Film

Zärtlichkeit und Zorn
von Johannes Flütsch

Screening
Duisburger Filmwoche 5
1981

Diskussion
Podium: Johannes Flütsch
Moderation: Werner Ružička
Protokoll: Corinna Belz

Protokoll

Auf die Frage zu Beginn der Diskussion, wie er die Familie kennengelernt habe, erzählte Johannes Flütsch, er sei den Cesas zufällig bei einem Spaziergang im Wald begegnet, und da es Winter und sehr kalt gewesen sei, habe man ihn mit in den Wagen genommen. Einen Zuschauer interessierte, ob es nicht doch schwierig gewesen sei, einen intensiven Kontakt zu bekommen. Daraufhin meinte Flütsch, das größte Problem sei für ihn zunächst gewesen, daß er so große Angst vor dem Hund der Cesas gehabt habe, daß er sich fast nicht vorstellen konnte, unter solchen Bedingungen einen Film zu drehen. Allerdings sei der springende Punkt gerade der gewesen, daß er diese Angst und überhaupt Gefühle und Ansichten, die sich von denen der Familie und ihrer Lebensweise unterschieden, nicht versteckt habe, also keinen Versuch gemacht habe, sich ihr anzugleichen. So habe sich, obwohl die Cesas Fremden gegenüber sehr mißtrauisch und zurückhaltend seien, ein Vertrauensverhältnis entwickelt; sei es möglich gewesen, in verspielten Auseinandersetzungen herauszufinden, „woran man bei dem andern ist“.

Dieter Feldhausen sagte, obwohl ihm der Film sehr gefallen habe, erschienen ihm einige dramaturgische Setzungen als fragwürdig, wie z. B. der Zwischenschnitt, der die Tochter in einer Nahaufnahme zeigt, während der Vater mit den Polizisten verhandelt. Das Bild des lachenden Gesichts des Mädchens sei, was schon die unterschiedlichen Lichtverhältnisse andeuteten, nicht in der gleichen Situation wie der des Streits mit den Polizisten aufgenommen und gehöre von daher nicht in den Zusammenhang des Ereignisses. Anderen Zuschauern leuchtete gerade diese Montage ein, da sie den Gesichtsausdruck der Tochter als Freude darüber, wie der Vater „es den Beamten zeigt“, aufgefaßt hatten. Auch vermittle dieser Schnitt den Zusammenhalt der Familie, eine Zusammengehörigkeit, die sie brauche, da sie „von außen“ so bedroht sei.

Johannes Flütsch sagte, für ihn sei wichtig, daß das Mädchen so unbefangen in die Kamera schaue. Er habe diese Offenheit in Kontrast zu den Polizisten gesetzt, die mit verstecktem Blick zur Kamera davonschleichen, um zum Ausdruck zu bringen, daß diese Beamten nie „in eigener Person“ erscheinen, sondern in irgendeiner Funktion, als Vertreter, in diesem Fall als Stellvertreter der Staatsordnung. Diese Montage sei die Konfrontation zweier völlig unterschiedlicher Haltungen. Grundsätzlich könne er sich schon vorstellen, daß derartige Konstruktionen als „gewagt“ erschienen, doch wünsche er sich, ein solches Risiko einzugehen, um mit seinem Material freier umgehen zu können, im Sinne einer assoziativen Montage, die sich nicht unbedingt an die chronologische Abfolge der aufgenommenen Situationen zu halten habe.

Während Feldhausen darauf bestand, daß dieser Zwischenschnitt für ihn die Sequenz „unglaubwürdig“ mache, vertrat Gabriele Hübner-Voss die Ansicht, daß auch der Dokumentarfilm Montageformen entwickeln müsse, die Träume und Empfindungen, hinausgehend über das, was Realität an der „Oberfläche“ zeigt, sichtbar machen. In diesem Zusammenhang erinnerte sie an den Dokumentaristen Wertow, der von der Decouvrierung des in der Wirklichkeit nicht Sichtbaren spricht.

Ein Zuschauer fragte, ob Zärtlichkeit und Zorn als ein Film über Aussteiger zu verstehen sei. Johannes Flütsch meinte, abgesehen davon, daß Cesa „ausgestiegen worden wäre“, wie sich in den Geschichten zeige, die er von seiner Kindheit erzählt, könne man eine solche Parallele zu der Situation von Zigeunern nicht ziehen, da sich mit ihrer Rolle als Außenseiter eine jahrhundertelange Tradition verbinde. Ein Diskussionsteilnehmer wollte wissen, ob der Film schon anderen Zigeunern gezeigt worden sei und wie diese reagiert hätten. Er habe von Vertretern der Sinti aus Duisburg, die in der Vorführung gewesen seien, gehört, daß die Situation im Film nicht mit der ihren übereinstimme, und er habe den Eindruck, daß die Darstellung der Familie im Film, verglichen mit der Lage der Zigeuner, wie er sie kenne, untypisch sei und ihrem Anliegen schaden könne. Johannes Flütsch sagte daraufhin, daß es nicht seine Absicht gewesen sei, einen Film über die soziale Lage der Zigeuner zu machen. Ihm sei es in erster Linie darum gegangen, diese Familie zu zeigen in ihrer emotionalen Weise, miteinander umzugehen. Die Haltung anderer Zigeuner zum Film würde ihn sehr interessieren, nur hätten die Vertreter der Sinti heute leider nicht bis zur Diskussion bleiben können, da sie als Musiker auf einem Fest erwartet wurden. Nun habe er aber keine Lust darüber zu reden, wie Zigeuner über den Film denken, wenn keine da wären.

Gabriele Hübner-Voss griff die Frage auf, was denn eigentlich unter „typisch“ zu verstehen sei. Der mit diesem Begriff verbundene Anspruch und mögliche Vorwurf (jemand oder eine Situation sei untypisch), den sie bei ihrer eigenen Filmarbeit zuweilen erfahren habe, sei für sie sehr problematisch, da man doch konkrete Menschen zeige, die ihre besonderen Schwierigkeiten und Ansichten darstellten. So gesehen sei der „typische Mensch“ vielleicht eine Kunstfigur, nicht aber in der Realität zu finden. Auch sei in ihren Augen gerade die besondere Situation interessant, da an ihr Unterschiede und Gemeinsamkeiten klar würden, die man dann herausstellen und diskutieren könnte. Ein anderer Zuschauer sagte daraufhin, so wie er den Film gesehen habe, sei er weniger ein Film über Zigeuner als einer „über uns“, also die Leute, die in den Häusern leben, und zwar gerade deshalb, weil sie im Film kaum auftauchen oder immer nur dann, wenn sie die Lebensweise der Cesas tangieren.

Heinz Trenczak wollte gerne wissen, ob der „Theaterdonner“ am Schluß des Films echt oder dazugemischt sei, worauf Flütsch meinte, das würde er nicht sagen. In bezug auf die wenigen Kommentarstellen des Films meinte eine Zuschauerin, weil ihr die Bilder, die Erzählungen der Familie sehr gefallen hätten, die für sie so ausdrucksstark gewesen seien, habe sie der auf die Geschichte bezugnehmende Kommentar eher gestört; der Film käme ohne diese Erklärungen aus. Flütsch sagte, ihm sei die historische Dimension, die der Kommentar in Form von Zitaten einhole, doch sehr wichtig, vor allem deshalb, weil in der Schweiz, was man sich in der BRD vielleicht nicht so vorstellen könne, kein ausgeprägtes Geschichtsbewußtsein in Hinsicht auf die Zeit des Faschismus bestünde. Faschismus habe es in den Augen der Schweizer immer nur in Italien, Deutschland und Japan gegeben, nicht aber in ihrem eigenen Land. Aus diesem Grund habe er die Aussagen der Pro Juventute, die aus den sechziger Jahren stammen, wie auch das amtliche Schriftstück der Gemeinde zur Vertreibung der Cesas von 1980 in einen geschichtlichen Zusammenhang mit der Verfolgung der Zigeuner während des deutschen Faschismus stellen wollen.

Eine andere Zuschauerin sagte, daß sie die Sprache der Familie sehr schön gefungen habe, die aber leider in den hochdeutschen Untertiteln gar nicht mehr zum Fragen kämen, und verband damit die Frage, ob man in dieser Hinsicht nicht eine andere sprachliche Lösung finden könne. Flütsch sah diese Schwierigkeit auch; allerdings sei es nicht einfach, in Übersetzung einen Slangausdruck zu finden, der nicht wieder nur in einer bestimmten Region, also z. B. Norddeutschland, zu verstehen sei, da hier der Slang selten übergreifend, sondern an die unterschiedlichen Dialekte gebunden existiere.

Gegen Ende der Diskussion bemängelten einige Zuschauer die Qualität der Projektion im Kino. Werner Ružička ergänzte, daß gerade dieser Film eine außerordentliche formale Qualität habe. Wenn jemand sich so viel Mühe, z. B. mit mehreren Lichtbestimmungen, gemacht habe, sei es kaum zu verantworten, daß diese Arbeit, die in dem Film stecke, nachher bei der Projektion verlorengehe und von der Brillanz der Bilder kaum noch etwas zu sehen sei.

Schließlich wurde noch die Frage gestellt, wie der Film finanziert worden sei und welchen Stellenwert die vielen „Sponsoren“ einnähmen, die im Nachspann genannt sind. Johannes Flütsch erklärte dazu, daß es in der Schweiz kein Filmförderungssystem wie in der BRD gäbe, auch habe das Fernsehen nicht so viel Geld. So würde ein Teil der nötigen Produktionsgelder von verschiedenen Einrichtungen gewährt, die, wie z. B. der Migros-Konzern, einen Fond für kulturelle Zwecke haben. Wenn auf Grund eines eingereichten Exposés Gelder vergeben würden, so verbände sich damit keine andere Verpflichtung als die Erwähnung der Einrichtungen im Nachspann des Films.