Film

Der lieben Mutter
von Roswitha Ziegler
DE 1987 | 85 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 11
13.11.1987

Diskussion
Podium: Roswitha Ziegler, Niels Bolbrinker (Kamera, Montage), Alexander Wesemann (Redaktion WDR)
Moderation: Elfriede Schmitt
Protokoll: Michael Kwella

Protokoll

Anmoderation 1: „Ist das ein Frauenfilm?“

Spontane Auflage des Filmwochen-Leiters Werner R.: „Das müssen Frauen beantworten!“ Damit war Elfriede Schmitt nun überhaupt nicht einverstanden, und da das Auditorium zögernd verharrte, kam es zu

Anmoderation 2: Wie es käme, daß eine Gruppe (die Wendländische Filmkooperative), die aus Männern und einer Frau bestünde, sich dieses Themas angenommen habe, dazu noch unter der Ägide eines männlichen Redakteurs? In Eigen-Beantwortung ihrer Eingangsfrage fügte sie noch an, daß „Der lieben Mutter“ für sie kein Frauenfilm sei, da Frauen mit den angeschnittenen Fragen sowieso ständig konfrontiert seien.

Roswitha Ziegler: Für die Gruppe sei das nicht schwierig gewesen; der Redakteur habe sich unter mehreren eingereichten Themen für dieses interessiert, und so hätten sie das realisiert, was finanziert worden wäre.

Alexander Wesemann: Für ihn sei das ganz klar ein Frauenfilm, da von einer Frau gedreht. Sein besonderes inhaltliches Interesse rühre daher, daß er in der Zeit der Produktion gerade Vater geworden wäre.

Bei den verschiedenen Sichtungstreffen habe es durchaus Probleme gegeben, so hätte er angesichts der Nacktbilder zunächst gestöhnt: „Muß denn das sein?“, sie dann jedoch akzeptiert. Jeder Redakteur habe natürlich eigene Interessen und Vorlieben, aber ebenso Vorgesetzte und das Publikum als Gegenüber; er müsse von daher immer auch mit anderen Köpfen denken können. Außerdem schlössen Rechtsvorschriften bestimmte Darstellungen aus. Aber: Der Film würde in der in Duisburg uraufgeführten Fassung ausgestrahlt. Es gehöre zum Job, die absehbaren Proteste aushalten zu können.

Auf die entsprechende Frage einer Zuschauerin: Nein, er habe sich den Film vorab nicht vorstellen können. Zu Beginn eines Projektes gäbe es jeweils Vorgespräche und Papiere – und vergliche man jetzt das erste Papier und den Film, hätte beides nichts miteinander gemeinsam. Doch: die endgültige Form des Films sei das kontinuierlich entwickelte Ergebnis eines guten gemeinsamen Arbeitsprozesses.

Werner Ruzicka fand dies einen interessanten Aspekt: Redaktionsarbeit als dramaturgische Hilfestellung. Dem Film wohl geneigt, habe er gleichwohl das Gefühl, manche Sequenzen seien nicht genügend bearbeitet, sondern eher aleatorisch (zusammengewürfelt) Roswitha Ziegler bat um konkrete Beispiele, die Werner R. jedoch mit der ihm eigenen professionellen Bescheidenheit verweigerte, ohne Gründe nennen zu wollen. (Oder durfte er nicht? Ein Fall von Beamtengeheimnis?) Ein Zuschauer würdigte lobend die Variationsbreite des Filmes die Zusammenstellung der inhaltlichen Teilbereiche und das aktuelle Aufgreifen der Folgen von Tschernobyl. Nur: Der Film falle in der zweiten Hälfte ab, vom Rhythmus her werde er langsamer, es gäbe Wiederholungen – er habe das Gefühl, der Film sei gestreckt worden, um eine bestimmte Zeitvorgabe zu erreichen.

Roswitha Ziegler: Der Bogen des Films reiche von der Geburt bis zum Tod. Bei den letztendlichen Dingen habe sie die Bilder nicht mehr stark durchbrechen und sie kurz schneiden wollen. Vielleicht entstünde das Gefühl der Rhythmusstörung durch die lange Einstellung von der Frau mit der amputierten Brust? Nein. so der Sprecher, es ginge nicht um eine einzelne Einstellung, sondern um ganze Sequenzen. Sie würden langsamer, die Bilder wirkten nebeneinander gestellt, während sie in der ersten Hälfte deutlich miteinander verflochten wären. Ein anderer Zuschauer bestätigte diesen Eindruck und fügte hinzu: Der Bogen von der Geburt bis zum Tod würde funktionieren, doch er werde durch die Sequenz zum Thema Tschernobyl durchbrachen – diese wirke angehängt, draufgesetzt. Eine Zuschauerin sah das absolut anders: Zwar würden sich Mütter sowieso mit der Thematik „Leben spenden – Leben erhalten“ auseinandersetzen, doch durch die Konsequenzen aus Tschernobyl habe ja der Zwang zu einer besonderen Aktivierung bestanden und habe diese stattgefunden. Von daher sei dieser Part auch richtig im Film. Die Irritation in der zweiten Hälfte entstünde möglicherweise dadurch, daß Roswitha Ziegler bei den Folgen von Tschernobyl den Stil des Films verläßt, sprich persönlich wird – sozusagen für einen Moment aus dem Film heraustritt, um dann wieder in ihn zurückzukehren.

Ein Zuschauer: Er habe Probleme mit der freien Montage-Technik. Ihm sei das alles zu viel Bezug, zu viel Anstrengung – Zuspitzung von Bildern, von Montage, von Text, sozusagen die Zuspitzung der Zuspitzung, die sich somit ihrer eigenen Wirkung beraube. Und Roswitha Ziegler sei bei „Der lieben Mutter“ weitaus weniger spürbar als in ihren früheren Filmen. Die konnte mit letzterem jedoch überhaupt nichts anfangen – sie sei doch deutlich „drin“ in dem Film. Jemand bestätigte dies: er habe sie als Person deutlich gespürt. Ihm habe der Film ausgezeichnet gefallen, und angesichts der guten Bilder würde er gerne wissen, wie die Zusammenarbeit von Regie und Kamera funktioniert habe.

Niels Bolbrinker: Sie würden sich schon sehr lange kennen, hätten bei diesem Projekt zudem viel Zeit für eine langsame Entwicklung gehabt, außerdem intensive Diskussionen geführt; in der Gruppe ebenso wie mit Alexander Wesemann. Des weiteren hätte es beim Drehen wiederholt schnelle Verständigungsmöglichkeiten gegeben, basierend auf einem gemeinsamen Vorverständnis. Allerdings hätten sie auch sehr viel Material „in den Sand gesetzt“.

Einen deutlichen Streitpunkt bildete die Hausgeburt, deren Darstellung von einigen als idealisiert und klischeehaft empfunden wurde – ein altes Klischee (Entbindung in der Fabrik Klinik) werde durch ein neues ersetzt. Dem wurde widersprochen: Der Generalston der Hebamme und ihr Verhalten ließe die Hausgeburt nicht unbedingt als Idealfall erscheinen.

Kontroversen auch um die Technik im Krankenhaus, speziell die Brutreaktoren. Ein Mann, der zwei Wochen mit seinem neugeborenen Sohn im Krankenhaus. verbracht hatte, während der Sohn im Brutreaktor lag, vermißte in dem Film Hinweise auf die lebenserhaltenden Seiten der Technik.

Roswitha Ziegler: Das Thema böte Anlaß für 1001 Geschichten – sie hätten vieles weglassen oder mit kurzen Verweisen abhaken müssen.

Niels Bolbrinker: Der Film wende sich auch nicht gegen Brutreaktoren, sondern gegen den omnipotenten Drang von Wissenschaftlern, mittels der Medizin, Gentechnologie etc. das Leben in all seinen Dimensionen in den Griff zu bekommen.

Auch wenn einzelne Punkte des Films kritisch angesprochen wurden, so waren Wohlwollen bis Begeisterung dem Film gegenüber deutlich zu spüren – nicht nur durch den Beifall im Kino oder atmosphärisch im Diskussionsraum, sondern auch durch die den kritischen Äußerungen vorangestellten Sätze oder Halbsätze. Eine Kritikerin aus dem Süden der Republik leitete ihren Beitrag damit ein, die herrschende Harmonie nunmehr vermutlich zu stören: Sie fände den Film gar nicht gut. Der Teil zur Sozialisation habe ihr zwar gefallen, doch ansonsten sei ihr der Duktus des Kommentars zu akademisch; bei Formeln wie „Muttermund, Mutterkuchen, Muttersprache – „Vaterland“ wüchse ihr ein langer Bart – das sei doch wie vieles anderes wohl Stand der Studentenbewegung und da seien wir heute wohl schon weiter.

Ein Zuschauer: „Wer ist ‚wir‘?“

Die Vorrednerin: “Zumindest wir Frauen.“

(Katja Epstein? Dagmar Berghoff? Lieschen Müller? Lady Di? Anm. d. Prot.)

Roswitha Ziegler griff spontan auf, sich bei ihrem nächsten Film Rat bei der Rednerin zu holen… Und wieder ernsthaft: Sie sei eben an dieser Stelle und an keiner anderen.

Auch für eine andere Frau waren das alte Bilder, all das habe sie schon vorher gewußt. Für sie wäre es spannend gewesen, hätte der Film Ambivalenzen nachgespürt – dem Problem, manchmal Dinge zu brauchen, von denen man wüßte, daß sie mit Ideologie und Profit verbunden wären. Man müsse weiterkommen, um sich dieser Ambivalenz gegenüber verhalten zu können.

Die Diskussion der Frage, wie weit der Film nun wirklich sei, ob er voranbringe oder nicht, fand kein klärendes Ende, da sie angesichts des nachfolgenden Films abgebrochen werden mußte.