Film

Balagan
von Andres Veiel
DE 1994 | 96 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 18
09.11.1994

Diskussion
Podium: Andres Veiel, Hans Rombach (Kamera), Bernd Euscher (Schnitt)
Moderation: Werner Ružička
Protokoll: Peter Rehberg

Protokoll

Werner Ruzicka versucht den schwierigen Einstieg in die Diskussion, die sich vor ollem als Dialog zwischen Regisseur und Moderator entspinnt, mit dem Stichwort der „emotionalen Kompaktheit“ des Films, verbunden mit der Frage an Regisseur Andres Veiel, ob sich eben diese als dominierender Aspekt der Rezeption

auch bei wiederholter Sicht des eigenen Materials noch einstellt. Dahinter verbirgt sich die Skepsis, ob gegenüber diesem Stoff und seiner Bearbeitung überhaupt eine (aufklärerische?) Distanz zu gewinnen sei. M.a. W.: Wie soll man über Balagan (hebräisch soviel wie produktives Chaos in Kopf und Bauch) vernünftig sprechen, wenn die Sinne verwirrt sind?

Veiel gelang das Sprechen mühelos; er war bei der Vorführung nicht anwesend, hier in Duisburg.

Doch das Chaos fängt nicht nur den Blick, sei es der des Regisseurs oder der des Publikums, ein. Verwirrungen und Kontroversen stiftete Balagan auf allen denkbaren Ebenen der Produktion und Rezeption. ln diesem Austausch wandelt sich das Produkt unaufhörlich. Dabei ist das dokumentarisch aufgezeichnetes Theaterstück „Arbeit macht frei“ eine „Säule“, die über verschiedene Blickwinkel, seien sie innerfilmisch oder außerfilmisch ihre Konturen verändert. Ein diskursiver Schnittpunkt historischer, biographischer und politischer Bezüge, der kontextabhängig diversen Verschiebungen übergeben ist und durch jeweils aktuelle politische Ereignisse wieder erneut aufgeladen wird. Veiel verfolgte die Metamorphosen seiner Arbeit aufmerksam und bewegt sich zwischen den Feldern angreifbar und souverän zugleich. Souverän, insofern er sich den kontroversen Effekten seiner Arbeit aussetzt, angreifbar, weil in dieser Lage keine Steuerung mehr denkbar ist.

Für den Moderotor stellte sich hier die Frage noch dem Ort des Regisseurs zwischen Naivität und Verantwortung, angesichts dieses Themas.

Metaphorisch spricht Veiel von einer Reise in der Achterbahn, zwischen Beschleunigung und Bremsung, bei der auch die eigene Geschichte nicht auf der Strecke bleibt, sondern vielmehr zum Anlaß der Begegnung wird, auf dieser Achterbahnfahrt. Auf die Reise ging auch dieser Film.

Auf den Festivals in Israel erfuhr der Film zu 90% Ablehnung, anders als das inszenierte Stück selbst; er wurde als Einmischung in innere Angelegenheiten empfunden: Go home!

Anlaß des Protestes war weniger die Thematisierunng des Holocaust, z.B. wenn die Schauspielerin Modi von Horst Wessel-Liedern schwärmt und den Regisseur dabei nicht weniger provoziert als das Publikum, wenn sie sich mit diesem „blasphemischen“ Tabubruch gegen die „Erinnerungsdiktatur“ namens „Holocaust“ stellt.

Skandalen aus israelischer Sicht war vielmehr die Figur des Khaled, des Palästinensers unter den Schauspielern, der nachdem er bei den Dreharbeiten als Verräter beschimpft worden war, gegen eine Vorführung des Films in Israel plädierte. Mit ihm komme es zu einer Analogisierung von palästinensischem und jüdischem Schicksal und damit zu einer Relativierung der israelischen Tragödie, wurde dem Deutschen vom israelischen Publikum entgegengehalten. Veiel wehrte sich gegen den Vorwurf der Analogisierung mit dem Hinweis darauf, daß sie formal viel einfacher durchsetzbar gewesen wäre. Es versteht sich vielmehr als Grenzgänger. D.h. ober auch: einer, der die Grenzen verletzt.

Unsicher ist das Terrain nicht nur politisch, sondern auch kulturell Arabisch (und hebräisch auch nicht?) wurde nicht verstanden. Die Kamera folgt eher instinktiv der Emotionalität bzw. Aggression der Situation.

Es wird noch einmal die Frage aufgeworfen, ob die Hochspannung des Films („220. Volt“) nicht gerade durch die dokumentarische Kamera, die dem Geschehen auf den Leib rückt, potenziert wird, während die reale Theateraufführung sicherlich mehr Möglichkeiten der Distanzierung erlaube. Entsteht die Suggestivität des Stoffes also erst in dieser dramatischen Überhöhung?

Hans Rombach wendet ein, daß die körperliche Eindringlichkeit kein bloßer Effekt der Kameraführung sei, sondern ebenso bei den fünf- bis sechsstündigen Theatervorführungen erlebt werden könne. Die Kamera folge hier der Zuschauerperspektive. Im Kinosaal wiederhole sich die Taubheit des Theaterraumes, nach dem Ende des Spektakels. Und, so fügt der Regisseur hinzu, vielleicht gebe es auch eine zeitlich verzögerte Reaktion auf das Stück, d.h. auf den Film, die sich in der unmittelbar anschließenden Diskussion noch nicht artikulieren kann.

Doch den strapazierten Zuschauern böten sich für beide Medienereignisse, Film wie Theater, auch Momente der Entspannung. Den Musik- und Essenspausen während der Aufführung korrespondierten die einmontierten Landschaftsaufnahmen im Film.

Doch ganz stumm, entrückt oder betäubt ist das Diskussionspublikum, entgegen den Annahmen, nicht. Ein Gast stellt die berechtigte Frage, welches Interesse dieser Film für Deutschland denn habe, und weist auf die Möglichkeit einer analogen Betrachtung einer Konjunktur des Themas „Holocaust“ in Israel und Deutschland hin. Tabuisierung in den 50er Jahren, Aufbrechen dieser Struktur in den 60er Jahren und Einleitung der Gedenkrituale in den 70er und 80er Jahren. In dieser Perspektive könnte die in Balagan dokumentierte Theaterarbeit als therapeutischer oder exorzistischer Versuch, im Modus der ironischen Blasphemie aufgefaßt werden. Reiht sich damit die Theatergruppe aus Akko nicht in einen Normalitätsdiskurs „Israel“ ein ?

Veiel erwidert, daß die Analogie der Rezeptionsgeschichten hinke und Balagan in Deutschland vor ollem im Kontext mit Schindlers Liste und der Fernsehserie Holocaust betrachtet werden müsse.

Aber noch einmal: was bedeutet der Film für die deutsche Auseinandersetzung? Und auch hier kreist die Debatte um den Palästinenser.

Das Problem liege sicher vor allem in einer denkbaren Rezeption in der Weise, daß die Figur des Kahled als Entlastung funktionieren könne.

Darüber hinaus habe die Debatte in Deutschland bisher vor allem Hilflosigkeit gezeigt. Auch wurde die Forderung noch Zensur laut, insofern der Film als Katalysator für eine revisionistische Geschichtsschreibung dienen könne, so Veiel.

Werner Ruzicka wiederholt die ursprüngliche Frage noch der emotionalen Disposition der Zuschauenden. Doch aus dem Publikum wird die Kategorie “ Emotionalität“ an den Regisseur zurückgeschickt, insofern möglicherweise der Prozeß der Entlastung schon auf der Ebene der Produktion mit der heimlichen Schwerpunktsetzung auf die Figur Kahled stattgefunden hat. Wird nicht eine Verschiebung bewirkt und Kahled im israelischen Kontext paradoxerweise zum „ewigen Juden“?

Selbstkritisch nimmt Veiel diese Frage auf und wiederholt sie als eine andere: was wäre der Film ohne den janusköpfigen Kahled?

Vom Podium wird noch einmal nachgehakt: Trotz der Ambivalenz, die dem Film eingeschrieben ist und die sich je nach Aufführungsort verlagert, welches ist die intentionale Richtung, wenn hier davon die Rede ist, daß ein Ritual des Gedenkens aufgebrochen werden soll?

Veiel findet eine merkwürdige Antwort:

Im Osten Deutschlands wäre bei diesem Film eine stark biographisch-historische Lesart verbreitet, die das Scham/Schuld-Raster aufbreche, indem z.B. Bezüge zum Stalinismus gezogen worden sind. Der Film ermögliche die Reflexion der eigenen Geschichte.

Eine ästhetische Debatte entzündet sich schließlich zum einen an der Filmmusik (Klaus Nomi), zum andern am Schlußbild. Eine christliche Pieta, die dem Film einen abschließenden Abschluß beschert? Jedoch: diese Marie trägt ein vampiristisches Gebiß, und diesem Christus bleibt die Erlösung versagt. Diese Störung bleibt im Schlußbild. Ein Schlußbild immerhin gestört, aber keine Ikone.

Und dann kommt einmal, sehr spät, ein eindeutiges Lob zum Film. Engagement, Schwierigkeit aber auch Hoffnung seien die bleibenden Eindrücke. Und eine andere Stimme fühlte sich an einen Ort jenseits eines Betroffenheitstourismus ‚versetzt, der durch Betroffenheitszwang jede Betroffenheit unmöglich macht.

Diese werde mit dem Film aber schließlich möglich.