Protokoll
Wie ist das Ferne, das Unbegreifliche, wie ist der Holocaust zu bebildern?
Welche Bilder, Worte, Texte können zu den authentischen Zeugnissen in Bild und Text- also jenen spärlichen und von der Opfer/Täterschaft ihrer Autoren irreversibel gezeichneten Dokumenten – treten?
Ist die authentische Stimme dem verständlichen (ins Deutsche übertragenen) Wort vorzuziehen?
Welche Selektionen des vorgefundenen Materials- des Buchs und der Tonbänder – sind legitim, und wie legitimieren sie sich?
Die Fragen wurden gestellt, aber nicht beantwortet. Ihre Beantwortung wäre in dieser Grundsätzlichkeit auch nicht der Regisseurin von VIKTORS KREIS abzufordern, sondern von allen am Gespräch Beteiligten wenigstens zu versuchen. Da das nicht geschah, kann an dieser Stelle nur das Scheitern einer Diskussion protokolliert werden.
Anstoß zur kritischen Befragung der filmischen Strategien bildeten einerseits der Umgang mit den Aufzeichnungen Helena Schützowas, deren Tonbandstimme im Film durch eine deutsche Sprecherin ersetzt wurde, andererseits die Illustration dieses und anderer Texte durch Kamerafahrten, Aufnahmen von Grobsteinen auf dem jüdischen Friedhof usw. Heike Kühn befand kategorisch, daß der jüdische Friedhof in Prag, auf dem im 20. Jahrhundert schon niemand mehr beerdigt worden sei, nicht mit der Judenvernichtung in Verbindung gebracht werden könne (im Vermerk, dieser Friedhof sei ein beliebtes Touristenziel bricht sich dann auch der Subtext dieser Äußerung Bahn, mit der Eingeweihten-Wissen dem unterstellten filmischen Tourismus entgegengehalten wird). Logisch wenig einleuchtend und auch nicht weiter entwickelt geht dieser moralisierende Imperativ dann aber in aufbrandenden Artikulationen konträrer Meinungen unter. Meinungen in dem Sinne, daß jeder sich genötigt sieht, einen mit dem Beiwort ’subjektiv‘ abgeschirmten Standpunkt zu markieren. Der/m einen hoben die Nacht-Wanderungen durch Prag eine ungeschönte Projektionsfläche für innere Bilder abgegeben und zu genauem Zuhören angeregt, der/m anderen schienen die Kamerafahrten beliebig, woraufhin eine weitere Stimme Gefallen an der Zurückhaltung dieser ‚Suchbewegung‘ bekundet. Die kühle oder schlichte oder eher konventionelle Inszenierung der Interviews kann man als wohltuend unspektakulär oder als kalt beschreiben – ganz subjektiv, das versteht sich. Die Film-Musik wird von der einen Seite als typische Horrorfilm-Untermalung abqualifiziert, von der anderen als experimentell und ärgerlich empfunden – usw. ad libitum. Die autoritäre Forderung, die Filmemacherin habe erst einmal eine gründliche Auseinandersetzung mit dem Thema nachzuweisen, trägt im weiteren mitnichten dazu bei, daß die referierten Grundsatzfragen auch nur präzisiert, geschweige denn ernsthaft diskutiert würden.
Schon gegen Ende des Gesprächs diagnostiziert ein Zuschauer, VIKTORS KREIS gelte nicht der Beschäftigung mit dem leiden anderer, sondern nur mit dem eigenen· ein Gedanke, der in der Kürze der Zeit nicht mehr ausgeführt werden konnte. Womöglich ist diese Form des Spürbarmachens von ferner Geschichte im Eigenen – der Melancholie, den Bildern oder Nicht-Bildern, die sich finden lassen – Signum der tagtäglich wachsenden historischen Distanz, die sich in die Dokumentarfilm-Geschichte offensichtlich eher sprunghaft einschreibt. Sie wäre dann als zeitbedingte und spezifische Annäherungsform erst einmal zu beschreiben: nicht nur im Rahmen simultan koexistierender Varianten, sondern als Teil eines historischen Prozesses der filmischen Auseinandersetzung mit dem Holocaust. Womöglich sind darin auch Zeichen der Hilflosigkeit oder der Nachlässigkeit zu sehen, über die sich dann ober ebenso sachlich reden ließe.
Daß eine solche Auseinandersetzung über diese und die anderen angesprochenen Themen letzten Endes nicht stattfand, erklärt sich nicht etwa durch ein Aufkochen von Emotionen im Publikum · wie in diesem Zusammenhang erwartbar wäre – sondern durch eine ganz gegenteilige Tendenz: die kühl daherkommende, hypotaktisch-strategisch durchformulierte Selbstprofilierung, die den Holocaust für die eigene intellektuelle Identitätsbildung funktionalisiert. Das ist nicht zulässig und im übrigen weit problematischer als womöglich fahrlässige, womöglich hilflose Versuche, die Geschichte zu bebildern. Auch unter den Stichworten ‚Geschmackssache‘ oder ’subjektive Wahrnehmung‘ vorgetragene Programme- wie dieser Film ‚richtig‘ (wenn auch nur ’subjektiv richtig‘) zu machen gewesen wäre· helfen nicht weiter, da sie monologisch angelegt sind. Der Dialog, der eine Balance zwischen ’subjektivem‘ Bekenntnis – also selbstreferentieller Vereinnahmung des Holocaust – und der Auseinandersetzung mit der ‚objektiven‘ Geschichte ermöglichen würde (sollte), fand entsprechend nicht statt. Daß endlich eine ebenso polemische wie verwaschene Frage wie „Was ist denn der Mensch als solcher?“ den Ausklang der Diskussion bildet, überrascht dann durchaus nicht.
Dieses Protokoll gibt einen subjektiven Standpunkt wieder und ist daher Geschmackssache.