Film

Was hast du gestern geträumt, Parajanov?
von Faraz Fesharaki
DE 2024 | 82 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 48
08.11.2024

Diskussion
Podium: Faraz Fesharaki
Moderation: Patrick Holzapfel
Protokoll: Fiona Berg

Synopse

Die schlechte Verbindung sorgt für kleine Zeitsprünge im verpixelten Bild. „Ist das dein Zimmer?“, fragt die Familie aus Isfahan – „Verfolgt ihr die Demonstrationen am Fernseher?“, fragt der Regisseur aus Berlin. Der Wunsch, sich verständlich zu machen, und die Distanz, die es zu überbrücken gilt. Die Mutter erinnert sich an ihre Zellengenossinen, der Cousin in Wien hat ein neues Toastrezept, manchmal verlässt jemand das Bild. In Notizen und Videocalls vermittelt sich Wärme und Alltag, ein subtiles Sprechen über Politik und Gefühl.

Protokoll

Den Einstieg der Diskussion über das Strukturelle des Films hätte sich der Filmemacher Faraz Fesharaki gerne an späterer Stelle gewünscht; dafür müsse er erstmal ausholen. Beachtlich ist, wie lange der Filmemacher und Kameramann an der Montage gearbeitet hat. Über einen Zeitraum von sechs Jahren suchte er nach einer Struktur, die auch für die abgebildeten Personen „fair“ ist. Dabei kamen je nach Schnitt immer wieder andere Filme heraus. Ganze 100 Stunden Material habe er gesammelt, Gespräche mit der Familie und Freunden im Iran über Skype – automatisch aufgenommen mit einem Softwareprogramm, das auch den Ausschnitt teilweise bestimmte.

Eigentlich als Inspirationsquelle für Inszenierungen gedacht, habe er begriffen, dass in den Aufnahmen was Spannendes passiert, was gar nicht reinszeniert zu werden braucht. Dass hier dennoch viel formal eingegriffen wurde, zeigen nicht nur die strukturierenden Elemente, die Zwischentitel, Kapitel und Farbflächen, die außerdem eine ästhetische Qualität aufweisen. Patrick Holzapfel verweist auf die Zwischensituationen der Gespräche, die Eingang in den Film finden, wie die Bilder, in denen Personen das Bild verlassen. Er habe nach Korrelationen gesucht und sei nach vielen Versuchen vom Kontext der Gespräche abgekommen. Währenddessen hätte er nicht behaupten können, zu wissen, was er da mache; es sei alles im Machen entwickelt worden. Da die Kamera automatisch aufgezeichnet hat, konnten sie oft vergessen, dass sie aufgenommen wurden. Als Kameramann sei er sich nämlich bewusst darüber, was die Anwesenheit einer Kamera im Raum macht und dass er das nicht haben wollte.

Dieser Punkt erscheint interessant, kommt doch die Webcam der diese Woche viel beschworenen „Fliege an der Wand“ am nächsten, die Gisela Tuchtenhagen gestern im Panel zum beobachtenden Dokumentarfilm mit Aufnahmen einer Überwachungskamera verband, die im Gegensatz zu ihrer zugeneigten Kameraarbeit steht. Besonders glücklich kann er sich daher über den Kommentar der Filmemacherin schätzen, die als erste spricht, (nach mehrmaliger Aufforderung ans Publikum): was für eine tolle Familie er doch habe. Diese schöne Rückmeldung scheint Fesharaki nicht ganz annehmen zu können, er habe ja viel manipuliert und die Eltern würden sich selbst zum Beispiel nicht so wiedererkennen. Auch sei während des langen Montageprozesses je nach Stimmung eine andere Familie herausgekommen.

Glauben möchte man das nicht, ist doch der Humor und Intellekt, der hier aus den Begegnungen spricht, nichts Selbstverständliches. Der Wunsch über das Persönliche dennoch etwas Universelles zu erzählen, ähnlich wie bei privaten Briefwechseln, schlägt die Brücke zu den Familienporträts, von denen es einige dieses Jahr auf der Filmwoche gibt. Es mag an dem allseits als gelungen empfundenen Film und dem Gespräch liegen, das immer wieder ein Lachen produziert; an diesem Freitagabend mag sich keine Debatte entwickeln. Erst nach der Mahnung der Moderation (wir befinden uns auf der Duisburger Filmwoche) gesellen sich ein paar Komplimente und Kommentare dazu.

Beim Schauen seien ihm immer wieder andere Dinge aufgefallen, magisch-komische Momente, die ihn formal interessiert hätten. Ausgelassen wurde aufgrund technischer Mängel nichts, aber doch in die Bilder eingegriffen. Das Re-Framing scheint aber weniger aus Schutz der Familienmitglieder eingesetzt, sondern zeugt vielmehr vom Formbewusstsein und Sinn für Poesie des Filmemachers. Zuerst habe dieser mit zeitlichen Angaben gearbeitet und sei im Schnitt bestimmten Geschichten gefolgt, ist dann aber schnell weg davon, da es ihm viel zu konkret wurde. Auch das pixelige der Webcam widersetzt sich einer klaren Narration, die Störungen bei dieser Form der Internetkommunikation sind vorprogrammiert. Die Prekarität der Bilder verbinden sich auch mit dem gestrigen Beitrag von Farahnaz Sharifi und dem Gespräch über den Komplex von Kunstschaffen und Exil.

Auf die Frage der Moderation nach der musikalischen Rahmung beschreibt der Regisseur wie er damit etwas Kontext einbauen wollte, sich aber heute nicht mehr sicher ist, ob er die Schlusssequenz so hätte machen sollen. Die Lieder verorten die Bilder in der „post-revolutionären ideologischen Gesellschaft“, in der der Regisseur aufwuchs: Während die private Aufnahme aus Fesharakis Schulzeit, in der Kinder den Tod Amerikas Tod herbei singen, ist der Ausschnitt aus dem „patriotisch-melancholischen“ Lied am Ende nicht einfach in diese Ideologie einordbar. Tatsächlich wurde es von einem ehemals linken Komponisten geschrieben und durfte im Iran nicht gesendet werden. Es wird von einem Screening mit iranischer Community berichtet, bei dem sich diesbezüglich zwei Lager gebildet hätten; die einen fanden es sei gefährlich, das Lied so stehen zu lassen, während dies für die anderen doch auch mit Kindheitserinnerungen verknüpft ist und nicht einfach abzuwehren.

Die Ambivalenz des filmischen Heimatbezugs vermittelt sich unter anderem durch die Abstraktion der digitalen Bilder. Was heißt es, eine Familie im Schnitt zu erträumen? In einem System zu leben, das man nicht erträumt hat? Und, an welchen Orten werden Erinnerungen geschaffen?

 Fiona Berg © Duisburger Filmwoche, Foto: Simon Bierwald
Fiona Berg © Duisburger Filmwoche, Foto: Simon Bierwald