Film

Lager des Schweigens
von Bernard Mangiante
DE 1989 | 120 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 13
16.11.1989

Diskussion
Podium: Bernard Mangiante
Moderation: Sabine Fröhlich
Protokoll: Toni Weber

Protokoll

Vor der Diskussion wollte Bernard Mangiante noch die Übersetzung des französischen Textes im Abspann nachtragen, der besagt, daß der Film den Zeugen gewidmet ist. Der Filmemacher hatte bereits bei der Vorführung den französischen Text zu Beginn des Films versucht einzusprechen, und die beiden Schauspieler genannt, die für die Übersetzung der Texte der französischen Zeugen ihre Stimme gaben.

Sabine Fröhlich begründete ihre Eingangsfrage nach der Arbeitsweise mit der Beschreibung der auftretenden Personen als Akteure: Akteure, da Schauspieler und Akteure der Geschichte.

Ausführlich erläuterte der Regisseur, daß er in seiner dreijährigen Vorbereitung 55 Zeugen aufgesucht hatte. Das Vertrauen, das er in den Gesprächen habe versucht herzustellen, war ihm bindend in der Darstellung der 21 Personen des Films. Er habe jeder Person gerecht werden wollen und habe daher jedem seine eigene Art, mit Erinnerung umzugehen, belassen. Abgesprochen habe er lediglich beim Dreh, welche Episode ihrer Geschichte thematisiert werden solle. Walter Janka habe des öfteren improvisiert, weil er genau wußte, was sagen wollte; andere Male habe er sich einen Text geschrieben, da er das Bedürfnis hatte, etwas festzuschreiben, von dem seine Frau bisweilen meinte, daß es für sie bedrohlich sein könnte. Hingegen war Elsbeth Gasser anfangs sehr verschlossen, so daß es nicht einmal Vorgespräche gegeben habe. Ihr wurde lediglich beschrieben, wie sich die Kamera bewegt. Es wäre erstaunlich gewesen, was sie dann gegeben hätte; fast so, als ob sie alles nocheinmal durchlebe, als ob sie das erste Mal darüber spreche.

Daß er von Erzählungen habe ausgehen wollen, bestätigte Bernard Mangiante, indem er bekundete, daß er ohne Interviews habe arbeiten wollen. Den Eindruck, daß die Leute im Film Texte aufsagen, bekräftigte er, indem er darauf verwies, daß ihm die Sedimentierung der Erinnerung nach 30-40 Jahren interessiert habe. Diese wollte er dokumentieren, nicht eine wie auch immer geartete Spontanität. Daher könne man durchaus den Eindruck haben, daß die Zeugen die Rolle ihres Lebens im Film deklamieren.

Diese Beschreibung griff Dietrich Leder auf und wendete sie gegen die Annahme, daß ein Dialog per se eine offene Form sei. Daß die Menschen ei-n Bild ihres Lebens haben, das Grenzen besitzt, werde bei Halter Janka deutlich, dessen literarische Biographie mit seinen Äußerungen im Film identisch sei, wenn auch nicht authentisch. Zwar habe auch er anfangs Aversionen gegen den Film gehabt, doch dann habe ihn dieser nicht mehr losgelassen.

Diese Sicht auf den Film bestärkte der Filmemacher. Er habe vor dem Bild, das die Leute von sich geben wollen, Respekt. Ihm ginge es nicht darum, sie zu verunsichern, gar schmutzige Wäsche zu waschen. Der Film sei daher weniger eine Inszenierung, als daß er aus gestellten Bildern bestehe, die der Würde der Zeugen gerecht zu werden versuchten, die ihn beeindruckt hatte. Ihre Haltung, ihr Gefühl, Zeugnis ablegen zu müssen.

Hier intervenierte Ludwig Metzger, der den Film unter der Rubrik „Dokumentarspiel mit realen Schauspielern“ diskutieren wollte. Gerade den Inszenierungsstil wollte er thematisiert wissen, da die Bilder erst quälerisch, dann aber gequält seien. Eben diese Inszenierung, wie die Personen im Bild stehen, warum sie aufhören müssen, zu gehen, wie die Bilder verschränkt sind, all das habe ihn abgelenkt, zuzuhören.

Als störend war auch die Übersetzung der französischen Zeugen erfahren worden. Diese Lösung, die Orginaltöne zu Übersprechen, befand der Filmemacher im Nachhinein auch nicht mehr als gelungen, so daß die französische Fassung des Films untertitelt sei. Der Kritik an der Inszenierung antwortete Bernard Mangiante lediglich mit seinem Wollen, den Personen gerecht zu werden. Auf die Kritik an der Szene, in der der Tiefbauingenieur, Elsbeth und Wilma den Rabbiner, der von der Selektion erzählt, auf der Kreuzung stehen lassen, antwortete er detailliert. Der Rabbiner sei das einzige Opfer dieser Runde, insofern nur er ins KZ deportiert worden war. Die Geschichte des Tiefbauingenieurs kann der Zuschauer glauben oder nicht, er wolle nicht entscheiden. D.h. in der besagten Szene sollen die angehäuften Erinnerungen auslaufen, wie aus einer Sanduhr. Das war die Idee. Die Realisierung befriedige auch ihn nicht, da in der Szene der Rhythmus nicht stimme; nur er habe sie im Film belassen wegen der Idee. Ein erneuter Dreh habe sich wegen der Leute verboten.

Das Bild der Zeugen von sich selbst zu belassen, war auch für Didi Danquart das Wesentliche an diesem Film. Denn als Filmemacher von oral history beschleiche einen permanent das Gefühl, das Publikum anzuschmieren. Man habe immer das Gefühl, daß die Zeugen sich selbst etwas festlegen, was bei der Filmvorführung beim Publikum den Eindruck des Originären erhalte. Die Inszenierung zwinge diesem Eindruck des Authentischen eine Schranke auf; dem Publikum werde so anheimgestellt, zu entscheiden, was wahr ist. Hierin liege die Chance der Inszenierung im Dokumentarischen.

Gegenüber der Sichtweise, daß die Personen im Film ihre Rollen spielen, wurde eingewendet, daß das Gehen und die Orte das Erinnern bedingen würden, daß deutlich werde, daß die Personen die Texte in sich trügen, was nicht mit der Metapher ’Theater‘ beschrieben werden könne.

Das Lob, daß der Film an eine Ikonographie des Erinnerns anknüpfe, veranlaßte Bernard Mangiante zum Widerspruch. Kranzniederlegungen und Monumente seien ihm Symbole des Vergessens, weshalb er auch nicht gewollt hätte, das manches Bild wie ein Monument wirke, was ihm beim Schneiden aufgefallen wäre.

Die Beobachtung, daß die Leute öfters den Kader verlassen, quasi aus dem Film gehen, und so das Fragmentarische des Erinnerns betont werde, war die letzte, diese Filmarbeit würdigende Anmerkung in einer Diskussion, in der der Filmemacher skeptischer als die Diskutantinnen das Ergebnis beurteilten.