Film

Waldheims Walzer
von Ruth Beckermann
AT 2018 | 93 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 42
08.11.2018

Diskussion
Podium: Ruth Beckermann, Dieter Pichler (Schnitt)
Moderation: Werner Ružička
Protokoll: Laura Reichwald

Synopse

Kurt Waldheims Kriegsbiographie ist lückenhaft, seine Nachkriegskarriere mustergültig. 1986 soll sie im Amt des österreichischen Bundespräsidenten gipfeln. Als Anheizer und Gegenstand einer nationalen Erregung – als Medienphänomen – wird Waldheim gepflegtes und verhasstes Sinnbild einer kollektiven Amnesie.

Protokoll

Werner Ružička eröffnet das Gespräch mit der Frage, wie es für Ruth Beckermann gewesen sei, das Material, was sie selbst drehte, aus heutiger Sicht noch einmal zu sehen und wie sie damit umgegangen ist. Die Filmemacherin berichtet, dass nur die Materialkopie auf VHS überlebt habe. Das Originalmaterial sei damals vom Produzenten entsorgt wurden. Als sie nun vor ein paar Jahren mit mehreren 20- jährigen Männern in ihrer Wohnung das Material sah, wühlte dieses die Zuschauer sehr auf. Aber keiner der Männer wusste, wer Waldheim war. So erzählte sie von Waldheim und anderen Politikern wie Nixon, die gelogen hatten. Das fanden die Anwesenden sehr interessant und ermutigten sie, einen Film darüber zu machen. Zu Beginn war sie sich sicher, dass sie das nicht tun würde, weil sie damals dabei war. Und nach ihrem Verständnis ist Dokumentarfilm ein Forschungsfeld, eine Suche nach etwas Neuem. Mit der Zeit fand sie es dann doch interessant, denn noch nie hatte jemand die Waldheim-Affäre aus internationaler Sicht betrachtet, sondern immer aus nationaler. Sie wollte wissen, wie das ausländische Material aussah und das war der Anreiz, in die Archive zu gehen und Neues zu entdecken.

Und es sei auch sehr interessant, dass dieser Film in seiner Thematik immer noch aktuell ist. Werner möchte wissen, ob von Beginn an klar war, dass die Perspektive bis in die Gegenwart reichen würde. Ruth Beckermann vertritt die Auffassung, dass jeder jeden Film aus der Gegenwart für die Gegenwart macht und nicht als historischen Lehrfilm. Mit den Arbeiten zum Film hatte Beckermann bereits 2013 begonnen, sie dann verschoben und sich erst 2015 und 2016 wieder dem Material gewidmet. Damals war nicht klar, dass die Thematik so aktuell werden würde. Nach der Trump-Wahl 2017 war das anders. Aber die Form des Films hätte dies nicht beeinflusst.

Das Gespräch wendet sich der Kameraarbeit Ruth Beckermanns zu. Werner fand die Großaufnahme von Waldheims Händen großartig – die Strategien Beckermanns mit dem Körperlichen umzugehen – und fragt nach, was sie damals interessiert hätte bei der Kameragestaltung. Ruth Beckermann berichtet, dass sie damals fast die einzige war, die drehte. Zu dem Zeitpunkt hatte sie noch nie eine Kamera in der Hand und ihre eigene Kameraarbeit auch nicht ernst genommen. Viele Sachen, die sie heute schön findet, sind damals einfach so passiert wie beispielsweise der Schwenk von Protestierenden, die „Waldheim nein!“ rufen, zu einem Einzelnen, der „Waldheim ja!“ ruft. Interessant ist, dass ihr Waldheim erst durch das Betrachten des Materials als derjenige erschienen ist, den man im Film sieht. Diese Erschaffung des Körperlichen, die Werner angesprochen hat, das wäre etwas für sie, was Film könne. Vielen seien die Hände Waldheims früher nie aufgefallen. Und obwohl er jetzt tot ist, haben seine Hände, seine Gesten, seine Mimik überlebt. Das Körperliche löst sich im Film vom wirklichen Mann ab.

Werner kommt auf den Montageprozess zu sprechen. Er könne sich denken, dass es eine enorme Arbeit sei, das Archivmaterial anzureichern. Dabei sehe er vor allem zwei Probleme: neues Material finden und das Material zu bändigen. Ob es bei der Materialsuche Widerstände, Vorbehalte oder Ermutigungen gab, fragt er Ruth Beckermann. Diese erwidert, dass es eigentlich keine Vorbehalte gegeben hätte, ihr aber klar war, dass es ein Film ist, der von Förderern gewollt und finanziert werden muss. Ursprünglich sei auch nicht geplant gewesen, ihr eigenes Material in den Film zu schneiden. Es sollte ein reiner Kompilationsfilm aus Archiven werden, der einen Rückblick auf österreichische Skandale wirft, bei denen die Vergangenheit plötzlich da war und dann wieder zugeschüttet wurde. Bei der Waldheim-Affäre jedoch konnte man es nicht mehr zuschütten. Es habe lange gedauert bis ihr klar wurde, dass sie sich darauf konzentrieren und der Film aus ihrer Perspektive erzählen würde. Erst dann konnte der eigentliche Schnitt anfangen.

Begonnen habe sie die Recherche im ORF-Archiv und habe sich dann ausländischen Archiven zugewandt. Das waren gefühlte 2.000 Stunden Material von denen sie 200Stunden bestellt habe. Dieter Pichler ergänzt, dass es ein zweigeteilter Sichtungsprozess war. Ruth sichtete Material in den Archiven und anschließend sichteten sie gemeinsam drei Monate die ausgewählten 3.500 Clips mit einer Länge zwischen einer Minute und einer Stunde. Dieser aufwändige Sichtungsprozess sei wichtig gewesen, um ein Verhältnis zum Material zu entwickeln. Gerade auch weil wenig Rohmaterial zur Verfügung stand, sondern oft schon vom Fernsehen geschnittene Beiträge mit der für diese typischen Form wie Talking Heads und vielen Nahen. Offenere Bilder musste man da suchen.

Ruth Beckermann erzählt dazu, dass sie sehr lange gebraucht hätte, um eine Beziehung zum Material zu bekommen. Wenn man selbst drehe, dann hätte man so viele Erinnerungen an den Dreh, da braucht man Zeit sich zu distanzieren. In diesem Fall war es umgekehrt. Das Material war kalt. Man wusste nicht wer es gedreht hatte, warum und mit welchen Gedanken. Deswegen hätte sie so lange gesichtet bis das Material gesprochen hat.

Entstanden sei ein Film, und das war Beckermann sehr wichtig, der eben kein Biopic ist und auch kein historischer Film über Österreich, sondern einer, der den Mechanismus der Erschaffung von Feindbildern offen legen soll. Ein Film einerseits über einen Politiker, der lügt – und wie er das tut und sich verteidigt. Und andererseits eine Parabel, ein Beispiel der österreichischen Politik damals.