Film

Land der Räuber und Gendarmen
von Leo Hiemer, Klaus Gietinger
DE 1981 | 96 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 6
1982

Diskussion
Podium: Norbert Kerkhey
Moderation: Dietrich Leder
Protokoll: Jochen Baier

Protokoll

In seiner einleitenden Fragestellung umriß Dietrich Leder kurz die widersprüchliche Struktur des Films, in der die (später auch zum Ausdruck gebrachten) Widersprüche der Rezeption angelegt sind: Aphoristische Sentenzen, die mit einer absurden Logik Erkenntnisse provozierten, welche blitzartig die Absurdität der herrschenden Logik klarmachten, führten zu einer Zuschauerhaltung der permanenten Erwartung derartiger Erkenntnisblitze. Dies habe den entgegengesetzten Effekt, daß der Film über weite Strecken langatmig wirke. Norbert Kerkhey, der als Darsteller nicht die abwesenden Filmemacher vertreten wollte, dennoch zum Film inhaltlich Stellung bezog, stimmte dieser Einschätzung weitgehend zu (insbesondere die Lieblingsgeschichte sei quälend, weil man nach den ersten Bildern bereits wisse, wie sie weitergehen werde, hier gebe es keine Überraschungen wie in anderen Passagen des Films), gab allerdings zu bedenken, daß man einen Film nicht über 90 Minuten aphoristisch erzählen könne.

Im Zusammenhang mit der Erzählweise des Films, die auf den ersten Blick starke Anklänge an das Prinzip des Sammelns und Findens zeigt, wurde die Frage nach der Produktionsweise des Films gestellt. Norbert Kerkhey bemerkte hierzu, der Film sei streng nach Drehbuch gedreht worden, Klaus Gietinger habe jedoch wiederholt versichert, das Drehbuch sei aus authentischem, biographischem Material zusammengesammelt und entwickelt worden. SO habe der Regisseur sich von der Tränengas-Szene im Gasthaus, zu der eine Dorfcombo „aus aktuellem Anlaß“ den Schlager „Tränen lügen nicht“ spielte, trotz heftiger Bedenken des Teams nicht Abstand genommen, weil diese Szene, wie er angegeben habe, haargenau einem authentischen Erlebnis entspreche (das Protokoll hat hier Heiterkeit im Saale zu verzeichnen).

Dietrich Leder bemerkte zu der autobiographischen Dimension des Films, daß in der teilweise sehr genauen Schilderung der Erziehung in den fünfziger und sechziger Jahren Personen und Situationen auftauchten, die kollektive Erfahrungen der in diesem Zeitraum Erzogenen repräsentierten. Bestimmte Passagen des Films, so z.B. die Puppengeschichte vom Captain Germany, hätten ihm jedoch den Eindruck vermittelt, da sie offenbar der Privatmythologie des Autoren entstammten und nach einem fixierten Drehbuch erzählt würden, daß der Film zu durchaus beliebigen Assoziationsreihungen tendiere, die an einigen Stellen den Rückbezug zur Erfahrung ausgäben. Es rufe auch eine gewisse Skepsis hervor, wenn z.B. in der Montage absurder Reiter- und Pferdegeschichten (u.a. Willi Birge in „… reitet für Deutschland“) plötzlich der KZ-Kommandant Höss auftauche, dessen Kombination mit einer aphoristischen Reihung bei ihm Unbehagen erzeuge.

Wesentlich drastischer wurde in der Diskussion die Montagesequenz kritisiert, in der der von der Puppeninsel angestoßene und zur Strafe für sein Vergehen kahlgeschorener Frauen im KZ stelle Verbindungen her, die nicht existierten. Das ganz private Empfinden eines Jungen, der Haare lassen müsse und das Leid derer, die im KZ nicht nur Haare lassen müsse und das Leid derer, die im KZ nicht nur Haare lassen mußten, seien, wie gesagt wurde, unvergleichbar. Es handle sich, so wurde weiter kritisiert, bei mehreren Sequenzen des Films um eine aus dem Ruder gelaufene Kalauerei, die den jeweiligen Zusammenhang der Bilder denunziere. Der Zuschauer werde für einen vordergründigen Diskurs mit simplen Knalleffekten mißbraucht.

Norbert Kerkhey gab diese Kritik als Gegenfrage zurück, aus welchem Grund solche Montagen wie die kritisierten wohl als zu weit gehend empfunden würden. Einerseits sei nämlich auch in der Kindergeschichte vom Jungen, dem die Haare geschnitten werden, ein politischer Zusammenhang gegenwärtig; andererseits vermute er, daß das Unbehagen einiger Diskutanten speziell gegen diese Sequenzen des Films einer politischen Moral entstamme, welche die Erkenntnis über bestimmte Zusammenhänge, die quer zum Ablauf der Zeitgeschichte lägen, eher im Wege stehe. Er stellte die Frage, ob es denn sinnvoll sei, mit Bildern aus der Nazizeit immer pflichtgemäß den „gesamtzusammenhang“ verbinden zu wollen. Diese Art moralisierender Faschismusbetrachtung behindere eher eine wirkliche Bewältigung. Dagegen wurde eingewendet, daß die Herauslösung der Einzelbilder aus ihrem je eigenen Zusammenhang und ihre Einreihung in eine abbreviative Montage die Gefahr berge, alle Einzelheiten zu beliebigen Signalen zu reduzieren. Das Verfahren eines „anything goes“ gebe dem Film zumindest tendenziell den Charakter eines reinen Spiels ohne jeden verpflichtenden Rückhalt.

Entgegen dem in der Diskussion vertretenen Diktum, der Film erschöpfe sich in einem seichten Wechselbad von netten Zitaten, Frankfurter Rundschau, flotten Klugheiten und Paraphrasen auf Alexander Kluge, er sei damit eine gute Abendunterhaltung für Intellektuelle, die pubertäre Erfahrungen in sublimierter Gestalt goutieren wollte, hielt Michael Kwella die Struktur von „Land der Räuber und Gendarmen“ für streng durchkomponiert. Der Film enthalte nicht bloß Humoristisches im „Titanic“-Look, sondern er sei eine sehr genaue, facettenreiche Beschreibung des „autoritären Charakters“ und seiner Kontinuität bis in die eigenen Verklemmungen geschichtshinsichtlich ‚aufgeklärter‘ Menschen hinein, die sich in diesem Film auch aufgefordert sähen, sich selbst zu ertappen.

Den Bogen zum Beginn der Diskussion wurde zuletzt vom Diskussionsleiter noch einmal gespannt, als er – bezogen auf die Produktionsweise des Films (nach einem fertigen Drehbuch) – die Ansicht vertrat, der Film verrate ein wenig das Bemühen, eine Art Systemtheorie der Anarchie zu liefern.

Dem Protokollanten bleiben noch folgende Informationen nachzutragen: Der Film lief in Duisburg in der ungekürzten Fassung. Nach Auskunft Norbert Kerkheys wurde der Film für die Ausstrahlung im ZDF um 12 Sekunden gekürzt. Nicht ausstrahlen wollte das ZDF den Satz: „Wir Deutsche bevorzugen es, Fünfzehnjährige zu verheizen.“ Ebenso wurde in der Montage „Deutsche Soldaten“ das Rekrutengelöbnis von 1980 geschnitten; auch aus der Autobahnsequenz wurde entfernt, und zwar der Satz: „Nach dem Krieg wurde Hitlers Werk vollendet.“ Nicht geschnitten wurde die Szene, in der Kaiser Barbarossa den Kyffhäuser verläßt, wobei er einen dicken Joint raucht. Der zuständige Redakteur monierte lediglich: „Die Szene mit der langen Zigarette ist etwas lang.“