Synopse
Ein Vorhang wird aufgezogen: wieder ein Tag. Eine alte Frau in einem großen, leer gewordenen Haus geht ihren Routinen nach. Sie zieht sich an, lüftet, isst einen Keks, sucht ihre Brille, sieht fern. Der Blick schweift mit ihr mit und wieder ab – zu einer Ameise auf ihrem Weg in den Bau, zu einem bis zur Abstraktion vergrößerten Pixel. Eine Choreografie aus Gesten und Beobachtungen im Laufe eines Tages und im abnehmenden Licht des Abends.
Protokoll
Zum Einstieg erinnert Königshofen sich an die erste Einstellung des Films: ein relativ langes Schwarzbild, vor dem sich allmählich eine Tonspur aus Alltagsgesräuschein ausbreitet. Danach eine Gardine, eine offene Sockenschublade, eine Spiegelung, bevor wir die Protagonistin – die zum Zeitpunkt der Dreharbeiten 93-jährige Großmutter des Regisseurs – sehen. Königshofen will wissen, warum sich Koller seiner Protagonistin „über Bande“ angenähert hat, Psychologisierung und Familiengeschichte vermeidet und wie der Film überhaupt zustande kam.
Koller, für den die Urauffühung in Duisburg auch die erste Sichtung des Films auf großer Leinwand bedeutet, findet die Schwarzbild-Einstellung für das Kino im Nachhinein etwas lang. Er wollte Betrachter:innen die Möglichkeit geben, sich langsam anzunähern, weil die Exposition nach dem Schwarzbild ziemlich viele Elemente und Informationen enthalte, in denen man sich erst zurechtfinden müsse. Ursprünglich habe er ein viel umfangreicheres Projekt geplant, in dem es nicht nur um seine Großmutter, sondern unter anderem auch um den Abriss des Hauses und den Lauf eines nahegelegenen Baches gehen sollte. Dann habe sich die Idee aber mehr und mehr verdichtet und er habe gemerkt, dass die Ursprungsidee vor allem zeitlich nicht umsetzbar sei. Stattdessen hat Koller dann viele Wochen mit seiner Großmutter verbracht, eine Woche lang sei auch sein Kameramann Nico Pistec vor Ort gewesen.
Königshofen will wissen, wieviel Inszenierung in Kollers Film stecke, weil die Kamera oft schon im Raum sei, den die Großmutter dann betrete. Er berichtet schnell und enthusiastisch, dass sein Film keinen Hehl daraus mache, sehr „gebaut“ zu sein. Er habe viel beobachtet, aber aus dem Wunsch, den Alltag der Großmutter zu bewahren und auch zu zeigen, wie autark sie diesen meistert, habe sich für ihn schnell die Sehnsucht nach einer anderen Form ergeben. „Wenn man nur beobachtet, offenbaren sich Dinge anders, als wenn man versucht, eine Form für das zu finden, was man eigentlich offenbaren will“, erklärt Koller seinen abstrakt-formalistischen Ansatz. Viele Einstellungen habe er sehr oft und zu verschiedenen Tageszeiten gedreht und beispielsweise Einstellungsgrößen variiert.
Eine Zuschauerin erkennt an, dass Filme interessanter werden, wenn man gemeinsam über sie spreche. „Beim Gucken hat mich dein Film wahnsinnig gemacht, dann kippt es auch noch ins Experimentelle….man muss das nicht mögen. Und ich mag das glaube ich nicht, aber ich finde es beeindruckend, wie gut du dein Konzept verteidigen kannst“, ergänzt sie. Eine andere Zuschauerin stimmt zu. Sie habe ständig das Festivalmotto im Kopf gehabt und sich vorgestellt, wie der Filmemacher seine Großmutter auffordert „Halt! Stopp! Jetzt kannst Du weitermachen“. Für sie ist es ein Enkelfilm: darüber, was Koller sehen und filmen möchte, nicht über die Großmutter. Eine andere Frau im Publikum widerspricht: Sie fühlte sich von der ersten Einstellung an abgeholt und habe gerade in den experimentellen Sequenzen viel interpretationsoffenen Symbolismus entdecken können. „Die emsigen Ameisen, die wie die Oma hin und her laufen“. Das Ende mit den sehr abstrakten Nachtaufnahmen habe sie dann aber auch etwas irritiert.
Ute Adamczewski würdigt die gute räumliche Erkundung des Interieur des Hauses und sieht die Kamera in einer Art Default-Modus: Als sei die immer schon da gewesen, wenn etwas passiert. Sie möchte wissen, ob es außer den raren Schwenks auch Kamerafahrten gab; ob und warum diese bei der Montage herausgefallen sind. Koller erzählt eine wilde Geschichte von PVC-Rohren aus dem Baumarkt, mit denen er Dollys gebaut habe, um Fahrten am Bach entlang zu drehen, die aber hinterher beliebig gewirkt und nicht funktioniert hätten. Ähnlich verhält es sich auch mit der ungefähr mittig platzierten Szene von Nahaufnahmen der Familienfotos, bis zur Offenbarung ihrer verkratzen Oberfläche vergrößert, über die Königshofen mehr erfahren will. Koller breitet auch hier ein Konzept aus, das ursprünglich die Familiengeschichte und Biografie seiner Großmutter als eine Art schnelle Collage auffächern sollte, was er letztlich verworfen habe: „Man muss nicht alles auserzählen oder wissen“. Er habe auch viel Material gedreht, das seine Großmutter in Interaktion mit anderen Menschen zeige. Tatsächlich habe sie viel Besuch, gehe regelmäßig in die Kirche, sei sozial eingebunden. Das habe aber nicht zu dem gepasst, was er zeigen wollte und was auch der Grund dafür sei, dass seine Großmutter im Film kaum spreche.
Königshofen möchte noch mehr über das Motiv der Vergänglichkeit wissen: Die Ameise im Netz der Spinne, die gefressen wird; der Kältetod in dem Western, den die Großmutter im Fernsehen guckt – nehmen diese den Tod vorweg? Sie fragt konkreter „Wenn wir die Ameisen beobachten, als deine Großmutter Mittagsschlaf macht, sind wir dann in ihrem Unterbewusstsein?“. Koller antwortet etwas perplex aber entschlossen: „Ich glaube wir sind dann im Garten!“. Die angesprochenen, experimentelleren Einstellungen und Sequenzen seien eher zufällig entstanden, er habe kein Drehbuch oder irgendeine schriftliche Grundlage genutzt. Ein Zuschauer fragt, ob das auch für die Szene mit den Pixeln gilt? Koller gibt auch hier wieder Einblick, wie verschiedene komplexe Ausgangsideen verworfen und stattdessen verdichtet wurden. Die Sequenz mit den Pixeln war ursprünglich von einer Szene aus einem Film von Michael Snow inspiriert, in der ein sehr schmales Bild immer breiter wird. Aber auch das habe letztlich technisch nicht funktioniert, unter anderem weil er keine runden Dollys aus den PVC-Rohren habe bauen können. Übriggeblieben sei lediglich die Idee, so weit in das Bild vorzudringen, dass es nur noch aus den unterschiedlichen Helligkeiten von Rot, Grün und Blau auf Pixelebene bestehe.
Wie die eigene Oma den Film denn gefunden habe möchte eine Zuschauerin abschließend wissen. „Sie fand ihn etwas langsam und zu lang. Fühlte sich aber geschmeichelt“, erzählt Koller. Während des Drehs habe sie ihn immer wieder gebremst und auch mal eine Szene über seinen Kopf hinweg als beendet erklärt. „Das war auch gut so, denn sonst würde ich heute noch drehen“, vermutet Koller.