Film

Der gelbe Stern
von Dieter Hildebrandt
DE 1980 | 90 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 5
1981

Diskussion
Podium: Dieter Hildebrandt
Einführung: Dietrich Leder
Moderation: Winfried Günter

Protokoll

Die im Gespräch formulierte Kritik erstreckte sich zunächst auf den Film selber, sehr bald aber auf die Produktions- und Archivierpraktiken der den Film produzierenden „Chronos-Film, Berlin“, streifte darüberhinaus kurz die ‚Faschismus-Diskussion‘.

1. Zur Kritik am Film
Der Film reduziere Faschismus auf Hitler, würde mittels einer trivialen Psychologisierung die Entstehung des nationalsozialistischen Machtapparates auf die Wirkung des ‚Dämonen‘ Hitler zurückführen. Der Kommentar verharmlose permanent, lasse Geschichte zur beliebigen Abfolge von Ereignissen werden, die unvermittelt aufeinander folgten (Beispiel: „Und es kommt zum Aufstand (im Warschauer Getto)“, heische den Menschen als einzige Reaktion die Ohnmacht auf. Der von dem Film selber erhobene Anspruch, daß seine Bilder für sich sprechen sollten, verleugne auf beispielhafte Weise, daß gerade die übernommenen Dokumentaraufnahmen der Nazis selber ideologisch seien. Darüberhinaus würde die Musikuntermalung den eigenen Anspruch desavouieren.

Diese detailliert vorgetragene Kritik einer Zuschauerin wurde von anderen Zuschauern geteilt. Sie ergänzten: Der Kommentar würde keinen Bezug zu heute herstellen, in ihm würden sprachliche Schlampigkeiten dominieren, würde ein Feuilleton-Jargon gepflegt, der die Sache bei weitem verfehle, in ihm würden gar nationalsozialistische Floskeln unkritisch übernommen. Insgesamt suggeriere der Film tragische Schicksalhaftigkeit, Widerstand und Widerspruch seien nach seinem Denkschema unmöglich. Auch die beliebige Interpretation mit Bildern wurde massiv gerügt, beispielhaft wurde jene Sequenz genannt, in der hinter Bildern aus einer Nazi-Wochenschau, die den Einmarsch der deutschen Truppen in Wien zeigt, die Aufnahme eines Mannes geschnitten wurde, der mit einem Koffer im Bahnhof steht, und die mit dem Text „Die Juden müssen fliehen“ unterlegt war. Das Bahnhofsbild, das vage Abfahrt, A b reise signalisiere, wird durch die Montage und den Kommentar zum Fluchtbild stilisiert, die Flucht damit verharmlost, durch ein zu einfaches Filmbild ihre Bedeutung drastisch reduziert.

2. Zur Kritik an „Chronos-Film“
Zusammengefaßt aus den Mitteilungen einzelner Diskutanten: „Chronos-Film“ in Westberlin handelt mit Film, verleiht u. a. Sado-Filme, besitzt die größte Dokumentarfilmsammlung aus der NS-Zeit, für die sie die Exklusiv-Rechte erworben hat. Diese Materialien schneidet sie immer wieder zu neuen Kompilationsfilmen zusammen. Dabei berücksichtigt sie aktuelle Themen (bspw. ‚Vertreibung‘, ‚Widerstand‘), die sie in ihren Endprodukten ständig zu politisch wohlfeilen Produkten zurechtbögen.

Chronos – die „Firma, die das Monopol auf Vergangenheitsbewältigung in diesem Land besitzt“, so ein Teilnehmer überläßt sein Material nur unter Schwierigkeiten und hohen Geldforderungen anderen Filmemachern. Die Diskussionsteilnehmer appellierten an die staatlichen Stellen, daß endlich – 36 Jahre nach Zerschlagung der NS-Diktatur – das vorhandene Filmmaterial einer öffentlichen und jedermann/frau zugänglichen Institution überlassen werde, die diese vernünftig archivieren könne.

Die englischen Übersetzer, Albert Hemsing und seine Frau, betonten, daß weniger merkantile als politische Interessen die Chronos-Mitarbeiter bestimmt hätten, die mit dem Film die Erinnerung an die Verbrechen hätten wachhalten wollen. Die Idee, aus dem Material einen Film mit Spielfilmlänge zu schneiden, finden sie persönlich falsch. Denn auf Grund der Marktzwänge, einen populären Film fertigzustellen, wäre es zu den in der Diskussion aufgezählten Verkürzungen gekommen. Gerade die Ursachen des Nationalsozialismus aufzudecken, hätte der Film unterlassen, er wäre an der Oberfläche der Ereignisse steckengeblieben. „Der Film schildert, was war und nicht, warum es so war“.

3. Zur ‚Faschismus-Diskussion‘
Die kritischen Vorbehalte gegen den Film enthielten alle dezidierte Auffassungen zum deutschen Faschismus und seiner Entstehungsgeschichte. An einigen Stellen der Diskussion wurden diese Grundlagen expliziert, prallten deshalb unterschiedliche Auffassungen der Diskussionsteilnehmer aufeinander, die sonst in der Ablehnung des Films einer Meinung waren. Diese Auffassungen, die sich alle auf bekannte und gängige Faschismus-Theorien stützten, mitzuteilen, lohnt an dieser Stelle nicht. Interessant war allerdings – und hierin zeigten sich die Unterschiede fokusartig –, daß einige der Anwesenden auf die Frage des Bearbeiters der englischen Fassung, wer sich mit dem im Film verwendeten ‚Wir‘, das sich als schuldig zu den Verbrechen bekennt, identifizieren müsse, die Hand hoben, obwohl sie erst nach dem Faschismus geboren sind. Sie sahen – im Gegensatz zu den anderen – in der Benutzung des ‚Wir‘ die Aufforderung, über die Traditionen von faschistischem Verhalten nachzudenken, auch und gerade bei sich selber.