Film

Das Mahnmal der Käthe Kollwitz
von Ludwig Metzger
DE 1986 | 30 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 10
06.11.1986

Diskussion
Podium: Ludwig Metzger
Moderation: Angela Haardt
Protokoll: Jochen Baier

Protokoll

Die Kranzniederlegung, die die Schlußbilder des Films zeigten, jene Veranstaltung, die Soldaten, dekorierte Veteranen, die stolz ihr Ritterkreuz präsentierten, und Farbentragende versammelt habe, um Kränze an einer Kopie des Kollwitz-Mahnmals niederzulegen, einer Kopie, die in der Ruine einer Kölner Kirche aufgestellt ist, habe er nicht verstanden, monierte ein Zuschauer unmittelbar zu Beginn der Diskussion.

Der Schluß sei bewußt gewählt, entgegnete Metzger, und der film sei bewußt vor dem Datum ‚Volkstrauertag‘ gesendet worden – eben wegen der Perversität des Umgangs mit den beiden Figuren des Kollwitz’schen Mahnmals, die in solcherlei Traditionspflege sich offenbare.

Mit diesen Stichworten war das Leitthema der Diskussion umrissen. Große Aufmerksamkeit widmete sie der frage, wen bzw. was die revanchistische Denkmalschändung durch vereinnahmenden Gebrauch betreffe: Das Kunstwerk, seine Aussage, seinen friedenspolitischen Gehalt; die Künstlerin, oder: deren Entwicklung vom ersten Entwurf bis zur Aufstellung.

In den verschiedenen Stellungnahmen war auch spürbar das Bestreben, eine aktuelle Auseinandersetzung um künstlerisches Selbstverständnis über die Jahrzehnte hinweg zu führen, präsent.

Halte man sich vor Augen, wovon Käthe Kaliwitz ausgegangen sei, so sei ihr Anliegen zunächst – wie Dietrich Leder anmerkte – sicherlich von Pathos getragen gewesen; ein pathetisches, patriotisches Denkmal mit allen Tendenzen zur Heldenverklärung zeige der Film als Ursprungsentwurf. Burschenschafter, Ritterkreuzträger und Soldaten, die der Film am Schluß zeige, schändeten in dieser Perspektive nicht eine Friedensmahnung oder -botschaft, die das Mahnmal enthalte, sondern weit mehr Kollwitzens künstlerische Anstrengung, die der Film genau nachzeichne. Diese Anstrengung, die ein künstlerischer Prozeß sei, sei nicht auf friedenspolitische Absichten zu reduzieren, sondern stehe in einem Spannungsverhältnis zur Erfahrung von Geschichte. Diese Linie stehe im Vordergrund.

Demgegenüber sah Klaus Wildenhahn in den Schlußbildern des Films insofern eine ‚eiserne Konsequenz‘ der Kollwitz’schen Motive, anfangs zumindest ein Heldendenkmal ganz im Sinne vaterländischen Gefühls zu errichten (Die Mutter opfere ihr Kind fürs .•• ), als dieses Ursprungsmotiv im Denkmal als Denkmal noch dergestalt enthalten sei, daß die Noch- oder Wieder-Vaterländischen es bruchlos vereinnahmen könnten. Diese Vereinnahmungsfrage sei an derartige Den~alskunst generell gerichtet.

Unterschiedslose Verdächtigung jedweder Denkmalskunst, die keine Differenzierungen sehe zwischen Kollwitz und etwa einem Breker, sei – wie ein Diskussionsteilnehmer einwarf – freilich keine vertretbare Lösung. Kollwitz‘ Motivation sei klar erkennbar als eine menschliche: Den Schmerz über den Verlust des eigenen Sohnes zu verarbeiten. Ihr Menschenbild habe nichts gemein mit jenem Abstraktum, welches Breker etwa modelliert habe. Anders stehe es, wie er fortfuhr, bei dieser Kunst mit der Vereinnahmung: Er frage sich, wie brutal ein Bildhauer eigentlich werden müsse, damit er nicht von brutalen Militärs vereinnahmt werden könne.

Aber die Figuren der Käthe Kollwitz ließen sich doch gar nicht vereinnahmen, antwortete Metzger. Es möge noch so sehr vor ihnen und um sie herum aufmarschiert werden, sie wehrten sich dagegen, sie verweigerten ihre Anteilnahme an solchem Geschehen. Solche Kunst möge beschädigt werden etc. – vereinnahmen lasse sie sich nicht.

Andere Motive des Films hätten eben~o die Wirkung eines Schocks gehabt wie dieser Schluß, führte ein weiterer Diskussionsteilnehmer aus. Ihm sei durch die lakonischen Bemerkungen des Bauern zur Arbeit der Spezialisten auf dem Soldatenfriedhof schlaglichtartig die Perversion des gesellschaftlichen Bewußtseins deutlich geworden, das keinen Respekt mehr vor den Toten kenne. Es ging um die Erzählung des Bauern, der fasziniert berichtete, Spezialisten hätten auf dem Friedhof durch Analyse und Numerierung die Knochen der verstreut liegenden Leichname zueinander bringen und auf diese Weise, bei der zweiten Bestattung, in jedem Grab nur die Knochen eines einzelnen toten Soldaten beisetzen können.

Metzger sah in der Faszination des Bauern. der diese Verhältnisse ja nicht gemacht habe, nichts Pervertiertes. Den Bauern habe er sehr gern in dem Film, weil der nichts vorgebe: Wenn den die Arbeit der Spezialisten interessiere, so gebe er das unverstellt wieder. Ebenso äußere er ganz offen seine Befriedigung darüber, daß durch die gute Arbeit der Spezialisten endlich wieder Ordnung in die Gräber gekommen sei. Alles dies habe nichts Blasphemisches. es sei eine Realität wie auch die Touristen. die – nachdem sie den „Todesdarm“ in Flandern durchwandert hätten, ein Pienie in Sichtweite abhielten: Das gehöre zu dieser Realität.

Werner Ruzicka sprach noch einmal generell die Funktion von Denkmälern an: Seien nicht recht eigentlich solche Orte, Denkmäler etc., von der Vielzahl sonstiger Zeichen, der Beliebigkeit scheinbar universell verfügbarer Bilder heute erschlagen; ziehe sich nicht Denkmalskunst in eine kultische Dimension zurücK angesichts ihrer Ohnmacht gegen die Bilder; anders gewendet: Der Film zeige – als Werkstattbericht – die künstlerische Anstrengung zum Produkt, das Produkt aber verschwindet in der Vielzahl sonstiger Bildervielfalt.

Metzger wollte nicht Sinn oder Unsinn von Denkmälern schlechthin reflektieren, wenn er auch das Problem genau so erkenne wie Ruzicka. Aber es sei nicht Kollwitzens Problem gewesen.

Er führte an dieser Stelle nochmals aus, wie sich der Aufbau des Films ergeben habe: Der Ausgangspunkt seien die Tagebücher von Käthe Kollwitz gewesen, deren Faszinationskraft noch verstärkt worden sei durch seine Bekanntschaft mit der Kollwitz-Enkelin, die ihrer Großmutter irritierend ähnlich sei. Weniger das Denkmal habe ihn – L. Metzger – interessiert als vielmehr der Entstenungsprozeß, gleichzeitig der Entwicklungsprozeß von Käthe Kollwitz selbst. Weiterhin seien aktuelle Bezüge gegeben durcn die irritierende Verbreitung des Kollwitz-Motivs „Nie wieder Krieg!“ z.B. in der Friedensbewegung. Dies seien die entscheidenden Momente des Films.

Angela Haardt wandte ein. daß Metzger ihrer Ansicht nach hierauf – angesichts doch knapp bemessener Filmlänge (30 Minuten) – zuwenig sich konzentriert habe. Sie sah Abschweifungen. Ablenkungen, der Film verschleudere kostbare Zeit für Nebensächlichkeiten.

In diesen Nebensächlichkeiten liege aber – wie Karl Saurer entgegnete – keine Abschweifung, sondern eine Heranführung. Das Interview mit dem Kriegskameraden des Kollwitz-Sohnes z.B. habe dessen Tod überhaupt erst als etwas Konkretes erscheinen lassen.

Sie erwarte aber von einem anspruchsvollen Film. der auf der Höhe der Zeit sein wolle, ein Nachdenken über eine klare Struktur, setzte A. Haardt nach. Die aktuellen Bezüge des Films seien ihr angesetzt erschienen, wie auch sonst der Film konsequente Beschränkung auf das Thema vermissen lasse.

Netzger erwiderte, der Schluß mit aktuellen Bezügen (Soldaten) sei auch als eine bewußte Provokation zu verstehen, damit der film nicht von Kunstbeflissenen für Kulturfilmzwecke vereinnahmt werden könne. Dieser Stachel sei absolut erforderlich gewesen.

Vereinnahmung war noch einmal das Stichwort für die letzten Redebeiträge von Wildenhahn und Metzger, in denen es um die Möglichkeit, Kollwitzens Denkmal für militaristische Zwecke zu mißbrauchen, ging.

Offensichtlich seien auch große Humanisten nicht gefeit vor der heroischen Geste, erklärte Wildenhahn und gab zu bedenken, daß selbst in dem endgültigen Denkmal noch nach Jahrzehnten ein Kern des Patriotismus von 1915 enthalten sei. In der Knochensuche, die der Bauer lakonisch wiedergab, komme der Schrecken des Krieges deutlicher zum Ausdruck als in dem Mahnmal der Käthe Kollwitz.

Metzger hielt dagegen, daß Kollwitz ihren Ursprungsentwurf nicht ‚modifiziert‘ habe. sondern radikal in sein Gegenteil verkehrte. So sei es unmöglich. die beiden Figuren zu vereinnahmen. denn: Er sieht weg, sie sieht nicht hin. Oie monolithischen Figuren entzögen sich Zwecken dieser Art.