Protokoll
Wesley Willis ist inzwischen an Leukämie gestorben, und mit den Goldenen Zitronen läuft ein Rechtsstreit. Das sind erst einmal harte Infos, nach einem so liebevollen (sorry für das „Mädchenwort“) Film und dessen alles andere als zynischen Desillusionierungen der Amerika- Tour einer deutschen Kult-Punkband-Band aus Hamburg.
Der Desillusionierungsgestus bleibt auch auf dem Podium erhalten und beginnt mit Werner Ruzickas Einstiegsgag „OK. Ich bin nicht Wesley!“
Ein wenig Warten auf den Cutter Benjamin Ikes, der nicht mehr kam. Und dann ging es los mit der, wie Ruzicka selbst meinte, „sehr üblichen Frage: Wie die Idee kam, einen Musikfilm zu machen?“
Aber am Anfang war nicht der Musikfilm, sondern das Interesse für das Phänomen der Tour an sich: „Ich wollte nie einen Musikfilm machen. Alle Musikfilme, die ich kenne, finde ich so schlecht, dass ich spätestens nach einer Minute abschalte.“ Dann aber wurde Siepmann durch die Erzählungen eines Freundes infiziert, der bei einer Amerika-Tour einer Band dabei war. Dass es die Goldenen Zitronen wurden, mit denen Siepmann auf Tour nach Amerika kam, war reiner Zufall. „Nach 9/11 gab es auch einfach nicht mehr sehr viele Bands, die nach Amerika wollten.“ Die Musik ist für Siepmann ein Transmitter, eine Folie, mehr nicht, und insofern war es seiner Meinung nach gar nicht entscheidend, mit welcher Band er reisen würde, bzw. schien ihm die Idee sogar besser, mit einer Band zu drehen, deren Musik er eigentlich gar nicht mochte. Was nicht zur Folge hätte, dass er die Lemons in seinem Film nicht sympathisch darstellen wollte! (!!)
Eindrucksvoll auch, wenn man erfährt, wie der Film tatsächlich entstanden ist und unter welchen Umständen Siepmann seine Bilder gesammelt hat. Das Arbeitsgerät während des gesamten Drehs „war die billigste Kamera, die zu haben war, eine Sony 900.“ Und ein Zwei-Mann-Team. Umso erstaunlicher die reichen Bilder, so Ruzicka, die vermuten lassen, dass es noch unendlich viel mehr Material gibt von dieser Reise. Der Film aber wurde letztlich in der knappen Zeit von sechs Tagen gedreht. Viele Entscheidungen zu den Szenen und Bildern wurden spontan und intuitiv gefällt, weil kaum Zeit war. Man wusste vor dem Start in Amerika nicht, dass es drei Bands (Willis dürfte eher unter die Kategorie kultverdächtiger Alleinunterhalter fallen) waren, die auf Tour geschickt wurden. 14 Drehtage auf Tour waren geplant, die ersten sieben Tage durfte man aber nicht in den Bus – in dem auch die Lemons saßen. Ab 150 Metern Busnähe begann das Sperrgebiet, das der Manager und gleichzeitige Pfleger von Wesley Willis festgelegt hatte, um seinen schizophrenen Star vor Irritationen zu schützen. Das Konzept, eine gemeinsame Reise zu machen, war damit erst einmal erledigt, und der Druck wurde immer größer, seine Szenen und Bilder gar nicht erst drehen zu können. Kurz vor der Entscheidung abzubrechen dann doch plötzlich die Erlaubnis des Managers, mit in den Bus zu kommen und sogar Interviews mit Wesley zu filmen.
Dazu die Frage von Hilde Hoffmann, ob die Figur Wesleys und dessen Krankheit nicht missbraucht worden sei, um daran entlang die Erzählung des Films aufzubauen? Sah Siepmann nicht so, denn es wäre nach fünf Minuten klar gewesen, dass man an Wesley Willis in dem Film nicht vorbeigekommen wäre. Und um diese Figur näher zu bringen, sei es auch wichtig gewesen, zu zeigen, „welcher Wahnsinn in diesem Hirn abgeht, unter dem der Mann leidet. Das sollte man in dem Film ansatzweise kapieren.“ Nicht den anwesenden Wesley selbst, sondern dessen Manager zu befragen und ihn als Verbindungsglied einzubauen, war die einzige Möglichkeit, das zu vermitteln.
Weitere Fragen kamen zur Gewichtung der Figuren im Film und der Entscheidung, sich bei den Zitronen nur auf die Haupfiguren zu reduzieren. Siepmann: „Wesley aus dem Film raus halten zu wollen, wäre nicht gegangen, die Figur ist zu voluminös und zu skurril, als das man ihr nicht hätte Raum geben müssen.“ Bei den Lemons gab es zwar fünf Musiker, aber mit dreien kam man über das übliche Frage- und Antwortspiel zwischen Filmemacher und Musiker nicht hinaus; also die Entscheidung sich auf die Figuren Schorsch und Ted zu konzentrieren, die tragfähig waren. Dagegen wurden für Siepmann im Lauf der Dreharbeiten aber die beiden jungen Kanadier der Gruppe „Grand Buffet“ , die ebenfalls mit auf Tour waren, wichtig, „weil sie für den Film noch einmal eine völlig neue Dimension aufgemacht haben.“ Siepmann „wollte einen witzigen Film machen“. Das Problem benannte Ruzicka: „Aber die Zitronen sind nicht witzig! (Im Gegensatz zu den Goldenen Zitronen haben die Ärzte, würde ich meine, diesen Grundkonflikt zwischen Punk und Ironie vorbildlich gelöst!)
Aber jetzt endlich zu der unerfreulichen Sache mit den Zitronen (wie wohl uns allen klar ist, dass ihrem ungemeinen Durchhaltevermögen in Bezug auf eine antikapitalistische Systemkritik höchster Respekt gezollt werden muss).
Siepmann: Die aktuelle Situation mit den Zitronen ist schwierig, und man werde sich, trotz aller Vermittlungsversuche, wohl vor Gericht wieder treffen, denn die Goldenen Zitronen finden den Film zwar gut, sehen sich aber im Film falsch dargestellt. Eigenwahrnehmung und Filmbilder klaffen weit auseinander: Sie selbst hatten nämlich den Eindruck die Tour war viel größer, glamouröser, und es hätte mehr Kontakt mit ihrem Publikum gegeben. Vorwürfe der Zitronen: Die wilden Partys und großen Konzerte würden bewusst fehlen, und Siepmann hätte die klassische Rockenrollergeschichte mit den beiden Frontmännern und deren Rivalitätsspielen durchgezogen (was als hierarchisches Prinzip einem wahren Punk natürlich politisch nicht korrekt erscheinen kann). Sicher, so Siepmann, zeige der Film auch, dass das, was sie da gemacht haben, eine Sackgasse ist. Und außerdem haben die Zitronen im Nachhinein ein Problem mit ihren eigenen Aussagen (für das , was man vor laufender Kamera als medienerprobter Mensch sagt, sollte man aber eigentlich selbst zuständig sein).
Ruzickas Vermutungen in Bezug auf den Konflikt ist, dass nicht nur nach Außen hin alles besser, größer und schöner aussehen sollte, sondern der Film in der Gruppe Prozesse und Verschiebungen zeigt, Konflikte und Fraktionierungen, die deren öffentliche Images irritieren. „Nicht zuletzt waren die Mädels (Ruzicka meinte die Groupies) ästhetisch ja auch nicht so…“
Am Ende aber zeigt dieser Streit schlicht etwas, das symptomatisch ist für den Dokumentarfilm.
Als kritischer Zitronen-Fan (?) merkte Jan Verwoert an, dass die in der „Kakteenszene“ doch etwas „zum Kasper gemacht werden.“ Gut fand er aber, dass dies endlich ein Film über die Band ist, der nicht aus deren Umfeld stammt. Der letzte Film zur den Goldenen Zitronen, der von Schorsch selbst stamme, wäre „grauenvoll“. Dennoch frage er sich, was ein angemessener Weg hätte sein können, die Lemons darzustellen. Die Zitronen waren (wieder hochachtungsvoll) von Anfang eine Band, der es nicht ums Geld ging, sondern um Selbstbestimmung und die Macht, eigene Images zu kontrollieren. Siepmann aber versicherte, dass er die Band liebe und sie seiner Meinung auch sympathisch darstellen würde. Sicher stünden sie für das, was sie tun. Wichtig war aber, dass sie da, wo sie waren, in Amerika, fremd waren und vielleicht ist es auch deshalb ein Bild, das etwas anderes zeigt.
Und diese anderen Bilder in „Golden Lemons“ bleiben ein gutes Beispiel für ein Low-Budget- und Kaum-Zeit-Projekt, dem es gelingt, einen Film im Kinoformat zu liefern – das meint Werner Ruzicka und wir mit ihm.
(Ich finde, ihr wart alle wundervoll, Jungs!!!)