Synopse
Konrad Siegers absolviert sein Artikulationstraining, indes dreht ein Staubsaugerroboter beharrlich seine Runden. Siegers’ Muskeln zucken kaum merklich, er ringt mit den Worten. In repetitiven Übungen setzt er sich dem Fortschreiten seiner Krankheit entgegen. Das wohlorganisierte Eigenheim, eine weitere Stütze wider den Kontrollverlust. Seine Stimme soll in einem Sprachprogramm konserviert werden, das ist dem Vater wichtig. Aus dem Kassettenspieler singt ihr Echo, der Klang der Zukunft ist elektronisch.
Protokoll
Kurz war nicht nur André Siegers’ Film „Die Stimme des Ingenieurs“, sondern auch der pausierende Moment zwischen ihm und dem Gespräch, das man so in seiner assoziativen sowie brüchigen Weise auch als Fortsetzung zum Film verstehen könnte. Wie auf einem Podium gesprochen wird – mit welcher Stimme – und weniger was, erhält, geschärft durch den Film, dadurch plötzlich ungeheure Aufmerksamkeit. So dürfte nicht nur auffallen, dass alle Diskussionsteilnehmer:innen notorisch am Mikrofon vorbeisprechen, sie sprechen zudem latent aneinander vorbei, sie missverstehen sich, sie sagen oft das gleiche nur in Varianten und mit unterschiedlichen Dialekten. Fast will man glauben, eine geglückte, das heißt direkte oder fehlerlose, Kommunikation könne es gar nicht geben. Das lässt manchmal verzweifeln, zeugt aber auch von einer gewissen Ungeduld, von der Esther Kinsky später am Abend sprach. Mit Abstand erkennt man besser, vor allem bei diesem Gespräch, in welchen Schleifen, nicht zuletzt in Bezug auf andere Diskussionen davor und danach, sich das Sprechen bewegt. Bei Siegers’ Film versuchen die kreisenden Beiträge zwischen Podium und Publikum allmählich zu verstehen, was und wie gesehen wurde; das ist wiederum mit anderen Gesprächen kaum zu vergleichen. Es ist nämlich poröser, nicht immer leicht verdaulich, aber ein persönliches Angebot, in dem sich die Chronologie des Abends suspendiert.
Der Moderator Patrick Holzapfel stellt zu Beginn der Diskussion fest, dass sich der Film gleichermaßen auf einer persönlichen wie abstrakten Ebene bewege, was schon beim Titel des Films anfängt, der eine distanzierte wie auch intime Konnotation trägt. Im ersten Teil des Gesprächs soll es um das Persönliche gehen: Siegers teilt dazu mit, dass nach einer Diagnose der Motoneuron-Krankheit Amyotrophe Lateralsklerose (ALS) seines Vaters, Konrad Siegers, er zunächst gemeinsame Gespräche aufzeichnete, weil die Krankheit im Fall seines Vaters zum Stimmverlust führte. Später begleitete Siegers seinen Vater bei Sprechübungen, die auch im Film zu sehen sind, bis sein Vater im weiteren Verlauf der Krankheit von der Möglichkeit erfuhr, seine Stimme mithilfe eines individualisierten Sprechcomputers zu bewahren. Erst zu diesem Zeitpunkt nahm Siegers die richtige Arbeit am Film auf.
Dass der Film nicht beispielsweise „Vater und ich“ heiße, hat, laut Siegers, damit zu tun, welche Rolle die Krankheit in der familiären Beziehung gespielt hat. Für Siegers sollte seine Rolle als Sohn zwar nicht verheimlicht werden, dennoch war es ihm wichtig mit dem Film Distanz zu schaffen, ohne jedoch an Intimität zu verlieren. Gleichzeitig erinnere der Filmtitel aber natürlich auch an Homo Faber, was behutsam auf den Charakter, die Eigenheiten, die Vorlieben des Vaters hinweist, der es sich in seinem Eigenheim mit allerhand technischen Geräten eingerichtet hat. Siegers blickt darauf mit der Vorstellung einer gelebten Koexistenz, worin der Mensch und die Maschine aufeinander angewiesen sind und deshalb auch aufeinander aufpassen, aneinander festhalten. Die Nachfrage von Mischa Hedinger, ob darin ebenso eine soziale Verortung sichtbar werden würde, bejaht Siegers, geht dann aber nicht mehr weiter darauf ein.
Viel stärker tendiert das Gespräch dazu, die Frage der Gegenseitigkeit von Mensch und Technik auf das Kino zu übertragen, wofür Holzapfel vor allem den Drohnenflug als Beispiel heranzieht, der ihm zwar zuerst Rätsel aufgab, dann allerdings darin die Loslösung der Stimme vom Körper wie aus dem Jenseits erkannt haben will. Nicht nur der Film hebt hier nun auf ein abstrakteres Niveau ab, sondern auch das Gespräch mit seinem zweiten Teil, das sich, wie eingangs erwähnt, zu einem Vehikel entwickelt, weniger die Absichten des Films zu erklären, welche Siegers immer wieder als sehr einfach bezeichnet, sondern eher den Versuch darstellt, zwischen Podium und Publikum gemeinsam das Gesehene zu verstehen. Auch wenn teils abweichende Assoziation geteilt werden, kehrt das Gespräch stets zur Drohnenaufnahme zurück. Hinsichtlich der geäußerten Idee, ob das Bild oder die Stimme durch die Technik den Menschen entkommen könnte, was bei technischen Geräten, die von Menschen bedient werden, stets schwierig wäre, meint Siegers, dass er primär auf die Trennung aufmerksam machen wollte, um damit gegen den präsenten Tod zu opponieren.
Im Anschluss an Fragen zur Medialität der Kassette, am Ende des Films, auf der Siegers singender Vater zu hören ist, und ob Musik etwas anderes sei als Sprache, sieht Holzapfel hier ein ontologisches Problem der Technik. Obschon Maschinen in mancher Hinsicht negativ besetzt sind, bleibe trotzdem immer ein Vertrauensrest an ihnen, der sich in Siegers’ Film als Notwendigkeit ausdrückt. Das gälte auch für das Kino, das trotz des Verlusts der Aura, auf menschliches Vertrauen und Verstehen beharren müsste. Siegers hat sich ähnliche Fragen auch gestellt und daran begriffen, dass er wahrscheinlich gerade deshalb den Film auch umsetzen wollte, andererseits war er auch froh über die gemeinsam erlebten Momente mit seinem Vater, sei es der Witz oder nur ein Lächeln, die er selbst mit diesem Film bewahrte. Dazu gehören auch die Tieraufnahmen, die in Siegers’ Film die Zerbrechlichkeit verkörpern sollen – analog zur Stimme, die laut Roland Barthes stets zwei fragile Körper in Beziehung setze, wie Siegers meint. Hierin könnte ein Schlüssel zu Siegers’ Film liegen, wenn man es für nötig hält, ihn so zu erschließen.
Das Publikum teilt unterdessen neue Assoziation und Gedanken, die sich alle um die Frage drehen, welche Stimme der Computer überhaupt spricht, denn die seines Vaters wäre es nicht. Siegers meint, dass er die künstliche Stimme als ein Signifikat für die fehlende Stimme seines Vaters betrachtet. So müsste man auch verstehen, dass das Stimmprogramm eher einer Simulation als der Aufnahme auf einer Kassette gleiche, wie ein Diskussionsteilnehmer anmerkt. Während nämlich die Aufnahmen vom physischen Verfall betroffen sind und sich damit schon in der Vergangenheit befinden, bewege sich die Simulation in der Zukunft, indem sie etwas nichtvorhandenes herstellt. Daran könnte man die Überlegung anstellen, dass Siegers’ Vater die Software zwar einerseits dafür nutzte, um sich mitzuteilen und die eigene Stimme wieder hörbar zu machen, sie andererseits aber auch für die andere Menschen anfertigte, um sie nach seinem Tod wieder verwenden zu können, ihn neu hörbar zu machen. Der Computer mit Stimme steht mittlerweile auf Siegers’ Schreibtisch, was für ein gewisses Unbehagen sorgt.
Ungewöhnlich kam Michael Baute der Rhythmus des Films angesichts der kurzen Dauer des Films vor. Er hatte den Eindruck, dass die Montage und das Material eher zu einem Langfilm dränge. Dazu kommentiert Siegers, dass ihm von Anfang an klargewesen war, einen Kurzfilm drehen zu wollen, allerdings wusste er nicht, was es genau werden wird. Der Film zeigt dahingehend womöglich ebenso, wie schwer es ihm fiel, sich von etwas zu trennen. Gleichzeitig wollte er sich die Dramaturgie nicht von der Krankheit und dem körperlichen Verfall diktieren lassen, sondern seinen Blick auf den Widerstand richten. Es bleibe aber sicher die Unentschiedenheit im Film erkennbar, wo man eigentlich aufhört und wann. Damit endet auch das Gespräch.
André Siegers, Patrick Holzapfel v.l. © Duisburger Filmwoche, Foto: Simon Bierwald