Extra

Duisburger Klassik 2

Duisburger Filmwoche 49
09.11.2025

Podium: Peter Röhsler
Moderation: Mika Kleffner, Martha Leidorf,
Protokoll: Fiona Berg

Jugendliche wählen historische Filme aus, die das Festivalmotto umspielen. In der Ausstellung „Vernichtungskrieg“ über die Verbrechen der Wehrmacht sprechen Menschen, die dabei waren, ihre Erinnerung in die Kamera: Soldatenehre, Schuldamnesie, Relativierung, Reue. Halt suchend in der eigenen Version der Geschichte, steht eine Generation vor den Zeugnissen ihrer Vergangenheit. Ruth Beckermanns Fragen sind knapp, die Antworten zeugen gleichsam vom Bedürfnis, endlich zu sprechen wie von der Gewohnheit zu schweigen.

Jenseits des Krieges
von Ruth Beckermann / AT 1996 / 117′

Protokoll

Wo ein Jenseits ist, ist auch ein Diesseits. Die aktuellen Wehrdienst-Debatten kommen in dieser Diskussionsrunde nach der Vorführung von Ruth Beckermanns Film zwar nicht vor, aber der Film spricht in seiner Thematik für sich. Mika Kleffner und Martha Leidorf, die gemeinsam mit Samira Yartaoui der jugendlichen Auswahlkommission der Duisburger Klassik angehören, beginnen deshalb direkt mit den Fragen. Sie sitzen mit Kameramann Peter Röhsler an einem Hochtisch auf Hockern vor der Leinwand. Er entschuldigt sich zunächst, er sei ein „schwacher Ersatz“ für die Regisseurin und erzählt von Beckermanns Engagement in der Waldheim-Debatte. Auslöser dieser Debatte war die NS-Vergangenheit und Wehrmachtsbeteiligung des österreichischen Bundespräsidenten Kurt Waldheim, die im Zuge seines Wahlkampfs in den 1980er Jahren öffentlich wurde und eine umfassende Aufarbeitung des Nationalsozialismus forderte (siehe Beckermanns Film WALDHEIMS WALZER).

Die sogenannte erste Wehrmachtsausstellung (mit dem Titel Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944), in der die Kriegsverbrechen der Wehrmacht erstmals dargestellt wurden, kam im November 1996 nach Wien und zeigte, so Röhsler, dass es nicht nur die Spezialeinheiten waren, sondern auch ganz gewöhnliche Wehrmachtssoldaten, die Verbrechen begangen hatten. Gefilmt wurde während der gesamten Wiener Ausstellungsdauer, zwischen dem 19. und 22. November 1996, berichtet der Kameramann. Sie seien jeden Tag dort gewesen und hätten sich hingestellt und gefilmt. Martha Leidorf fragt, wie dieses Vertrauen zustande kommt, mit der sich die Ausstellungsbesucher und -besucherinnen vor der Kamera öffnen, Mika Kleffner nach dem eigenen Umgang mit der vorherrschenden Verleugnung. Peter Röhsler: „Es war, wenn man will, wie ein offener Beichtstuhl“, der einen Mantel des Schweigens lüftete. Die Kamera schützte ihn derweil auch vor der eigenen Reaktion.

Die Verdrängung wird für den Kameramann auch optisch an der Kleidung sichtbar, denn er fragt danach, ob das Publikum bemerkt habe, dass alle, die in diesem Film die Gräueltaten der Wehrmacht verleugnen oder nicht erinnern wollen, einen Hut tragen. Es wird gelacht, doch der visuelle Zusammenhang scheint da (ob alle Menschen mit Hut etwas zu verstecken haben?). Dann erzählt Röhsler im Sinne des Filmes auch über die Auseinandersetzung mit der Kriegsvergangenheit des eigenen Vaters, die die Forschung und der Film angestoßen hätte. Der habe als Obergefreiter keine große Rolle im Geschehen gespielt. „Danke, dass Sie das so offen erzählen“, findet die Auswahlkommission.

Der Film wurde zunächst ohne Geld gedreht, erst später kamen ein Produzent und Förderung hinzu. Der Kameramann könnte sich nicht vorstellen, dass etwas Wichtiges aus den zehn Stunden Drehmaterial weggelassen worden wäre. Auch hätte es keine explosiveren Situationen gegeben. Auf eine andere Publikumsnachfrage hören wir etwas über die Ausstellung und die Kooperation mit den Veranstaltern des Hamburger Instituts für Sozialforschung. Auf den circa 250 Quadratmeter mit den vielen Paneelen war nicht viel Platz, es war recht eng und dadurch kam das FIlmteam den Zeitzeugen auch sehr nah. Es gab keinen Tonmann, nur ein Richtmikrofon. „Das merkt man“, setzt die fragende Person hinterher. Die vorangegangene Filmvorführung wurde nach kurzem Zögern nochmal unterbrochen, da die Version mit englischen Untertiteln gezeigt werden sollte, um wohl das Sprachverständnis zu erhöhen.

Alexander Scholz fragt nach den Konstellationen zwischen den Besucher:innen der Ausstellung, die hinter den Interviewten auftauchen und interessante Blickachsen bilden. Warum gibt es nicht noch mehr dieser Momente, abseits der Interviews? „Ruth wollte das so“, erklärt Röhsler, es gab aber auch die Abmachung mit dem Institut, die Ausstellung selbst nicht abzubilden. Mirjam Baumert fragt daran anknüpfend nach den Kamerabewegungen. Die seien „so passiert“, er hätte wenig Kontrolle über das Scharfstellen gehabt, es sei „eine richtige Scheißkamera“ gewesen, dessen Auflösung sehr schlecht war. Dafür ist er sich aber Relevanz des Films sicher; er kenne keinen anderen (Fernseh-)Film, der das so einfängt und spricht vom „Konkordat des Schweigens“, bemüht damit noch einmal eine religiöse Metapher. So kommt die Frage der Verweigerung im Film wie auch im Gespräch gar nicht erst auf, einer der interviewten Männer sah trotz antifaschistischer Haltung keine Möglichkeit sich dem Einzug in die Wehrmacht zu entziehen.

Auch dem Diesseits des Krieges – in Europa und anderswo – scheinen sich hier alle bewusst (eine Anhörung bezüglich der aktuell debattierten Wehrpflicht wird morgen im Verteidigungsausschusses des Bundestags stattfinden). Die letzte Frage zur Zirkulation macht die Bedeutung von (Wieder-)Aufführung außerhalb von Filmfestivals deutlich. Der Film feierte Premiere bei der Berlinale, von Neonazis wurde der Film „sicher nicht gesehen“. „Die Jugend hat ein Recht darauf, zu erfahren, was passiert ist“ klingt der Ausspruch einer der Nachkommen im Film nach – genauso wie die Verbrechen und deren anhaltende Verdrängung. Ein wichtiger Abschluss dieser Woche, befindet auch die Moderation.