Das fand ich sehr irritierend und ich wollte versuchen, dieser Pose einen anderen Kontext zu geben, sie mit Elementen der Populärkultur zu konfrontieren – zum Beispiel Gesten aus Bruce Lee-Filmen in Beziehung zu setzen…Ich wollte die Geschichte einer Geste zeigen, die dem Mythos des aufrecht wandernden Revolutionärs entspricht.“
Aus dem Publikum wird das als eine essayistische Methode gelobt, mit der der Film um die Leerstelle kreise. Ein Problem schien einem Gast lediglich, dass die Kommentare im Film „fast zu viel mitliefern“ würden.
Der Witz, mit dem der Film auf seine Problematik reagiert, wird als intelligente und selbstreflexive Strategie wahrgenommen, die auch das eigene Verhältnis zum Gegenstand, wie das Filmemachen selbst in Frage stellt. Herausragend fand ein Diskussionsgast, dass der Film dabei einen so großen Humor bewahre, der den meisten Dokumentarfilmen, die er in Duisburg gesehen habe, abgehe. Amüsiert beschreibt Steyerl diese Strategie auch als eine Art Zugzwang: „Den Film lustig zu machen, war einfach Notwehr, denn was hätte man mit der Geschichte sonst machen können.“ Es sei auch wichtig innerhalb dessen die eigene Position nicht zu ernst zu nehmen.
Michael Girke hakt daraufhin zur Konsequenz einer solchen distanzierten Position nach: ob, wenn man der Überzeugung ist, dass man bei einer persönlichen Beziehung zum Filmgegenstand immer in Sentimentalität lande, es dann nicht so klinge, als wäre das Persönliche, das Private, nicht mehr die Aufgabe des Dokumentarfilms?
Steyerl aber glaubt nicht, dass es eine Privatheit völlig jenseits des Öffentlichen gibt, sondern dass alle privaten auch immer öffentliche Angelegenheiten seien, auch die Hinrichtung von Andrea Wolf sei eine öffentliche Angelegenheit. Dabei geht es Steyerl weder um private Trauer noch um das Aufklären der „wahren“ Geschichte von Andrea Wolf, sondern um die Bezüglichkeit und Übersetzungsmechanismen von Bildern und ihren Gesten. Zugleich aber heißt dies nicht, dass es unmöglich wäre, Wahrheiten festzustellen und Aussagen machen zu können: „Grundsätzlich gibt es einen Unterschied zwischen Wahrheit und Fiktionalisierung.“
Wie dem Film die Distanz positiv gelingt, beschreibt ein Diskussionsgast: „Der Film ist schnell, frech und sehr rotzig gemacht.“ Das stimmt so auch für Steyerl. In seiner Erzähltechnik, meint die Regisseurin, kommt der Film dem Charakter von Andrea Wolf nahe. Erst im Nachhinein sei ihr klar geworden, dass er auf der Ebene am ehesten die Persönlichkeit ihrer Freundin Andrea Wolf darstellt. Der Schnitt tut das seine dazu. Stefan Landorf, so Steyerl amüsiert, arbeite häufig an Trailern. Bei ihrem Material habe er sich ausgetobt und im Grunde einen Trailerfilm gemacht. Ein Diskussions- teilnehmer fragt sich aber, wer ihn als solchen rezipiere, denn „ich kann mir nicht vorstellen, dass der Film militant wird und nach Kurdistan geht.“ Steyerl fand eben das eine interessante Frage, denn der Film ginge tatsächlich an sehr viele Orte mit militanten Szenen, die dasselbe Problem der bereits beschrieben Problematik des Umgangs mit Bildgesten kennen würden.
Damit stellte sich auch die Frage der unterschiedlichen Distributionswege von Filmen. Steyerls Filme laufen sowohl auf Festivals oder sind etwa im Rahmen der Manifesta zu sehen – durch die „November“ finanziert wurde –, hauptsächlich würde der Film aber in Form von Videokassetten existieren, die weitergegeben werden. In gleicher Weise sei Steyerl selbst auch an die Aufnahmen von Wolf im kurdischen Terroristencamp gekommen.
Ihr Material für das Projekt bezieht sie aus unterschiedlichsten Kanälen – Mainstream wie subversiv Kurioses. So sind u.a. Aufnahmen aus einem KungFu-Film zu sehen, der gnadenlos mit maoistischem Text unterlegt wurde. Den, so Steyerl, verdanke sie dem reichen Fundus des KinoKi-Archivs in Wien, das sonst kaum zugängliches Material in seiner Sammlung habe.
„Die Schere“, wie jemand aus dem Publikum anmerkt, „zwischen der Ikone und der Privatperson Andrea Wolfs wird im Film nicht aufgemacht“ – und sie soll es auch ganz bewusst nicht.
Um halbwegs ehrlich zu sein, ist es für Steyerl unumgänglich, nicht nach der Person Andrea Wolfs selbst zu fragen: „Das einzige, was ich machen konnte, war, mich mit dem Bild von ihr zu beschäftigen, und das sind öffentliche Bilder und nicht ein sentimentaler Zugang.“
Den versuchte ihr, so erzählt Steyerl, ein Fernsehjournalist aufzudrücken, als sie selbst eine Demonstration filmt, in der auch das Plakat der Freundin – auf Tafeln getragen – zu sehen ist. Der Journalist nimmt ihr die Kamera ab, dekoriert Steyerl mit einem Kopftuch und gibt ihr die Anweisung mitzumarschieren und dabei ein betroffenes Gesicht über den Verlust der Freundin zu machen. Da sie ja brav sei und es den Leuten immer recht machen wolle, spielt Steyerl zuerst mit, verlässt aber dann – die Szene zeigt sie auch in „November“ – lachend ihren Posten und läuft aus dem Bild. Die befreundeten Kurden haben sich „schlapp gelacht darüber, dass ich plötzlich als Paradekurdin auf Arte gezeigt werde.“ Den Mut, so ein Gast der Diskussion, auch diese Entlassung aus der Demonstration zu zeigen und damit den Dekonstruktions- prozess auf sich selbst anzuwenden, scheine ihm die Schlüsselszene für den ganzen Film.