Film

Elbows in Shatters
von Danila Lipatov
DE 2025 | 76 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 49
05.11.2025

Diskussion
Podium: Danila Lipatov, Karen Zimmermann
Moderation: Mischa Hedinger
Protokoll: Caroline Schöbi

Synopse

Eine Nacht in Dushanbe. Aus dem Dunkel fragt eine Stimme: „Was bedeutet das: Zusammensein?“ In losen Beobachtungen erkundet Danila Lipatov die Hauptstadt Tadschikistans. Er sucht nach Verbindungen zu seinen Verwandten, die bis zu ihrer Flucht in den 1990er-Jahren hier gelebt haben. Rund um das Jugendkulturzentrum Bactria lernt er eine Gruppe Menschen kennen, mit denen er ins Gespräch kommt. Gegenwart wird umarmt, Geschichte gestreift. Tableaus einer temporären Gemeinschaft.

Protokoll

Freundschaft. Raum. Freiheit. Drei Begriffe, die mehrmals fallen. Nicht, dass sich ELBOWS IN SHATTERS auf diese herunterbrechen ließe, aber zur Orientierung können sie in der Tat behilflich sein. Denn der Film, das macht auch das Gespräch deutlich, lässt einiges offen; nimmt uns Zuschauer:innen wenig – oder anders – an die Hand, was beim Publikum unterschiedliche Reaktionen auslöst.

Am Anfang des Projekts steht allerdings nicht die Freundschaft, sondern die Familie: Dieser wollte Danila Lipatov in seinem Film nämlich nachspüren – den Geschichten und Orten, den mit Glas übersäten Ellbogen-Makkaroni, von denen seine Tante ihm über Skype – und uns im Off-Kommentar – erzählt. In Dushanbe, der Hauptstadt Tadschikistans, wo seine Verwandten bis zu ihrer Flucht in den 1990er-Jahren gelebt hatten, verbringt Danila Lipatov sechs, seine Editorin und Produzentin Karen Zimmermann einen Monat. Schnell lernen sie rund um das Jugendzentrum Bactria Menschen kennen. „Das war krass. Ein Safe-Space“ erinnert sich Lipatov. Dort würden sich die Leute frei fühlen – beim Musik- und Theatermachen. Beim Zusammensein. Während der ersten zwei Monate hätten sie kein Material gedreht, sondern „abgehangen, diskutiert und Party gemacht“. Schließlich sind in diesem Kontext Interviews entstanden – Gespräche über Interessen, Vorstellungen oder Wünsche der einzelnen Protagonist:innen, nach denen Lipatov im Folgenden seinen Film arrangierte.

Dass die Szenen im kollektiven Austausch entstanden seien, erstaunt Mischa Hedinger angesichts der filmischen Form: eine beobachtende Haltung, lange stehende Tableaus, die in sich vielfältige Choreografien tragen. Wie habt ihr diese Längen gefunden, die Choreografien angeleitet, will Hedinger wissen, woraufhin Lipatov das Zustandekommen der „Kriminalistik-Szene“ beschreibt: Ismael, der in der Szene zu sehen ist, hätte er gleich zu Beginn kennengelernt; „Irgendwann haben wir eine krasse Freundschaft gehabt“. Lipatov, der bis zu diesem Punkt technisch alles selbst gemacht hätte, brachte Ismael die Tonarbeit bei, was schließlich zu einer stimmigen Zusammenarbeit führte. Ismael habe irgendwann den Wunsch geäußert, im Kontext des Films nicht nur seine Ton-, sondern auch seine Kriminalist–Fähigkeiten unter Beweis stellen zu können – so sei die Szene letztlich entstanden.

Aufs Neue etwas überrascht merkt Hedinger an, dass sich im Film, verglichen zum bislang Erzählten, eher wenig Kontext wiederfinden würde: Wie geht ihr mit diesem Nichtwissen der Zuschauer:innen um?

Es sei klar, dass sie im Gegensatz zum Publikum die Leute richtig gut kennen würden. Das Nähe-Distanz-Verhältnis zu manövrieren, sei ein langer und herausfordernder Prozess gewesen, sagt Karen Zimmermann: Wie können die einzelnen Geschichten filmisch erzählt werden? Wann gehen wir auf Distanz – wann soll die Beziehung enger werden? Lipatov beschreibt die filmische Dramaturgie als molekülartig – individuelle Geschichten, die sich veränderten, sobald sie zueinander in Beziehung treten würden. An anderer Stelle greift er die Frage nach einer filmischen Darstellung von Freundschaft nochmals auf; wie könne man erzählen, dass man sich bereits kenne und nahe ist? Ein Versuch, diese Bindung greifbar zu machen, wäre unter anderem das Fragen aus dem Off gewesen – im Sinne einer Markierung von bereits bestehenden Verbindungen. In diesem Zusammenhang betonen beide verschiedentlich die Relevanz der „Ohrring-Szene“; der Moment im Film, in dem Lipatov gemeinsam mit einer Freundin einen Ohrring aus Stein herstellt – was ebenso Akt der Freundschaft wie des Protests sei. Eine mehrminütige Szene würde das gesamte Gefühl des Films besonders gut zusammenfassen, meint Mischa Hedinger: Eine Abschlussparty, auf der unter anderem eine Rede vorgelesen wird, die von der vortragenden Person selbst als „Manifest der Freiheit einer kleinen Gemeinschaft“ bezeichnet wird.

Da ist gleichzeitig viel Platz und Enge in den Bildern, äußert eine Person aus dem Publikum; sowohl das Gefühl des Eingesperrtseins in den (konkreten und übertragenen) Räumen als auch die Wahrnehmung von Platz und Freiraum – für Menschen, Handlungen, Situationen – würde sich filmisch transportieren. Lipatov und Zimmermann führen diese Empfindung auf die Kontrastierung zwischen Innen- und Außenaufnahmen zurück: auf eine Diskrepanz, die sich zwischen einem privaten, im Sinne eines geschützten, und einem öffentlichen Raum auftue.

Hedinger versucht ein Resümee: Liegt die Freiheit womöglich in der Dauer der Einstellung? „Mich machen diese Längen ja manchmal etwas nervös“, räumt Zimmermann lachend ein. Aber ja, wenn es darum gehe, den einzelnen Personen Raum zu überlassen – diesen einzunehmen oder auszufüllen – würde das vielleicht schon zutreffen. In den mehrschichtigen Bildern könnten die Zuschauer:innen einen eigenen Rhythmus und Fokus finden, merkt Zimmermann an. Was das angeht, sind die Meinungen im Publikum gespalten. „Für mich war diese Nähe total spürbar“ schildert eine Person, während eine andere einräumt, dass sie während des Schauens sehr ratlos gewesen wäre: „Was ihr jetzt erzählt, das sind wichtige Informationen. Dass ich das nicht durchs Sehen mitbekommen habe, ist eigentlich schade“. Zudem hätte sich eine Angst vor zu viel Nähe zu den Protagonist:innen spürbar gemacht.

Es sei interessant, was als Nähe empfunden werde, knüpft Zimmermann an. Oftmals hinge die gefühlte von einer bildlichen Nähe ab – als sei sie an eine körperliche Nähe zur Linse gekoppelt. Doch: Was heißt Annäherung – der Wunsch, einer Person nahe zu sein? Wie viel Raum gibt oder nimmt man einer Person?