Film

Der Kongress der Pinguine
von Hans-Ulrich Schlumpf
CH 1993 | 91 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 18
12.11.1994

Diskussion
Podium: Hans-Ulrich Schlumpf
Moderation: Constantin Wulff, Werner Ružička
Protokoll: Antje Ehmann

Protokoll

Bevor sich die Duisburger Filmwoche von der roten Plüschsesselgemütlichkeit und dem anschließenden Diskutantentum in ein schweißperlengebadetes Tanzgetümmel warf, zog noch einmal eine klirrende Kälte über die Leinwand: Ihren antarktischen Einzug hielt eine Prozession von kleinen, stolz einherwatschelnden Wesen.

Hans Ulrich Schlumpf läßt einen Kongreß der Pinguine tagen und fährt somit sich und das Publikum in eine schillernde Welt zwischen Fiktum und Faktum, auf eine. Traumreise in die Eiswüste. Der Träumer, menschlicher Protagonist des Films und Dolmetscher der Pinguine, wird im Zickzack vom Kongreß der Pinguine zu exemplarischen Orten der Antarktis geführt. Er passiert Überreste einer längst vergessenen Walfängersiedlung, eine verlassen-rostige Industrieanlage, die ein altes Kino birgt, das Auskunft gibt über die ehedem mörderische Ausrottungspraxis von Grytviken. Dann plötzlich schiebt sich die Hochtechnologie eines Forschungsschiffes durchs unermeßliche Eis, surreal eingefangen und doch dokumentarisch. Wiederum ein Schnitt durch Ort und Zeit und man befindet sich auf einer Eiskernbohrstation, Ort eines Forschungsvorhabens, angesichts dessen man der Ironie der Geschichte kaum noch Ironie abzutrotzen vermag. Denn in diesem Gebiet, eines der wenigen, auf dem der Mensch ansonsten aufgehört hat, sein Wesen zu treiben, wird an Bohrkernen abgelesen1 wie sich die menschliche Naturzerstörung ins tiefste, antarktische Eis einschreibt. Die mah-nende Botschaft der Pinguine, deren Vorfahren zur Walfischverabeitung in Öfen verheizt wurden, die Menschen mögen gefälligst verschwinden, liegt auf der Hand und dem Träumer am Herzen.

Da die ,Botschaft‘ des Films so einsichtig wie deutlich war, stand nicht so sehr das Was und Worum des Filmes im Zentrum der Debatte, sondern das Wie seiner Inszenierung. Besprochen wurde also vornehmlich die durch die spezifische Themenaufbereitung sich ergebende Haltung des Films, sowie einige seiner kompositorischen Aspekte. Eine altbewährte Dynamik strukturierte dabei den Diskussionsverlauf: Die erste Wortmeldung nahm sich kritisch aus, was den Rest der Redner/innen – (eine Ausnahme in Parenthese) – dazu veranlaßte, entlang einer Klimax von „langweilig“ – „keine Langeweile“ – „sehr spannend“, ein etwaige Kritik am Film zu entschärfen. Zu erhörten versucht wurden die Voten im wesentlichen mit thematischem Bezug auf die Fabelform und den Kommentar als die wesentlichen Konstituentien der Haltung und Wirkung des Films: Vielstimmiges lob erfuhr die gelungene und sorgsam aufbereitete Mischung der Genres von Tierfilm und Expeditionsbericht. Ob sich der Film summa summarum durch einen charmant· ironischen Unterton oder eine dann doch die Nerven strapazierende Larmoyanz auszeichne, war einer der wenigen Punkte, an denen sich die geneigten Zuschauer schieden. Insgesamt fand man, daß der Film die durch die gewählte Fabelform drohende Klippe des allzu Didaktischen und Moralischen, gut gemeistert habe. Durch geschickt montierte Verfremdungs- und Verschiebungsverfahren und die mitunter hieraus resultierenden mystisch-magischen Elemente föhre der Film immer wieder zu Überraschungen, gerade in den Momenten, wo man befürchtet habe, daß eine allzu simple Gegenüberstellung vom unschuldigen Tier und bösen Mensch in eine allzu gefällige Reduktion von Komplexität münden wird identifiziert wurden derartige Spannungsmomente z.B. in der eben doch gelungenen Kontrastierung des durch das Schiff symbolisierten, anthro-pozentrischen (Umwelt)Bewußtseins mit der Perspektive des Tiers, symbolisiert durch den Kongreß der Pinguine. Mit dem Stichwort „der Filme ziehe keine gedankliche Dreckspur“ wurde dem Regisseur das wohl eleganteste wie wertvollste Lob gereicht. Nach einigem Hin und Her, ob sich die im Film gestellte Schuldfrage moralisch aufblähe oder nüchtern, quasi thermodynamisch (nichts bleibt ungesühnt) veranschauliche, lenkt Schlumpf die Frage in die Faktische Perspektive des Nicht-Anders-Könnens: Der Mensch könne nicht mehr unschuldig durch die Welt huschen; angesichts des Stands unseres Wissens und unseres Vermögens zu wissen, kämen wir einfach nicht darumherum, Verantwortung zu übernehmen!

Eine leise Einschränkung des Befunds einer gelungenen Gratwanderung bezog sich auf den Kommentar, der ja eigentlich ein sich poetisch-literarisch gebender Monolog war. Einigen Zuschauern ging die traumwandelnde, vielleicht allzu gewollte Intensität des Monologs dann doch zu weit. Die sonst durchgehend zu goutierende Sorgfalt des Films käme dem Kommentar leider nicht zu gute. Werner Ruzickas Mund entflog ein „onkelhaft“, was eine Zuschauerin darin zu begründen sah, daß sich eine derart breit angelegte Intensität weder vom Film, noch vom Zuschauer über die Länge durchholten ließe. Der sich sympathisch offen und unprötenziös gebende Schlumpf, dem man abnahm, daß er „insbesondere zum Monolog nicht die nötige Distanz aufbringen könne“, meldete an, darüber noch nachdenken zu wollen. Mit einem Schlußplädoyer für die Verabschiedung des realistischen Dokumentarfilmbegriffs ging die Diskussion ihrem freundlichen Ende entgegen. Man wünschte dem Kongreß der Pinguine, an dem in der Schweiz sage und schreibe 75.000 Menschen teilzunehmen das Vergnügen hatten, auch im deutschen Kino seinen verdienten Erfolg. Daß auch der Dokumentarfilm kinogeeignet sei, dies einzulösen war das erklärte Ziel des Pinguin-Films, unterstrich Schlumpf mit einem sich gegen eine schubladendenkerische Trennung von Filmgenres aussprechenden Godard-Wort: „Ein Film ist ein Film ist ein Film“ – und man strebte dem nächsten entgegen.