Protokoll
Einige Fragen zu Details (etwa die verbreitete Auflagenhöhe der Werke von Christoph Hein) eröffneten das Gespräch. Anschließend schilderte Klaus Wildenhahn die Modalitäten des Drehens in der DDR: Nach einer Anfrage beim internationalen Pressezentrum der DDR habe es jeweils ein Gespräch mit einem Vertreter vom Pressezentrum und einem vom Außenministerium gegeben.
Er habe dabei nur allgemeine Angaben zum Film gemacht und sich auf den in „Konkret“ abgedruckten Hein-Text bezogen, nach einer Weile dann die Dreherlaubnis erhalten.
Gedreht hätten sie einmal zehn und einmal vierzehn Tage, wobei stets ein Betreuer an ihrer Seite gewesen sei. Behinderungen oder Einschränkungen habe es nicht gegeben, allerdings seien spontane Drehs nicht möglich gewesen, da jede Aufnahme vorher angemeldet werden mußte. Zwar seien die Anträge jeweils genehmigt worden, aber das Verfahren habe zu Verzögerungen geführt.
Die inhaltliche Auseinandersetzung nahm ihren Anfang mit einer Anspielung auf die drei Ebenen von Fremdheit in dem Film: Fremdheit würde spürbar bei Wildenhahn in seiner Rolle als Tourist, würde spürbar gegenüber Hein und bei Hein gegenüber Wildenhahn. Das Herantasten/überwinden der Fremdheit sei filmisch adäquat umgesetzt – ob das als Idee von vorneherein geplant gewesen sei oder sich so durch die Arbeit ergeben hätte?
Wildenhahn ging auf diese Frage nicht ein, sondern führte aus: Er habe zwar seit einiger Zeit Kontakt zu DEFA-Kollegen, aber er hätte keine Lust gehabt, etwas über Fllme zu machen. Angeregt durch den „Konkret“-Text habe er sich lieber zu dem Film mit Hein entschieden, nur hätte der anfangs nicht gewollt. Das Zueinander habe anderthalb Jahre gedauert, sei gekennzeichnet gewesen von Annäherung und neuerlichem Mißtrauen, neuer Annäherung – und nur möglich geworden durch eine konstruktive gegenseitige Skepsis, von Wildenhahns Seite her darüberhinaus durch eine starke Sympathie gegenüber Hein.
Wolfgang Jost (Kamera), die Frage nach der Form aufgreifend: An DDR-Bürger ginge man anders heran als beispielsweise an bundesdeutsche. “Was kann man fragen, ansprechen – und was nicht? Wirken wir als ausländische Voyeure? Sind wir zu aufdringlich?“ Das Arbeiten sei stets von Unbehagen begleitet, dennoch müsse man schnell agieren. Wildenhahn auf die Frage nach dem Warum der Schnelligkeit: „Wir arbeiten gerne so.“
Ein Zuschauer monierte, dies habe wohl auf die Qualität der Bilder geschlagen, die Kamera habe ihm gar nicht gefallen – von der Bildgestaltung her, dem Gebrauch des Zooms und der Wackligkeit der langen Brennweiten. Jost: Das Arbeiten mit einer leichten, kleinen Kamera führe zu solchen Bildern, außerdem würde dies der schnellen Annäherung und der touristischen Sehweise entsprechen; im übrigen hätten die Bilder nicht überfrachtet werden dürfen, um später noch die Texte drunter legen zu können. (Warum die Fragwürdigkeit der Bilder nicht weiter diskutiert wurde, bleibt dem Protokollanten unverständlich; leider treten Brüche und Nichtbezüge in den Diskussionen immer wieder auf.)
Ein anderer Zuschauer lobte Sensibilität und Präzision des Films – er würde genau die Situation einfangen, die heute zwischen beiden Staaten bestehe. Demgegenüber vermißte ein anderer Zuschauer die Auseinandersetzung mit der Linken, sowohl innerhalb der DDR wie in der BRD. Wildenhahn lapidar: Es sei eben nicht drin. Er sperre sich den rationalen Vermittlungen, die Annäherung an sich sei schwierig genug. Sowohl er wie Hein hätten versucht, Stimmungen zu erzeugen: Der Film beginne mit einem „Ich“ (=Wildenhahn), es entwickle sich etwas zwischen beiden (Wildenhahn/Hein), als ob’s um das Aufspüren einer dritten Person ginge, und der Film ende mit einem „Er“ (Hein). Bei früheren Themen seien die Aussagen direkter gewesen, doch diesmal habe er vorsichtiger mit dem Thema umgehen müssen – schließlich hätte Hein sich auf eine Gratwanderung eingelassen: er habe ehrlich sein wollen, hätte aber auch die Wirkung seiner Aussagen innerhalb der DDR berücksichtigen müssen, schließlich würde er dort als „Sprachrohr“ gelten. Aber: Der im Film angelegte Stil sei auch eine Frage des Alterns, sei Wildenhahns Stil jetzt.
Zu dem Stil gehöre, daß jedes Bild des Films seine Aussage hätte, etwa der Hinterhof, auf dem Musik von BAP zu hören sei – ein starker Eindruck und auch ein Ausdruck der Annäherung, auch derjenigen an Hein. Von einem Redner wurde die Stilisierung jedoch als eine künstliche bezeichnet; die Bilder seien teilweise tautologisch, anders als sonst würde der Ton keine zusätzliche Ebene anbieten.
Jost: Die Art der Bilder sei durchaus auf die Unsicherheit im Land und beim Drehen zurückzuführen. Wildenhahn: Ihre Methode sei die der Spontaneität gewesen; so hätten sie vormittags von der Lesung des Hein-Textes im RIAS erfahren und am gleichen Abend die Sequenz an der Baustelle aufgenommen. Die Bilder seien bewußt stilisiert, wenngleich von dem spontanen Verfahren geprägt. Dort in der DDR sei man in der Situation des Drehens sehr auf sich selbst eingeschränkt – und man verhalte sich daraus. So sei das Vorlesen eines Hein-Textes durch Wildenhahn aus dem Moment heraus entstanden, ebenso das Vorlesen des Textes aus der Illustrierten, und Wolfgang (Jost) habe sich mit der Kamera danach gerichtet. Sie seien eben neugierig mal hier, mal da gewesen; zerfallen würde der Film ja wohl nicht. Jost: Die durch diese Methode bedingten Unsauberkeiten seien entsprechend im Film verblieben – er sei halt keine übliche Fernsehproduktion. –
Auf den Einwand, er habe falsche Einlassungen Heins zum amerikanischen Kultur-Einfluß in der BRD unwidersprochen gelassen, entgegnete Wildenhahn, dieses Thema habe ihn nicht so sehr interessiert. Er habe lieber hören wollen, wie DDR-Intelektuelle die BRD sehen – auf den Diskurs darüber sei es ihm nicht angekommen. Es gäbe bei uns ja eine relativ breite DDR-Berichterstattung, doch dabei würde immer etwas von der DDR „abgezwackt“. Das aber sei seine Sache nicht. Er wolle lieber erfahren, warum der 8. Mai 1945 in der BRD als Niederlage, in der DDR hingegen als Befreiung erlebt wurde. Egal, wie die DDR-Bevölkerung über die ihr verordneten Feiertage denke (sie hatte da durchaus ihre kritische Distanz): So, wie die Menschen im Film zum Festakt im Treptower Park schlenderten, rücke sich in ihrer Haltung das Verständnis eben von Befreiung und nicht von Niederlage aus. So habe er Aspekte der DDR darstellen wollen; zwar nicht unkritisch, nur hätte er sich vor allem erst einmal auf die andere Ausdrucksweise dort drüben eingelassen.
Den Zwischenruf, nachfragen wäre besser gewesen, erwiderte Wildenhahn mit dem Hinweis, die hatte er geahnt; so gäbe es Stellen, an denen Hein sich aufgrund Wildenhahns Einwände korrigiert hätte. – Frage: Ob die Geschichte mit der Flucht in die Gruft geplant gewesen oder spontan entstanden sei? Wildenhahn: Lediglich die von Hein gewünschten Drehorte hätten von vornherein festgestanden: Seine Wohnung, seine Datscha und der Friedhof Weißensee: die Geschichte mit der Flucht habe sich auf de Friedhof ergeben. Frage: Warum sei nicht auf ein Theaterstück Heins eingegangen worden, das seinerzeit in Berlin lief, gerade wo doch Hein vom Theater herkomme und dort politische Probleme bekommen hätte? Wildenhahn: Die Auseinandersetzung mit dem Theater sei vorgesehen gewesen, der gemeinsame Besuch seines Stückes mit Hein sei allerdings durch eine Verschiebung der Aufführung verhindert worden. –
Nach einem kurzen Austausch über eher eklektizistische Aspekte des Films fiel die Frage, ob Wildenhahns Annäherung an Kunst/ an einen Schriftsteller auch mit Reflexionen über das eigene Handwerk zu tun hätte. Wildenhahn: er fande es spannend, den Dokumentarfilm zu öffnen für Überlegungen: Überlegen im Film konkret, Nachdenken spürbar machen.
Ein anderes Motiv für diesen Film sei dann noch die Sache mit diesem Scheiß-Faschismus: Die Nazizeit sei zwar aufgearbeitet worden, der Faschismus sei nicht vergessen, seine Auswirkungen noch total gegenwärtig – doch das Thema müsse weiter bearbeitet werden, nur müßten sich die Formen der Bearbeitung verändern. Dies sei mit ein Teil seines Films: quasi in Analogie zu Hein, in dessen Werk die Auseinandersetzung mit dem Faschismus allgegenwärtig sei: Offen in seinen Kurzgeschichten, verdeckt in seinen Romanen…