Film

Un ga nai – Bad luck
von Christoph Draeger, Martin Frei, Thomas Thümena
CH 1999 | 44 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 23
02.11.1999

Diskussion
Podium: Christoph Draeger, Martin Frei, Thomas Thümena
Moderation: Jutta Doberstein
Protokoll: Judith Keilbach

Synopse

Japan 1995: Erdbeben in Kobe, Giftgasanschlag in der Tokyoer U-Bahn, 50. Jahrestag des Bombenabwurfs auf Hiroshima und Nagasaki. Die sich überstürzenden Bilder des Films zeichnen das Krisenpanorama eines Landes zwischen Wiederaufbau und Prävention, Trauer und Showbiz.

Protokoll

Ein bildender Künstler, der im Rahmen seines Fotoprojektes Katastrophenorte bereist, entwickelt mit einem Kollegen, der mit dem Medium Film arbeitet, eine filmische Arbeit über japanische Katastrophen (Naturkatastrophen, Atombombenabwurf, Umweltkatastrophe), deren Zahl während der Vorbereitungszeit (1995) weiter anwächst (Erdbeben in Kobe, Giftgasanschlag in der Tokyoter U-Bahn).

Ein freier Abend des japanischen Guides und eine japanisch beschriftete Landkarte führen zur absoluten Verlorenheit der Reisenden ( => geheimnisvolles Japan).

Prinzip Überrumpelung: bewußtes Hinwegsetzen über Höflichkeitsformeln; Anwendung ermöglicht es, an Material für den Film zu kommen ( => wir Japaner).

Wir Japaner: Das Prinzip Überrumpelung ist als „andere Seite der Japaner“ zu verstehen und entspricht eigentlich der japanischen Pragmatik.

Ein Artikel in GEO, der den Titel des Filmes liefert, dessen japanische Autorin den Begriff Un Ga Nai jedoch falsch gebraucht.

Wie es dazu kommt, dass Half Japanese-Fan vom Idol Jad Fair die Musik zu seinem Film bekommt.

Anekdotisch ging es am späten Dienstagabend zu, als zwei Japanreisende vom Dreh ihres Filmes berichteten. Draeger und Frei ließen das duisburger Diskussionspublikum am Entstehungsprozess von der ersten Idee bis zur Fahrt ans Meer teilhaben. Angesichts der vielen Geschichten aus Japan fielen die Erzählungen aus dem Postproduktionsbereich – ‚verkörpert‘ von Thomas Thümena – dann recht kurz aus.

In angenehmer Diskussionsatmosphäre wurde den Anekdoten gelauscht, sich über die Zugänglichkeit der japanischen Kultur unterhalten und die Frage erörtert, ob im Film eine Enträtselung von Zeichen angebracht gewesen wäre. Im Publikum war man sich nicht einig, wie mit der Fremdheit umzugehen sei. Hätte eine Auflösung der Zeichen nicht zur nationalen Identitätskonstruktion geführt? Unterstützt die ausbleibende Enträtselung nicht das stereotype Bild vom geheimnisvollen Japan? Geht es um die Fremdheitserfahrung der Reisenden oder um einen exotischen Blick auf das Fremde? Die statements der Filmemacher variierten: die Strukturierung des Materials sei an der Fremdheitserfahrung der Europäer in Japan ausgerichtet; Japaner und Schweizer seien sich in vielen Eigenschaften ähnlich (Ordnungssinn,Fleiß, Gründlichkeit); es sei während der Reise um ein „touristisches Einlassen“ auf Japan gegangen. Der Frage nach dem Interesse am gesellschaftlichen Umgang mit Katastrophen (Jutta Doberstein) wurde damit der Boden entzogen. An anderer Stelle sprach Draeger jedoch über die psychologische Verarbeitung der Katastrophenerfahrung (fortwährende Simulation im Traum, in Medien, usw.), die er beobachten wollte. Eine Verständigung darüber, ob die Aneinanderreihung von so unterschiedlichen Ereignissen wie Natur-, durch Menschen verursachte Umweltkatastrophen und Kriegshandlungen nicht problematisch sei (Volker Heise skizzierte eine [bundesdeutsche] Umkehrsituation: Mauerbau, RAF und Zugunglück in Eschede) wurde zur späten Stunde ebensowenig erzielt, wie sich das Publikum auf eine einheitliche Lesart des Films festlegen konnte.

Dass in der Diskussion die altbekannte Problematik ‚ethnographischen‘ Filmens und des Umgangs mit ‚dem Fremden‘ nicht angesprochen wurde, mag daran liegen, dass die Ethik vertretenden Herren Un Ga Nai nicht als Dokumentarfilm wahrzunehmen gewillt waren.

„Endlich haben Dokumentaristen Godzilla gedreht“

„Umgang mit der Katastrophe wie im Fernsehen“

– derartige Aussagen und die Plauderatmosphäre im Raum mögen dazu geführt haben, dass der Protokollantin harte Kritikfetzen erst hinterher beim Bier quer durch den Raum zu Ohren kamen.