Film

Mendel lebt
von Hans-Dieter Grabe
DE 1999 | 98 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 23
05.11.1999

Diskussion
Podium: Hans-Dieter Grabe, Carla Sperber (Schnitt)
Moderation: Rembert Hüser
Protokoll: Hilde W. Hoffmann

Synopse

Mendel Szajnfeld hat das KZ Plaszow und zwei Arbeitslager überlebt. Hans-Dieter Grabe ist Mendel 1971 begegnet und erneut im Jahre 1998. Mendel erzählt, damals wie heute, über das, was sich nicht vergessen läßt, und darüber, wie man seine Erinnerungen überlebt. Ein Porträt über die Suche nach Worten für das Unbegreifliche und über den Wandel eines Traumas.

Protokoll

Die Enstehungsgeschichte des Films von Hans Dieter Grabe beschreibt einen langen Prozeß. Im Zuge der Vorbereitungen für eine „breitangelegte Dokumentation“, lernte er Mendel 1971 kennen und beschränkte sein Vorhaben, einen Film über Spätschäden von Menschen, die in deutschen Lagern waren, auf die Arbeit mit ihm. „Szajnfeld war zu dieser Zeit, aufgrund seines schlechten Zustands, nicht arbeitsfähig“. Grabe machte die Reise Szajnfelds von Oslo nach München zu einem deutschen Gutachter damals zum Film. Die filmische Form eines Kammerspiels wurde 1998 dann zum Theaterstück gemacht, das in einem Waggon der französischen Reichsbahn, jeden Abend an einem anderen Bahnhof, inszeniert wird. Diese Inszenierung, so beschreibt Grabe, war erster Anlaß, nach 27 Jahren erneut Kontakt zu Mendel Szajnfeld aufzunehmen. Er „traf einen anderen Mendel“.

Grabe beschreibt den ersten Film, MENDEL SZAJNFELDS ZWEITE REISE NACH DEUTSCHLAND, als ein Grunderlebnis für Szajnfeld, welches ihn auf seinem Weg der mutigen Arbeit am eigenen Leben weitergebracht habe. Mendel hatte damals „einen guten und wichtigen Film ermöglicht“. In der Zwischenzeit hatte er ein Buch veröffenlicht, hielt Vorträge an Schulen und hatte begonnen, Reisen in Konzentrationslager zu begleiten. Mendels Freude an der eigenen Arbeit, „als Selbstbeweis und Widerstand“ sei zentral in beiden Filmen. Grabe beschrieb die große Professionalität, den Wunsch Mendels, ’nützlich zu sein‘ und gute Arbeit abzulegen, sowie die große Anspannung, die diese Arbeit für ihn bedeutet .

Auf Rembert Hüsers Frage, nach den „mächtigen Bildern“ der Eingangszene erzählte Grabe, daß er den Zuschauern die Möglichkeit geben wollte, dem heutigen Mendel bei der Arbeit zuzuschauen. Er wollte „von Anfang an zeigen, welchen Rythmus und welches Erzähltempo der Film haben wird“ und daß „die Zuschauer sich Zeit beim Sehen lassen“ könnten.

Hüsers Frage nach dem Framing des Films, nach den verschiedenen sich überlagernden Schichten der Zeugenschaft und dem „Zeugnisablegen unter Zeitdruck“, gab erneut die Möglichkeit Zeitzeugenschaft zu reflektieren und über die Zitate aus Grabes erstem Film zu sprechen. In MENDEL LEBT ist Szajnfeld „nicht einfach Zeuge oder Objekt,“ sondern wird als „Subjekt seiner eigenen Geschichtsschreibung gezeigt“.

Thomas Rothschild sah in der wütenden Beschreibung Mendels, er wolle sich nicht von anderen sagen lassen, wann genug erzählt sei, die Schlüsselszene des Films: „Was für die Norwegische Reiseleiterin gilt, gilt auch für viele in Deutschland“. Ihn interessierte, ob der Film vor oder nach der Walser Debatte gedreht worden sei. Grabe hatte vorher gedreht und fand, daß „die Wucht der Szene“ auch nichts mit der Walser Debatte zu tun habe.

Die notgedrungene Entscheidung zur eigenen Kameraarbeit heißt für Grabe, „Teil der Szene zu sein“. Diese Entscheidung habe sicher das System des Films beeinflußt: Er sei „ganz offen hingefahren“, „das Nachdenken über das Drehen und das Drehen fielen in eins“. „Es war ein Zusammensein, ein Ausdruck der Wiederbegegnung“.

Die Frage aus dem Publikum, ob er zu keinem Zeitpunkt das Bedenken gehabt habe, daß der Film eine zu optimistische Note habe, beantwortete Grabe mit dem Film: „Die Mitteilung, Mendel ist am Leben geblieben, ist in diesem Film zentral. Der Film verschweigt jedoch nicht das Grauen“.