Film

Leben – BRD
von Harun Farocki
DE 1990 | 83 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 14
15.11.1990

Diskussion
Podium: Harun Farocki
Moderation: Christa Blümlinger, Dietrich Leder
Protokoll: Judith Klinger

Protokoll

Über institutionelle Therapie
Ansatzpunkt für „Leben – BRD” war die Faszination am Rollenspiel, wie sie den Dokumentaristen ergreift, der sonst auf abgeleitete Darstellungen verwiesen den Ereignissen hinterherhinkt. Im Sozio- und Psychodrama dagegen werden die Dinge auf Begriff und Verlauf gebracht. Die unvermeidbare „Unterschwingung Therapie“ sei ihm erst beim Sammeln des Materials aufgefallen, sagte Harun Farocki; keine der Schulungen, Übungen, Spielszenen vermittle ernsthaft Sachinformation, selbst die Entspannungsübung der Stripperin hat therapeutische Funktion. Ist also das Leben am Ende doch eine Beschäftigungstherapie bis zum Tode ? Farocki sieht seinen Film als Beitrag zur Beschreibung verschiedener Paradoxa : Während gesellschaftliche Prozesse immer unüberschaubarer werden veranstalten zahllose Grüppchen eine gigantische Inszenierung, deren Zweck im permanenten Ober-Ausdruck, Im Sich-bewußt-werden besteht. Während das Selbst im vorfabrizierten Leben der vollendeten Stereotypisierung entgegengeht wird zugleich nach immer mehr Selbstverwirklichung verlangt.

Das Leben in der BRD: eine Versammlung unterschiedlichster Therapie-Orte, Ausdruck einer Gesellschaft, die sich für den Ernstfall erprobt (Christa Blümlinger) -und zugleich wird die Therapiefähigkeit zum modernen Reifezeugnis. Er habe keine Kritik am ‚Therapismus‘ Oben wollen, erklärte Farocki, sondern sein Staunen über den offensichtlichen „Wunsch nach einer neuen Lebensreligion“, neuen Ritualen weitervermitteln. Ob er je innerhalb einer der Gruppen Widerstand. offene Regelverletzungen erlebt habe? Nein, sagte Farocki, da war nichts als eine kleine Störung der planvollen Zielgerichtetheit durch die unwillige Gruppe zum Kochen versammelter Männer. Die Rolle solcher Momente im Film habe sich im übrigen während des Schnitts ergeben. eine vorgefaßte Form existierte nicht.

Den Einwurf, das für die Simulation pr~destinierte Militär käme im Film zu kurz, erstickte Farocki mit der Bemerkung, die Elektroindustrie werde noch schneller abgehandelt. Nicht Vollständigkeit war Kriterium der Montage, sondern die Qualität des angesammelten Materials. Da Dreh- und Schnittphasen einander abwechselten, blieb allerdings die Suche nach Kontrasten, Ergänzungen möglich.

Über das Lachen
Alle haben wir gelacht, aber durften wir das Oberhaupt ? „Warum packt mich jetzt die Reue?“ fragte ein Zuschauer – ein anderer hielt das für ein typisch deutsches Problem und schämte sich überhaupt nicht : Man lache doch über „die Absurdität der Handlungen im kontextfreien Raum“, über das Enigmatische, im Vergnügen an der Enträtselung – und ob nicht letztlich „der Einbruch des Mechanischen ins wirkliche Leben“ dahintersteckt (Thomas Rothschild)?

Nach Entschlüsselung verlangt eigentlich jeder Film, antwortete Farocki, er differenziere hier doch auch die Not Einzelner, die Beschreibung von Angst (wie im Beispiel der Therapiegruppe) und ihre zum Lachen reizende Systematisierung in peniblen Diagrammen. Ohne die Frage nach der Bedeutung bestimmter rätselhafter Momente verkämen sie zum ‚dadaistischen Klang‘, der nicht länger lustig wäre.

Im übrigen wechsle er das Montageprinzip – hier waren gegenteilige Beobachtungen laut geworden – durchaus, erklärte Farocki weiter: Die an der biographischen Abfolge orientierte Narration wird später etwa zugunsten ‚anthologischer Prinzipien‘ aufgegeben. Auf die Möglichkeit konsequenten Durchhaltens einer Erzählform befragt: ( und dies blieb die einzige kritische Anmerkung zum Film ), sagte Farocki, das Material habe offenbar nicht zwingend danach verlangt und das Prinzip vermeintlicher Bebilderung, der völligen Entsprechung von Reden und Zeigen werde doch schnell langweilig.

Komik in „Leben – BRD“: Aussparung von Zusammenhängen, Isolation von Ereignissen. So funktionieren nicht nur einzelne Situationen, sondern auch der gesamte Film, der das ‚eigentliche Leben‘ ausläßt. Was nicht gezeigt wird, ist die Leistungsgesellschaft, deren reibungsloses Funktionieren Zweck von Therapie und (Selbst)Programmierung ist; die Entstehung von Defiziten durch ‚Überprogrammierung‘ bedarf dann wiederum einer therapeutisch-modellhaften Verhandlung – ein endloser Spiel-Kreislauf (Fosco Dubini).

Im Fernsehen
Nach Lachen sei ihm bei der Betrachtung von „Leben – BRD“ im Fernsehen überhaupt nicht zumute gewesen, erzählte Dietrich Leder; da steht der Film im Kontext dauernder WeltSynthese, zeigt Handlungen, die zugleich Behauptung von Handlung sind, ohne den fernsehüblichen Sinn-Anschluß. Im Kino – Farocki stimmte zu -, in einer Gemeinschaft ungläubigen Lachens ist dieser Film offensichtlich besser auszuhaLten.

 Christa Blümlinger, Harun Farocki v.l. © Ekko von Schwichow
Christa Blümlinger, Harun Farocki v.l. © Ekko von Schwichow