Film

Das Dampfroß kommt
von Dietrich Schubert
DE 1988 | 45 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 12
12.11.1988

Diskussion
Podium: Dietrich Schubert
Moderation: Bertram Rotermund
Protokoll: Toni Weber

Protokoll

Vor der Diskussion des Films beschrieb Dietrich Schubert die hohen Folgekosten seines Films, der die Behörden veranlaßte, das Gelände der ehemaligen Giftgasfabrik zu entsorgen. Anfangs wäre unklar gewesen, was dort zu finden sei, da die Akten in Potsdam liegen. Schließlich hätte man doch noch Akten gefunden, aus denen hervorging, daß auf dem Gelände ungefähr 3000 Giftgasgranaten zu finden sein müßten. Das Fabrikgelände, in Rheinland-Pfalz gelegen, wird wohl erst in den 90iger Jahren geräumt sein, da es sich über mehrere Quadratkilometer erstreckt. Man rechnet mit einem Kostenaufwand von einer zweistelligen Millionensumme. Nachdem die GRÜNEN im Landtag aktiv geworden waren, wurde auch das Grundwasser untersucht, da in dieser Region Hochwasser für die Wasserversorgung entzogen wird. Doch, so behaupten die GRÜNEN, hätte die Untersuchung nichts erbringen können, da man nach den falschen Stoffen suchte.

Die Haltung des Bauers Hepp, der im Film davon erzählt, daß die Arbeiter eine gelbe Hautfarbe bekommen hätten und auf eine Stelle aufmerksam macht, wo bis heute kein Gras wächst, zeigt sich wenig bekümmert, was typisch für die Leute dort sei, wie Dietrich Schubert ergänzt. So habe auch die Bäuerin, die auf Teilen des ehemaligen Fabrikgeländes ihre Kühen weiden läßt, denen mit der Polizei gedroht, die das Areal betreten, um sich kundig zu machen. Überhaupt wäre den Menschen, die da leben, unverständlich, warum jetzt nach 60 Jahren ein solcher Aufwand betrieben werde, um das Gelände von Kampfstoffen zu räumen.

Die Annahme, daß die Bahnlinie jetzt erneuert wurde, um Material und Soldaten zu den Truppenübungsplätzen zu bringen, bestätigte Dietrich Schubert. Die Bahnstrecke sei mit 5 Mio. DM aus Nato-Mitteln 1983 wiederhergerichtet worden, nachdem sie vorher stillgelegt gewesen war, und seit 1986 verkehren hier wieder Militärtransporte. Lediglich einmal wöchentlich würde von Lohstein aus, der letzten Station auf bundesrepublikanischem Gebiet, ein ziviler Holztransport über die Stecke bewegt. Der Wunsch von Eisenbahnfreunden, einmal jährlich diese Strecke zu befahren, sei 1988 nicht bewilligt worden.

Die allgemeine Neugier befriedigend erzählte Dietrich Schubert noch von den alten Truppenübungsgeländen Elsenborn in Belgien und Vogelsang auf deutscher Seite, die beide heute vom belgischen Militär benutzt werden. Angelegt wurden diese Übungsplätze unter Kaiser Wilhelm. Aufgrund ihrer Lage werde manchmal eine bundesrepublikanische Straße gesperrt, um Vogelsang von Elsenborn aus zu beschießen. Die lange Tradition militärischer Nutzung dieses Geländes sei auch in einem Roman von Clara Viebig beschrieben. Daß hier die letzten 75 Jahre deutscher Geschichte an der Bahnstrecke aufzeigbar seien, sei für ihn auch das Interessante gewesen und deshalb sei der Film auch in der Fernseh-Reihe „Mensch und Straße“ , obwohl hier Schiene, ausgestrahlt worden.

Wegen der eingeschränkten, militärischen Nutzung der Bahnlinie habe er auch keinen fahrenden Zug gezeigt, sondern lediglich die Strecke. Seine Darstellungsweise wurde im folgenden mehrfach gelobt. Egon Netenjakob bezeichnete Schuberts Filme als „hintersinnige Heimatfilme“. Mit seiner Beschreibung der Bilder lenkte er auf die Ästhetik der Bilder, deren Langsamkeit er als eine Art Widerstand auch gegen die Schnelligkeit des Mediums Fernsehen begriff. Die Detailaufnahmen von Schwellen und Schrauben war ihm ein Sichtbarmachen von Arbeit.

Karl Saurer fragt dann nach dem Konzept, da ihm aufgefallen war, daß häufig ein Aufwirtsschwenk von der Strecke weg durch einen Schnitt begrenzt eine Episode am Rande der Strecke beginnen läßt, wie etwa das Interview mit der Wirtin. Er wollte wissen, ob diese Übergänge am Schneidetisch entstanden seien, oder bereits beim Dreh geplant gewesen seien.

Die Kamerabewegung erläuterte Dietrich Schubert mit den Produktionsmitteln. Er habe sich einen Steiger geliehen, wobei das Drehen beim Anfahren und Halten zu wacklige Bilder ergebe. Die Interviews seien immer an Orten in räumlicher Nähe zur Bahnstrecke entstanden. Das Konzept des Films sei am Schneidetisch entstanden, Er habe zuerst vorgehabt, den Raum als Gliederungsweise des Films zu nehmen, habe dann aber die Zeit nehmen müssen, weil etwa die Fabrik am Ende der Strecke liege, aber zeitlich dem 1.Weltkrieg zugehöre.

Daß der Zeitraffer, der die Aussage, daß die Zeit der Distanzbewältigung durch die Eisenbahn gegenüber der Postkutsche auf ein Drittel reduziert worden war, verbildlichen soll, was aber nicht funktioniere, diese Kritik akzeptierte Dietrich Schubert sofort. Er gab auch zu, daß diese Lesefrucht aus Schievelbusch Eisenbahnbuch im Film ein Fremdkörper sei.

Die Ambivalenzen in den Erzählungen der Wirtin, die von einer schönen Zeit spricht, wenn sie die Kriegszeit meint, ergänzte Dietrich Schubert mit der Anmerkung, daß die Erinnerung der Leute eine andere Wirklichkeit beschreibe. Aufgefallen war ihm dies bei seinen Recherchen zu seinem neuem Film, wofür er Zeitungen aus den 30iger Jahre durchgeschaut habe. In ihnen sei genauso häufig wie heute von Kriminalität die Rede, obwohl alle behaupten, damals hätte es diese nicht gegeben.

In der Diskussion zum Film machte Dietrich Schubert einen längeren Exkurs zu regionaler Filmarbeit.

Er habe in den letzten 12 Jahren 10 Filme über die Eifel gemacht. Als Dokumentarist hätte man ja öfters den Glauben, für Betroffene zu arbeiten. Doch sein Film „365 Tage“ sei ihm von den Leuten regelrecht um die Ohren gehauen worden. Woraufhin er sich überlegt habe, ob es nicht besser sei, hier in Ruhe zu leben und keine Filme mehr über die Eifel zu drehen. Die Widersprüche und Reaktionen erfahre man viel stärker. wenn man auch dort lebe, wo man drehe. Seit „Ein trefflich rauh Land“ hätte er aber einen Weg gefunden, damit umzugehen. Er wisse, was die Leute wollen, daß gezeigt werde. Dies wolle er aber nicht so zeigen, weil er sich dann aufgeben und Werbefilme drehen müßte. So habe er sich entschlossen, die Leute mit ihren Diskussionen auszuhalten, und verlange von ihnen, ihn mit seinen Filmen auszuhalten. Das hätte dazu geführt, daß er nunmehr der Mann aus Kronenburg sei, der Filme macht. Dadurch sei er auch keiner vom Fernsehen, sondern einer von ihnen, den man erstmal hereinbittet.

Diese Lebens- und Arbeitsweise habe zwar den Vorteil, was er bei seinem neuen Projekt über die Zeit von 1933-48 erfahre, Widersprüche genauer mitzubekommen, zwinge einem aber auch in ein größeres Verständnis.

Die Frage von Bertram Rotermund, ob er den Film auch in der Eifel zeigen werde. wurde von ihm mit dem Querverweis auf erhoffte Vertriebsförderung natürlich bejaht. Bei allen Empfindsamkeiten der Leute, die gelegentlich auch zu Protesten bei der Sendeanstalt führten, sei die Vorstellung und Diskussion der Filme wichtig, um weiterarbeiten zu können. Denn die Leute müssen spüren, daß man sich stellt, wodurch der Film zwar nicht besser aufgenommen wird, aber man selber als Person.