Film

Da haben wir getanzt
von Andreas Boschmann
DE 2023 | 22 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 48
05.11.2024

Diskussion
Podium: Andreas Boschmann, Thaïs Odermatt
Moderation: Patrick Holzapfel
Protokoll: Ronny Günl

Synopse

Epilog einer Ehe. Abläufe und Anweisungen bestimmen den Alltag: Trink deinen Tee, halt den Löffel, schluck die Tablette. Sie, 83, ist die Großmutter des Regisseurs, aktiv und eisern. Er, der Großvater, gebrechlich und dement. Momente der Schroffheit wechseln mit Gesten der Zärtlichkeit. Durch die Anwesenheit des Enkels verändern sich die Perspektive und die Pflege. Er ist Beobachter, Co-Betreuer und Gesprächspartner. Erinnerungen werden wach: Damals, als wir tanzten. Dann plötzlich Stille. „Welche Bluse ziehe ich an?“

Protokoll

Einen Film als sanft, verletzlich, schroff oder stark zu beschreiben, will ihn vor allem in seiner menschlichen Zugewandtheit entdecken. Das könnte zum einen daran liegen, dass man einem Film diese menschliche Eigenschaft von vornherein zuschreibt oder, zum anderen, dass man ihn als ein geeignetes Hilfsmittel zur Untersuchung menschlicher Verhältnisse betrachtet. Diskussionen über Filme, die ein hohes Maß an Intimität beanspruchen, bewegen sich meist zwischen diesen beiden Polen. Beispielsweise, wenn sie von der Familie eines Filmemachers handeln, wie bei Andreas Boschmanns „Da haben wir getanzt“ – ein Film, der auf unterschiedliche Weise Reflexionen über Erfahrungen des eigenen Familienlebens evoziert. Entscheidungen des Filmemachens werden gerade dort, in der Familie, nicht selten gefühlsbasiert, gleichzeitig definitorisch zwischen richtig und falsch, getroffen, wie man auch von Boschmann hört. Das scheint paradox zu sein, deutet aber daraufhin, dass Beschäftigung, Zuwendung, Widmung widersprüchlich sein kann, weil sie eines menschliches Gegenübers und nicht nur eines Films bedarf.

Nach drei Filmen, die Boschmann bislang über seiner Familie gedreht hat, fragt Patrick Holzapfel zur Diskussion einleitend, weshalb er sich so intensiv mit ihr beschäftigt. Ohne lang zu zögern, geht Boschmann darauf ein und erklärt, dass er keine anderen Themen hätte. Die filmische Auseinandersetzung mit seiner Familie begann während seines Studiums an der Filmuniversität in Potsdam, wo er gemerkt habe, wie wichtig es für ihn ist, nirgendwo anders einzudringen. Das Gefühl mit der Kamera in einer fremden Umgebung zu sein, kommt Boschmann einfach nicht richtig vor. Indes könne er in seiner Familie Klartext sprechen, wovon man in diesem Film aber gar nicht so viel zu hören bekommt. Dazu hebt er die Selbstverständlichkeit des Filmemachens in seiner Familie hervor, denn Boschmann filmte auch schon in der Vergangenheit immer wieder bei Besuchen seiner Großeltern, sodass direktes Sprechen vor der Kamera kein Hindernis darstellte.

Der Klartext steht hier aber auch für die präsente Kommentierung des Geschehens durch den Regisseur, wenn er hinter der Kamera steht. Mit der Frage zu dieser Entscheidung und ob man dies Boschmanns Handschrift nennen könnte, stößt Holzapfel den Kern der Diskussion, die Präsenz und Abwesenheit von Menschen im Film, an. Die Editorin, Thaïs Odermatt, die ebenfalls auf dem Podium sitzt, berichtet, dass sie erst nach Ende des Drehs das Material gesehen hätte, das sie als „sehr hart“ empfand und darin vor allem die familiäre Beziehung spürte. Ihr sowie dem Regisseur wäre es falsch vorgekommen, die Anwesenheit von Boschmann zu verstecken. Sie findet, dem Abschied käme so ein besonderer Mehrwert zu.

An dieser Stelle der Diskussion dreht es sich nun auch um den filmischen Umgang mit der Erkrankung und den Tod von Boschmanns Großvater, wozu sich der Saal in ein Lager, das die Ausblendung befremdet und eines, das sie befürwortet, aufteilt. Obwohl Boschmann den Film seiner Großmutter Frieda gewidmet hat – „Du hast dein ganzes Leben lang gearbeitet, jetzt arbeitest du immer noch“, heißt es darin zu Beginn – handelt der Film indirekt auch vom Großvater, der von seiner Frau im hohen Alter fast allein gepflegt wird. Allerdings ist er in diesem Film als Person kaum sichtbar, anders als seine Stimme und Teile seines Körpers. Dass er im Off bleiben soll, war für Boschmann durch die stark fortgeschrittene Demenz klar. So wurden, laut Odermatt, einige Einstellungen ziemlich stark beschnitten, die den Großvater gezeigt haben; manchmal hat die Kamera ihn aber auch bewusst nicht gefilmt. Im Film gibt es dann den Moment, der den Tod verdeutlicht, von dem Holzapfel aufgrund der sanften fast aussparenden Weise stark berührt war.

Immer wieder betont der Regisseur seine Entscheidung, den Großvater aus ethischen Gründen nicht im Film zu zeigen, was er damit begründet, selbst nicht mit dem Bild des körperlichen Verfalls erinnert werden zu wollen. Ein Diskussionsteilnehmer zeigt sich mit dieser Erklärung nicht zufrieden, da er ja akustisch sehr wohl im Film präsent wird und diese formale Entscheidung fast aufdringlich im Film spürbar wird. Er hatte das Gefühl, mehr von ihm sehen zu wollen, anstatt ihn als unsichtbarer Protagonist zu imaginieren, worin seiner Meinung nach ein gewisser Voyeurismus läge. Dazu wiederholt Boschmann abermals seine Überzeugung und ergänzt, dass er bereits einen anderen Film über seinen Großvater gedreht hat. Jedoch wendet Boschmann auch ein, den Film jetzt ein Jahr nach seiner Fertigstellung mit anderen Augen zu sehen. Odermatt entgegnet der Wortmeldung, dass es in ihren Augen voyeuristischer wäre, einen Menschen zu zeigen, der fast kein Mensch mehr ist.

Gerade hier wird besonders deutlich, wie stark die ethischen Vorstellungen des Filmemachens auseinandergehen können. Im Publikum wechseln sich die Standpunkte ab: Einerseits fragt eine Diskussionsteilnehmerin in kritischer Absicht, warum dieser Mensch, weniger zeigenswürdig sei als jeder andere Mensch. Andererseits zeigt ein Diskussionsteilnehmer Verständnis für die Entscheidung aufgrund eigener Erfahrungen mit sterbenden Familienmitgliedern und hält den Film für ein unmittelbares Dokument – jeder kenne doch solche Situationen wie in der Szene des Films, wo Boschmann fast aggressiv auf den Unwillen seines Großvaters sich ins Bett zu legen reagiert. Boschmann hätte auch gerne eine liebevollere Szene für den Film gedreht, allerdings laufe Pflege so nicht. Odermatt bekräftigt dies nochmal und spricht davon, dass man bei der Pflege an seine Grenzen komme, dabei aber merke, wie sehr es einen Teil des Lebens bildet.

Auch wenn der Film Boschmanns Großmutter gelten soll, drängt sich die Pflege trotzdem in den Vordergrund. Auf die Frage des Regisseurs an die Kommission, warum ausgerechnet dieser Film von seinen anderen Einreichungen ausgewählt wurde, hält Holzapfel fest, dass dieser gerade die Gleichzeitigkeit von Zartheit und Schroffheit verbildlicht, was mehr erzählt, als nur darüber zu sprechen, wie wichtig Pflege sei. Ob es sich bei diesem Film um ein universelles Dokument handelt, ob es um mehr als nur Pflege gehe, wurde zwar in einigen Momenten der Diskussion gefragt, dennoch schwebt der Gedanke, bis zum Schluss unbeantwortet über dem Raum. Boschmann möchte jetzt vorerst keinen Film mehr über seine Familie drehen – die offene Frage, wie universell ein Film bei solcher Intimität sein kann, dürfte ihn aber weiter beschäftigen, gerade wenn sich daran eine Methodik des Filmemachens knüpft. Wie Boschmann auf Festivals selbst sah, ist er nicht der Einzige, der Filme über seine Familie gedreht hat, auch nicht auf der Duisburger Filmwoche.