Film

Mit Bubi heim ins Reich
von Stanislaw Mucha
DE 2000 | 79 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 24
10.11.2000

Diskussion
Podium: Stanislaw Mucha, Susanne Schüle (Kamera)
Moderation: Rembert Hüser
Protokoll: Judith Keilbach

Synopse

Ludolf Hermann von Alvensleben, genannt „Bubi“, war Generalleutnant der Waffen-SS, Massenmörder und Himmlerfreund. Welche Identitätsprobleme diese Karriere im adeligen Familienclan aufwirft, zeigen die Strategien der familiären Verdrängung. Gebrechliche Verwandte, beflissene Hobbychronistinnen und ein greises polnisches Zwillingspärchen adjutieren Bubis Neffen bei seiner Spurensuche.

Protokoll

Die Verschwisterungsverhältnisse der Familie von Alvensleben sind in Mit „Bubi“ heim ins Reich nicht zu durchschauen, deutlich wird jedoch, wie wichtig den Mitgliedern der Familienverband ist und wie eng die vorgegebenen Strukturen sind. Rembert Hüser interessiert sich zu Beginn der Diskussion daher dafür, wie das Filmteam Zugang zur Familie von Alvensleben erhalten hat. Stanislaw Mucha beschreibt daraufhin aus–führlich, wie er Hubertus von Alvensleben über eine Zeitungsannonce kennengelernt hat: er habe sich gewundert, warum ein junger Deutscher am Ende des 20. Jahr–hunderts polnisch lernen wollte. Aus dem Sprachunterricht sei zwar nichts geworden, doch die Geschichte von Hubertus‘ Familie habe ihn interessiert und zu einer ersten Recherche veranlasst. Schließlich hätten die beiden einen Deal geschlossen: Mucha war für Hubertus in Polen als Dolmetscher tätig und durfte im Gegenzug einen Film über den Versuch drehen, die Vergangenheit der Familie zu erhellen.

Auf Hüsers Frage, ob das Interesse des Regisseurs der familiären Mikrostruktur an sich (Bubi = Vati, Mutti) gegolten habe oder es eher um die spezifische Situation der von Alvensleben gegangen sei, legt sich Mucha nicht eindeutig fest: Einerseits spricht er davon, dass er eine durchschnittliche adlige Familie zeige, zu einem anderen Zeit–punkt der Diskussion ist von den Verdrängungsstrukturen innerhalb von Familien und von der Entwicklung des recherchierenden Protagonisten Hubertus von Alvensleben die Rede.

Rembert Hüser lobt die Entscheidung, dass im Film auf identifizierende Untertitel verzichtet wurde. Im Exposé des Films seien die Pesonen in ihrem Verhältnis zu Bubi noch genannt, erinnert sich Mucha, er habe sich dann aber entschlossen, den Filter wegzunehmen, damit man den Personen unvoreingenommener zuhören könne.

Auf die Frage nach den Schwierigkeiten, sich den Familienmitgliedern zu nähern, beschreiben Stanislaw Mucha und Susanne Schüle einige Drehsituationen.

Rembert Hüser gesteht seine erste Unsicherheit gegenüber dem Film: er sei sich nicht sicher gewesen, ob es sich um ein Fake handle. Er habe begonnen zu recherchieren und sei im Internet auf das Gästebuch von Hubertus gestoßen. Er liest etliche drohende Einträge der Familie vor, die in Bezug auf den Film an Hubertus gerichtet sind. Hüser berichtet von seiner Überlegung, diese Einträge könnten – ähnlich wie bei Blair Witch Project – als geschickte Werbung für den Film platziert worden sein, um die Familie als Publikum heiß zu machen. Mucha erzählt daraufhin von weiteren Reaktionen und Widerständen der Familie. Mehrere Beschwerden und Prozessandrohungen (weil er von einer Person keine Einverständniserklärung über die Veröffentlichung im Film erhalten habe, weil er sich im Abspann für eine Kooperation bedankt, aber auch, weil sich eine Person übergangen fühlte) haben schließlich dazu geführt, dass er aus der Kopie mit dem Skalpell eine Szene herausgeschnitten habe, um weiteren Ärger zu vermeiden. Diese Unsicherheit sei auch ein Problem für die Aufführung des Films: bereits 3 Festivals habe er deshalb absagen müssen.

Befragt nach dem Status der Dokumente, deren Präsentation es nicht erlaubt, die Bio–grafie von Bubi zu rekonstruieren, gehen Mucha und Schüle auf weitere Schwierig–keiten beim Dreh ein. Der Zugang zu den Archiven sei äußerst schwierig gewesen; so hätten sie z.B. belegen müssen, dass Bubi nicht nur eine private Person ist und damit der Familie gehört, sondern es sich um eine historische Person handelt und das Ab–filmen von Dokumenten damit genehmigt sei. In einer Dokumentationsstelle waren die Akten seltsamerweise veliehen, so dass die Vermutung nahegelegen habe, jemand wolle den Film verhindern.

Ein Diskutant kritisiert in diesem Zusammenhang, dass die beschriebenen Recherche– schwierigkeiten nicht im Film thematisiert werden.

Beeindruckt zeigte sich ein Diskutant von der Kameraarbeit, die es schaffe authen–tische Situationen einzufangen.

Unklar sei hingegen der Schluss des Films: ob Mucha mit der Szene, in der Hubertus Verständnis für Bubi zeigt, eine Kritik am Protagonisten üben wollte? Mucha beschreibt daraufhin, welches Ende (im Suff am Grabstein von Bubi à la Ophüls, oder: die Familie betrachtet sich während eines großen Fressens den Film) und wie er sich seinen Protagonisten (Rebell in der Familie à la Vinterberg) eigentlich gewünscht habe. An diese filmischen Referenzen knüpft ein weiterer Kritiker an: Mucha habe sich eben für das Familiendrama (Vinterberg) entschieden, und nicht für einen gesellschaftlich unerwünschten Film (Ophüls). Mucha bekennt sich dazu, sowohl von der Machart als auch inhaltlich sei ihm Festen näher als die Bitterkeit der 68er Einstellung.

Eine Nachfrage zur Filmmusik gab er an den Fragenden zurück: dieser habe das System, mit dem Musik verwendet wird, nicht begriffen.

Abschließend verortet er einen der Zeitzeugen, der bereits vor mehreren Jahren die Spuren von Bubi verfolgt habe, allerdings mit einem moralischen Impetus: Er habe sich damals gefragt, wie es einem international gesuchten Mann möglich war, aus einem Gefangenenlager zu fliehen und in Argentinien unterzutauchen. Dieser Zeitzeuge vertrete im Film die moralische Position; Mit „Bubi“ heim ins Reich habe ihn dement–sprechend eher enttäuscht.