Film

Die Akte B. – Alois Brunner
von Esther Schapira, Georg M. Hafner
DE 1998 | 115 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 22
1998

Diskussion
Podium: ?
Moderation: ?
Protokoll: Hilde Hoffmann

Protokoll

Die Akte B. – Alois Brunner folgt zwei Ebenen, den Schauplätzen der deutschen Wehrmacht und des Einsatzes Alois Brunners sowie der Chronologie der Biographie des „besten Mann Eichmanns“. Der Anfang des Films will sich der Herkunft Brunners – Familie, Dorf, Schule und Lehrstelle – nähern. Über Stationen und Vorgehen Brunners geben in erster Linie Augenzeugen Auskunft. Als dritter Teil wird die Flucht Brunners, das Totschweigen seiner Verbrechen, die Position der Staatsanwälte und sein Leben in Syrien nachgezeichnet.

Der Film ist ein Prozeß, der in Deutschland nie stattgefunden hat. Zeugenaussagen werden gesammelt, Anwälte und Staatsanwälte kommen zu Wort, Experten erhellen Zusammenhänge. Der Film bietet durch seine profunde Recherche Fakten für die Verurteilung des Angeklagten. Adressen von Augenzeugen der Morde Brunners sowie der Seilschaften, die Brunner nach 1945 schützten – selbst der heutige Wohnort des Massenmörders – werden mitgeliefert.

Esther Schapira und Georg M. Hafner wollten „Täter und Opfer in einem Film zeigen“. Im allgemeinen gebe es Filme über Täter, in denen Opfer nur als Masse gezeigt werden.“

Die Frage Schweizers, warum kein „agressiverer Film“ gemacht worden sei, beantwortet Schapira mit der Erklärung: „Wir hätten einen vordergründig politischeren Film, einen spektakulären Skandalfilm machen können“, ihnen sei jedoch daran gelegen, zu zeigen, „wer Alois Brunner war.“ „Neben journalistischen Anliegen wollten wir ins Gedächtnis rufen, die Spuren Brunners und auch die der Opfer nach 1945 nachzeichnen.“

Marcy Goldberg bemerkte, daß die Autoren mit „dem Film bewiesen haben, daß Juden verfolgt wurden. Das sei nicht nötig, auch bei einem deutschen Publikum nicht – oder vielleicht gerade bei einem deutschen Publikum nicht.“ Auch hier wird die Frage laut, „warum nicht stärker auf den Skandal hingearbeitet wurde“.

Die Entscheidung, den Beginn des Films ins katholische Rohrbrunn – das Heimatdorf Brunners – zu setzen, wurde sehr kontrovers diskutiert: Während Werner Schweizer „Szenen der Komplizenschaft, der Beklemmung und das so bedrückend wirkende Lachen der Dorfbewohner nach der Messe“ positiv beschrieb, fand Margit Eschenbach „den ganzen Anfang unglaublich banal“. Auch Markus Stauff hat sich „sehr lange nicht von dem Intro erholt“. Er kritisiert Klischees von „Dorfbewohnern, die sich nicht artikulieren können“ und findet die „Gegenüberstellung von Idylle und großem Verbrechem plakativ“. Jedoch kennt Esther Schapira „Klischees, an denen etwas dran ist. Es gibt in diesem Dorf unisono die gezeigte Haltung“. Eine Ausstellung über Brunner von Schülern des Nachbardorfes scheiterte an dem geschlossenen Protest des gesamten Dorfes. „Wir wollten seinen Erfahrungshintergrund, seine Welt zeigen, die auch über die Begrenztheit und Brunners Sozialneid erzählt“.

Der Kritik aus dem Publikum, die Mitte des Films hänge „durch die Zeugen durch“, kann Hafner mit der Erklärung, „wir sind in die Breite gegangen, weil ansonsten zum Schluß die Empörung geringer gewesen wäre“, begegnen. Schapira erklärt weiterhin: „Wir haben versucht, einen Prozeß zu führen; Zeugen, wie die Geschwister Hirschmann, die bei einem Mord von Brunner anwesend waren, zu befragen“. „Was einen qualitativen Unterschied zu Eichmann als ʻSchreibtischtäterʼ“ und „eine wesentliche Qualität des Filmes darstellt.“

Aus dem Publikum wurden ebenfalls „zu viele audiovisuelle Effekte“ bemängelt. „Berglandschaften und Kuckucksuhren lenkten eher ab.“ Doch werden „Details wie die Kuckuckuhr benutzt, um Geschichten zu erzählen, in diesem Fall, daß die Geschwister Hirschmann Wienerinnen geblieben, aber seit 50 Jahren auch Amerikanerinnen geworden sind“, was durch die amerikanische Flagge vor ihrem Haus deutlich werde (Schapira).

„Die naive Annahme“ der Autoren, „das wir bei dem Staatsanwalt seit der Aussetzung von 500.000 DM offene Türen einrennen würden“, erwies sich als falsch.

Jegliche Unterstützung der Recherche, z.B. des Journalisten, der Brunner in Syrien interviewte und von Brunner hörte, daß er immer noch stolz sei, „Wien ʻJudenfreiʼ gemacht zu haben“, wurde von Seiten der Staatsanwaltschaft verweigert. Sämtliche BND-Akten sind unter Verschluß“. Auf die Frage Klaus Bredenbrocks, ob eine sozialdemokratische Regierung qualitative Unterschiede der Recherche brächten, bekennt Schapira, daß sie keine „substantielle Veränderung“ erwarte. „Staatsräson ist, daß ein Aufdecken dem Ansehen der Bundesrepublik abträglich wäre“.

Die Empörung und Emotionalisierung des Publikum über die Vergehen und den Mensch Alois Brunners und das Verfahren der deutschen Staatsanwaltschaft bestätigt Die Akte B. – Alois Brunner. Eine Zuhörerin formuliert es als „ein Scheitern des deutschen Staates“. Werner Ruzicka war froh, daß ein solcher und kein anderer Film entstanden ist. „Ihr habt einen guten Film gemacht, weil ihr einen dramaturgischen Film gemacht habt.“ Auch Werner Schweizer ist „nicht entäuscht worden“, er „konnte vertrauen“.

Eine theoretische oder formale Diskussion über den Film wurde nicht geführt. Die inhaltliche Diskussion über das Gesehene stellte keine Fragen nach Möglichkeiten von Erinnerung, Repräsentation und Zeugenschaft oder Fragen nach einer eigenen Bildsprache, die sich in politisch ambitionierten Filmen des Themenkreises Nationalsozialismus und Shoa in den letzten Jahren herausgebildet hat (z.B. Einstellungen auf Wasser/Meer, Schienen, Züge).

Hafner hofft, daß sich etwas bewegt, wenn der Film gezeigt wird. Er sei „gerührt, daß ein 2stündiger Film mit diesem Thema von der ARD gezeigt werde“ (09.12.1998, 23.00 Uhr).

 © Ekko von Schwichow
© Ekko von Schwichow