Film

Nach Saison
von Pepe Danquart, Mirjam Quinte
DE 1997 | 125 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 21
13.11.1997

Diskussion
Podium: Pepe Danquart, Mirjam Quinte
Moderation: Werner Schweizer
Protokoll: Christian Steinhauer

Protokoll

Von ARTE mit einer 35mm Kamera auf den Weg geschickt, hatten sich Pepe Danquart und Mirjam Quinte nach einigen Vorbereitungsreisen von Juli 1994 bis Juli 1996 in Mostar aufgehalten, um Material für NACH SAISON zu produzieren – zwei Jahre Dreharbeit, die dann zu zwei filmästhetisch komplexen Stunden geschnitten wurden.

Im Duisburger Nachspiel zu NACH SAISON hielt man den Ball zunächst flach auf dem Rasen der politischen Entwicklung. Die Einschätzung, so Werner Schweizer, wandle sich im Film von einer anfangs noch optimistischen Haltung zu einem pessimistischen Bild am Ende der Drehzeit, zeitlich verbunden mit der Niederlage des EU-Administrators Koschnik. Pepe Danquart untermauerte diesen Eindruck: eine Lösung der Konflikte in Mostar zeichne sich nicht ab, so lange dort das strukturelle Problem eines Denkens in „SCHWARZ-WEISS“ nicht überwunden werde. Ein Rückzug der internationalen Schutzkräfte ließe jedenfalls das Schlimmste befürchten. Ansätze von zurückgewonnener Normalität in Mostar sah Danquart in der Wiederkehr bestimmter Traditionen, einer größeren Bewegungsfreiheit und einer Alltäglichkeit der Begegnung jenseits der Politik. Grundsätzlich jedoch spiegele sich im Ende des Film jenes Gefühl der Niederlage, das sich nach dem Scheitern von Koschniks Projekt allgemein eingestellt habe, so Mirjam Quinte. Daß man den Film in SCHWARZ-WEISS gedreht habe, stelle den bewußten Versuch dar, eine Assoziation zur Niedergangsstimmung am Ende des Zweiten Weltkrieg herzustellen.

Werner Ruzicka dribbelte nun vorsichtig auf die strukturellen Implikationen bestimmter filmischer Elemente zu: welche Funktion etwa nähme der Fotograf in der Dramaturgie des Films ein? Zunächst einmal habe die „offene Stadt“ Mostar auch eine „offene Dramaturgie“ nahegelegt, so Pepe Danquart, ganz ähnlich wie dies bei Angelopoulos DER BLICK DES ODYSSEUS angelegt sei. Aus der Begegnung mit der Stadt und ihren Bewohnern habe sich dann eine dramaturgische Einteilung in drei Ebenen ergeben: der Fotograf als (stummer) Chronist und alter ego der Filmemacher, dann die Person des Hans Koschnik und schließlich die Stadt selbst. Die Funktion des Fotografen im Film, von Ruzicka vorsichtig kritisiert, stelle sich zwar als artifizielle Figur dar, man habe aber auf ihn zurückgegriffen, weil er in Mostar seit 40 Jahren als Fotodokumentarist arbeite und in beiden Teilen der Stadt gleichermaßen bekannt und respektiert sei. Warum also eine solche Figur ganz neu und „künstlich“ einführen, wenn das beste doch so nahe lag?

Vor dem nächsten Konter ging die Diskussion, vom ansonsten zurückhaltend agierenden Schiri eingeleitet, zunächst wieder in ihre Ausgangsposition. Wie die Filmemacher als Koschniks „Technikteam“ in der Öffentlichkeit wahrgenommen worden seien, wollte Herr Mommartz erfahren? Als „Eingeweihte“ im Vorhof der Macht habe man sowohl ein Angriffsziel dargestellt, gleichzeitig aber über eine gewisse Schutzkraft verfügt. Die Bekanntheit des Filmteams im Ost- und Westteil der Stadt, so Quinte, habe selbst während der brenzligen Koschnikszene vor Angriffen geschützt. Nach dem Anschlag auf Koschnik freilich sei die Situation in der Stadt immer explosiver geworden, eine falsch gestellte Frage hätte möglicherweise fatale Folgen nach sich gezogen.

Aus Sicht des Protokolls kam dann von rechts außen Dynamik ins Spiel. „Merkwürdig distant“ erschien einem Betrachter die Positionierung der Texte im Film – von einer Autorschaft Danquarts und Quintes sei im Film daher nichts zu merken. Nachdem bei der Sichtung des Materials immer mehr Fragen aufgetreten seien, hatte der Freiburger Autor Klaus Theweleit den Text des Filmes geliefert. Theweleit als Experte für die Thematik des Krieges erschien Mirjam Quinte als geeigneter Autor für den Filmtext. Sie jedenfalls möge diesen „starken“ Text, während die ungewöhnliche Stimme des Sprechers, dessen dramatische Diktion, offenkundig vielen Zuschauern Probleme bereite. Handelte es sich bei den filmästhetische Vorgaben letztendlich also nur um eine Frage des Geschmacks? Darüber könne man trefflich streiten, befand Werner Ruzicka, wirklich problematisch erschienen ihm aber die „ästhetischen Überlagerungen“ des Films, mit denen Danquart und Quinte zum einen ihre Autorenschaft aus der Hand gäben und zum anderen die Menschen im Film hinter dem dreifachen dramaturgischen Zugriff verschwänden. Pepe Danquart zufolge spielte Ruzicka mit diesem „knallharten Vorwurf“ nur in der zweiten Liga der Kritik: Festivalleiter Ruzicka spreche mit seiner Kritik offenbar als „Festivalleiter“, argumentierte Danquart. Für das bisherige Publikum des Kinofilms NACH SAISON existierten diese Kritikpunkte jedenfalls nicht. Mit „abstrakten Prinzipien“ werde man dem Film nicht gerecht, da es sich um ein für das Kino, für das Publikum und den Markt produziertes Werk handle. Autorschaft zeige sich gerade im Einsatz von Mitteln, die über die reine Bildproduktion hinausgehen. Thomas Rothschild versuchte dann, die in „subkutanen Spannungen“ begründete Unruhe aus dem Spiel zu nehmen. Ruzickas Kritik ziele auf eine legitime Frage nach der Funktion filmischer Mittel, eine Frage, die sich eben nicht in ein reines Geschmacksurteil auflösen lasse.

Mirjam Quinte rechtfertigte die angewandten ästhetischen Mittel als Möglichkeit der Autoren, einer Gleichförmigkeit der Kriegsbilder und einer konventionellen Berichterstattung etwas „anderes“ entgegenzusetzen. Die eigentliche Arbeit des Films sei am Schneidetisch erfolgt, und die daraus resultierende Dramaturgie sei es, die den Film „hält und dichtmacht“. Herr Mommartz sah in dieser ästhetischen Übercodierung eine Bestätigung der Kritik des Festivalleiters – NACHSAISON sei eigentlich fiction. Die Autoren widersprachen dem nicht grundsätzlich, schließlich führe eine „Dramatisierung der Wirklichkeit“ zu einer fruchtbaren Emotionalisierung beim Zuschauer, dem damit die Botschaft auch „gefühlsmäßig“ und „über den Bauch“ vermittelt werde. Gerade dieser Effekt war einem Herrn aus dem Auditorium unangenehm aufgestoßen. Der Film sei ästhetisch überladen, vor allem durch den Einsatz der Musik kippe er ins „Pathetische“ und „dicke“ damit die gebotene Kost über ein verträgliches Maß hinaus „ein“. Fosco Dubini dagegen scheint einen robusteren Magen zu besitzen: er lobte den Film als „kompaktes und in sich geschlossenes Werk“ und betonte die Qualität einer Autorschaft, die auch darin bestehe, bestimmte Zutaten der Thematik nicht zu beleuchten.

Thomas Rothschild hingegen bemängelte gerade diesen Mut zur Lücke. Im Hinblick auf die „historische Wahrheit“ (Was ist das? Frage des Protokolls) müsse eine Asymmetrie der Darstellung auffallen: die Kroaten erschienen im Film zu einseitig als „Kriegstreiber“. Eine Symmetrie der Darstellung sei nicht so ausschlaggebend gewesen, konterte Quinte. Mit einer Offenlegung der „faschistischen Öffentlichkeit“ der Hardliner im Konflikt komme der Film viel näher an eine historische Wahrheit. Dies bestätigten im übrigen auch die Reaktionen des Publikums.

Nach 45 Minuten schied man unentschieden – aber nach der Diskussion ist ja auf jeden Fall vor der Diskussion.