Film

Mein Leben Teil 2 
von Angelika Levi
DE 2003 | 90 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 27
05.11.2003

Diskussion
Podium: Angelika Levi
Moderation: Margarete Fuchs
Protokoll: Andrea Reiter

Protokoll

Die Frage nach dem Leben Teil 1 liege auf der Hand, eröffnet Margarete Fuchs die Diskussion.

Weder gebe es einen Teil 1 noch einen Teil 3, erklärt Angelika Levi. Der Titel beruhe in erster Linie auf der für den Film verwendeten Kassettenaufnahme ihrer Mutter, auf der diese über ihr Leben berichte und die mit „Mein Leben Teil 2“ beschriftet sei. Das Fragmentarische wäre eine bewusste Setzung in Bezug auf das fragmentarische Wissen über die Biografie der Mutter. Natürlich könne man den Titel auch als Reflexion über das Leben nach dem Tod ihrer Mutter lesen. Er spiegle auch die Fragmentierung von Lebensgeschichten und den Umgang mit Fragmentierung, Nichtwissen und Leerstellen, mit denen sich der Film beschäftige.

Mit 18 habe Angelika Levi das „Vermächtnis“ ihrer Mutter, ein Papier mit zehn Punkten erhalten, dessen erster Punkt den Film eröffnet (nachzulesen im Programmheft). Erst nach dem Tod ihrer Mutter habe sie das Papier wieder zur Hand genommen und erst mit 35 habe sie den Film begonnen. Das Papier zeige die Sichtweise der Mutter, Geschichte vermische sie mit Biologischem, und als ein Erbe galt für sie die Geschichte von dreitausend Jahren. Für die Regisseurin bedeutete das Vermächtnis sehr viel, und sie sah es als ihr Erbe den Film zu machen.

Es existiert zehn Mal mehr Material als das im Film verwendete. Gut zwei Jahre habe Angelika Levi am Schneidetisch verbracht und sich entschlossen, das gewählte Archivmaterial zu verwenden. In der Rohfassung war der Film dann fünf Stunden lang. Sie sei davon ausgegangen, dass es ihre Geschichte in Deutschland nicht gegeben habe, bei der Sichtung der vielen Selbstdokumentationen der Familie, von denen sie ein Teil war, habe sie gemerkt, dass diese doch existiere. Die jüdisch-christliche Geschichte hatte sie jedoch in ihrer Kindheit nicht mitbekommen. Es sei für sie ein Schmerz gewesen, dass ein Teil ihrer Geschichte fehlte, der weder in der Familie noch sonst irgendwo thematisiert wurde.

Bei der Verdichtung der fünf Stunden versuchte Angelika Levi die Grenze zu erkennen, was die Allgemeinheit interessieren könnte und wo es sich um zu persönliche Momente handle. Der Prozess der Auswahl sei aber doch sehr intuitiv abgelaufen. Sie erkundete, wie über die Geschichte gesprochen wurde oder was verschwiegen wurde, und was im Archivmaterial „fehlte“ – die Leerstellen. Zugleich ging es ihr darum, das Persönliche mit einer politischen Realität zu verknüpfen, das Damals nicht losgekoppelt zu betrachten, sondern in Beziehung zu setzen.

Die Erzählstimme gefiel Margarete Fuchs in ihrer Privatheit sehr gut, sie habe eine direkte Ansprache evoziert. Bewege sich die Regisseurin damit aber nicht auf einem sehr schmalen Grad?

Angelika Levi habe gemerkt, dass ihre Stimme für den Film eine wichtige Bedeutung habe, es sollte aber kein voice over werden, kein Sprechen über Menschen. Sie habe die Texte während des Schneidens entwickelt und aufgenommen, deshalb der unterschiedliche Charakter der einzelnen gesprochenen Sequenzen. Es sollte eine Stimme sein, die ihren Platz einnimmt unter den anderen Stimmen, nicht wertend.

Ihre Mutter und ihre Großmutter seien Geschichtenerzählerinnen gewesen, mit faszinierendem Humor. Gefragt habe sie ihre Mutter über deren Geschichte wenig, doch habe sie die viel stärker interessiert als die Geschichte ihres Vaters. Man könne den Film auch als Hommage an ihre Mutter lesen, die das Verhältnis von Angelika Levi zu ihr beschreibe.

Eine Stimme aus dem Publikum. Der Film biete keine Gelegenheit, ihn schlecht zu finden, er sei nicht angreifbar. Gäbe es etwas, worüber, oder jemandem, mit dem sie sich streiten wollte. Die Suche nach „Streitpunkten“, die sich daraus im Saal entspinnt, bleibt komplett unergiebig. Zurück zum Film.

Die Leerstelle, dass es keinen Raum gegeben habe, über das Jüdischsein und die jüdische Vergangenheit zu reden, kristallisiere sich in der Sequenz mit Rosenthal sehr deutlich heraus und führt zu einer Nachfrage aus dem Publikum bezüglich der verwendeten Fernsehbilder.

Mit der Formulierung von Margarete Mitscherlich, dass erst nach dem Durcharbeiten der Geschichte so etwas wie eine deutsche Identität möglich werden könne, dann aber auch mit den anderen Ausschnitten von Rosenthal, Walser und Knopp habe Angelika Levi verschiedene Formen des Umgangs mit Geschichte und des Sprechens darüber sowie den Wandel dieser Formen in den Kontext der eigenen Geschichte miteinbeziehen wollen. Das verwendete Gespräch mit dem Rabbiner habe sie in den Film aufnehmen wollen, es verweise auf das eigene Hinterfragen des Jüdischseins und darauf, wie sie lebe.

Manche Sätze der Mutter mögen in ihrer Ungeheuerlichkeit stehen geblieben sein, wie jemand aus dem Publikum anmerkt, wie auch alle anderen Sätze für sich stehen würden. Denn es war der Filmemacherin wichtig, niemanden zu kommentieren und die Fragen, die sich daraus ergäben direkt, an die Betrachter des Films weiterzuleiten. Sie selber hatte die Möglichkeit nicht mehr, ihrer Mutter die Fragen zu stellen. In dem Filmmaterial, in dem ihre Mutter Fragen beantworte, habe auch nicht sie die Fragen gestellt, sondern eine amerikanische Studentin für ihre Doktorarbeit. Sie hätte das Gespräch nur begleitet. Die Reflexionen, die beim Sichten dieses Interviews aufgekommen seien, habe sie nicht mehr an ihre Mutter richten können.

Ein Zuhörer im Publikum erkundigt sich, warum die Konfrontation mit ihrer Mutter im Film ausgespart geblieben sei. Es sei ihr Wunsch gewesen, nicht einen Film auf Konfrontationsebene zu machen, sondern die Gedanken ihrer Mutter herauszufinden, wie die Realitäten für sie verknüpft waren, wie sie ihre Krankheit wahrgenommen hatte oder ihre Geschichte. So sei es das Leben, weniger das Überleben gewesen, das ihre Mutter eingefordert habe. Der Zuschauer könne sich die Konfrontationen denken, die im Film nicht vorkommen sollten.

Für Angelika Levi ist die Struktur des Films konzeptionell wichtig, dass das Nachfragen fehlte, dass keine Antworten gegeben wurden. Über die Konfrontation mit Zeiten und mit Beziehungen zwischen den Personen im Film habe sich eine Fragestellung ergeben. Gefühle und Spannungen wollte sie über Bilder darstellen, eine Beantwortung der Fragen wäre zu einfach gewesen.

So habe sie Wege gesucht, das Verhältnis zu ihrer Mutter darzustellen, und zu zeigen, warum sich ihre Mutter gerade so verhalten habe, auch ihr gegenüber.

Der Film sei eine Auseinandersetzung darüber, welche Bedeutung man den Dingen gebe, durch die Prägungen, die man erfahren habe. Die eigene Wahrnehmung, die Identifizierung mit der Mutter wollte sie hervorheben. Dies zu entschlüsseln war ihre Herangehensweise. Es geht Angelika Levi um die Wahrnehmungsmomente. Als ein Beispiel erwähnt sie ein Bild aus dem Film, das entdeckte Sieb mit den Davidsternen.