Film

Familienkino
von Alfred Behrens, Michael Kuball

Screening
Duisburger Filmwoche 3
1979

Diskussion
Protokoll: Regine Halter

Protokoll

Themenschwerpunkt des Tages: „Geschichten von uns/Geschichte der Bundesrepublik Deutschland.“

Die Folgen 4 und 5 aus FAMILIENKINO sind 2 Teile aus einer insgesamt 7 Filme umfassenden Serie, die für den NDR (in Copr. mit dem WDR) hergestellt wurden. Zunächst machten Behrens/Kuball einige Angaben zu den Produktionsbedingungen.

Die Anregung zur Herstellung einer Amateurfilm-Serie stammte aus dem französischen Fernsehen, wo ein ähnliches Projekt gelaufen war. — Behrens/Kuball starteten Anfang 1977 eine Pressekampagne, um an Amateurfilmmaterial heranzukommen. Das Echo war gering und aus dem wenigen Material, das eingegangen war, wurde ein 45-Minuten-Trailer hergestellt, den der NDR ausstrahlte. Das Echo auf diese Sendung war sehr viel größer. Insgesamt wurde 2 1/2 Jahre produziert, davon entfielen 1 Jahr auf Recherchenarbeit 1 1/2 Jahre auf Formatanpassung des ausgewählten Materials, Schnitt, Musikauswahl, Text/Kommentarausarbeitungen und -auswahl.

Das Montageprinzip der Folgen 4 und 5 ist getragen von der Absicht, die Gleichzeitigkeit von Schrecken (Krieg) und IdylIe (privates Alltagsleben) herauszuarbeiten. Dieses Montageprinzip entsprach dem Material, das eingesandt wurde. Während zum Beispiel in Folge 4 Kriegsvorbereitungsdarstellungen konfrontiert werden mit Privatszenen (Ausflug in Cliquen oder Familie), sind in Folge Szenen aus dem Krieg gegenübergestellt solchen aus dem häuslichen und idyllisch dargestellten Familienleben.

Dieses Montageprinzip bestimmte auch den Einsatz von Textkommentar und Musik: Behrens/Kuball waren bemüht, die jeweiligen Amateurfilmer am Schneidetisch den Kommentar zu ihren Filmen selbst zu lassen, was aber nur in den seltensten Fällen möglich war, Um die daraus entstandene „Lücke“ aufzufüllen, besannen sie sich auf Originaltonaufnahmen aus jener Zeit. Damit wurde der Unterschied der Alltagsdarstellung zur Alltagserfahrung der Menschen herausgearbeitet, also der Unterschied oder die Diskrepanz, die sich auch in den Köpfen der Einzelnen abspielten.

Eine Zuschauerin bestätigte die Gültigkeit dieses Prinzips. Es gebe adäquat die Schizophrenie im damaligen Bewußtsein wieder, die im Dualismus von Schrecken und Idylle bestanden habe. Diese Schizophrenie verhindere heute die Erinnerung an jene Zeit. Insofern leiste der Film wertvolle Hilfe dabei, diese Erinnerungsarbeit in Widersprüchen zu leisten.

Eine andere Zuschauerin hob den didaktischen Wert des Films für den Geschichtsunterricht hervor, da es den Schülern möglich sei, im Film wiederzuerkennen, was Eltern und Großeltern über diese Zeit erzählten.

Ein weiterer Beitrag unterstrich positiv, daß dies Geschichtsbearbeitung sei, wie sie von den Medien nicht geleistet würde. Daß die Widersprüchlichkeiten im Film hervorgehoben wurden, bedeute auch, daß die Widersprüche im Bewußtsein nicht geglättet worden seien, wie es die Medien im allgemeinen tun. Außerdem gelinge es dadurch, ein anderes Verhältnis zu den Menschen zu gewinnen, die jene Zeit miterlebt haben. — Die beiden Filme hätten dadurch die Notwendigkeit von Amateurfilmen bezeugt, die in ihrer Filmproduktion keinen Verwertungs- oder (inneren) Zensurzwängen unterliegen und viel genauer beobachten, als es ein Medienproduzent zu tun imstande sei.

Eine andere Tendenz in der Diskussionsrunde konzentrierte sich auf den dokumentaristischen Anspruch der Filmemacher (Behrens/Kuball). So wurde zum einen angezweifelt, ob es gestattet sei, diese Filme, die selbst Geschichtsquellen sind, noch einmal zu bearbeiten, da damit sozusagen Quellen-Manipulation stattfände. Ein anderer Beitrag konfrontierte dieses Problem mit dem filmtheoretischen Zitat von Alexander Kluge im Film (Folge 5) selbst, wo es sinngemäß heißt, daß der dokumentarische Wert von Filmen nur dann bewahrt werden kann, wenn das Material so wenig wie möglich oder überhaupt nicht bearbeitet wird.

Die Folge 5 insbesondere stelle einen Widerspruch zum angeführten Zitat dar, da sie – stärker als Folge 4 – bearbeitet worden ist. Behrens/Kuball erläuterten, daß jeder Sendeteil ein filmtheoretisches Zitat enthalte, das eingebracht wurde, um dem Zuschauer die Möglichkeiten des Umgangs mit Filmen vorzustellen. Ihrerseits hätten sie sich bemüht, armes, Kino respektive Fernsehen zu machen, authentisch zu arbeiten. Da sie sich selbst aber mit der NS-Zeit nicht identifizieren konnten (etwa, indem sie einen inhaltlichen Kommentar zu den Bildern gegeben hätten), weiterhin authentische Kommentare der Filmamateure nicht zu bekommen waren, hätten sie auf O-Ton-Dokumente zurückgegriffen (Radio, Wochenschauen), eigene Texte verfaßt, in denen ihre Distanz artikuliert wurde, eine Distanz, die sie auch nicht nur mit authentischer Musik zum Ausdruck gebracht hätten, um ihr eigenes Verhalten als Zuschauer zu dokumentieren.

Andererseits sei natürlich auch manipuliert worden, notgedrungen schon dadurch, daß man sich den TV-Produktionsbedingungen unterwerfen mußte, an den Kriterien der Sendefähigkeit nicht vorbeigehen konnte. D.h. wenn die Filme so belassen worden wären, hätten die Zuschauer abgeschaltet.

Kritisiert wurde diese Haltung: Behrens/Kuball hätten kein Zutrauen in den Zuschauer. Besonders die 5. Folge sei eindeutig TV, also geglättete Produktion. Es wurde mehr Radikalität gefordert, die Bilder für sich sprechen und den Zuschauer für sich selbst sprechen zu lassen, anstatt sie mit schnulziger Musik einzulullen, auch wenn diese der Zeit entspräche.

Ein anderer Diskutant formulierte schärfer, daß der Zuschauer gegängelt worden sei. Als Beispiel (5. Folge) wurde dafür der Filmausschnitt genannt, der das zerstörte Hamburg zeigt, gleichzeitig einen Kommentar einer Auschwitz-Insassin unterlegt, die über die Barbarei der Nazis in den Lagern berichtet. Da seien die Bilder über das zerstörte Hamburg, die Ursachen der Zerstörung durch die Gegensteuerung im Text eingeebnet worden, so, als ob Juden und Deutsche das gleiche „Schicksal“, die gleiche Geschichte gehabt hätten.

Das wurde von einer Zuschauerin bekräftigt: dieser Filmausschnitt im Zusammenhang mit dem Text liefere genau das Geschichtsbild, das ihr von ihren Eltern vermittelt würde: „Alle sind wir Opfer“. Eine solche Darstellung mache es unmöglich, Geschichte wirklich zu begreifen.

Ein weiterer Kritikpunkt befaßte sich damit, daß der Filmkommentar nicht darauf hinweist wem es damals möglich war zu filmen, nämlich vorwiegend bürgerlichen Amateurfilmern, die es sich leisten konnten, das Material zu bezahlen. Dies bedeute auch, daß der Enthusiasmus gegenüber dem Amateurfilm (sozusagen als wertfreie Distanz) relativiert werden muß, Chronistentum auch klassenspezifisch zu begreifen ist. Ebenso ist die ästhetische Qualität zu untersuchen: ganz klar orientiert sie sich bei den vorliegenden Filmen an den Kultur- und Spielfilmen jener Zeit. Behrens/Kuball stimmten zu, verwiesen aber darauf, daß auf diese Fragen in einer anderen Folge eingegangen worden ist.

Arbeiteramateurfotografen hätte es erst hin und wieder – ab den 30er Jahren gegeben (davor nur im Arbeiter-Fotografen-Bund der Weimarer Zeit). Eine Minute im Film – als Beispiel – hätte etwa soviel gekostet wie die Miete für eine 3-Zimmer-Wohnung. Richtig durchgesetzt habe sich in einer breiteren Bevölkerungsschicht der Amateurfilm erst in den 50er Jahren.

Zur Zuschauerreaktion berichteten Behrens/Kuball: nach den Sendungen sind sehr viele Briefe eingegangen, vor allem auch von den Leuten, die die Filme gedreht hatten und sie verloren glaubten. Ein Filmamateur, dessen Film auf dem Sperrmüll gefunden worden war und dessen Name auf dem Vorspann jüdische Herkunft vermuten ließ, hatte sich anderntags nach der Sendung gemeldet und über die Unmenschlichkeiten und das Leiden, das ihm während des Krieges durch die Nazis zugefügt worden war, berichtet. An dieser Geschichte würde noch einmal besonders deutlich, daß hinter jedem solchen Dokument erlebte Geschichte stünde, die zu verdeutlichen für sie wichtig war in Montage und Bearbeitung des Materials.