Film

Arancia Bruciata
von Clémentine Roy
DE/FR 2024 | 74 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 48
06.11.2024

Diskussion
Podium: Clémentine Roy
Moderation: Therese Koppe
Protokoll: Dominic Schmid

Synopse

Nahendes Donnergrollen, Flügelschlagen, der Himmel färbt sich dunkel. Eine Gemeinschaft von Frauen in Süditalien, unter ihnen eine, die per Sprachnachricht Wahrsagungen teilt. In ihren alltäglichen Ritualen und Beobachtungen zerfließt die Zeit, verwandeln sich Naturphänomene in Zeichen. Während sich die Himmelslandschaft beständig transformiert und auf den Straßen protestiert wird, ziehen die Botschaften der divinatorischen Gruppe fast unmerklich ihre Kreise.

Protokoll

Es war der erste Film nach dem US-Wahlergebnis; besonders gut gelaunt und/oder ausgeschlafen waren im Publikum von „Arancia Bruciata“ und der anschließenden Diskussion wohl die wenigsten. Doch scheint dem Film das Kunststück gelungen zu sein, die triste neue Realität für einen Moment vergessen zu machen, beiseitezuschieben oder zu überdecken  – obwohl oder gerade weil er so unaufgeregt, kontemplativ und offen ist. Für eine Wahrnehmung vielleicht, die andere Prioritäten setzt.

Regisseurin Clémentine Roy spricht Englisch mit französischem Akzent und lebt in Berlin. Marta, die Protagonistin des Films, ist ihre Partnerin. Im Film geht es um Landschaften und Tiere, Wetter und Divination, Vögel und Skater. Obwohl im Film nichts davon erwähnt wird, fallen im Gespräch schnell prägnante Namen und Begriffe, unter deren Einfluss er steht: Walter Benjamin und der Angelus Novus, Ursula K. LeGuin und die Tragetaschetheorie, Queerfeminismus und antike Bauernkalender, die wissen, welche Tiere Glück und Unglück verheißen (wenn man weiß, wie man die Frage formulieren soll), und welche Bedeutung der Donner hat. Wie lässt sich unter diesen Einflüssen eine Dramaturgie gestalten, und welche Form gibt man dieser? Auf jeden Fall keine lineare, die irgendwohin, etwas erreichen will. Sondern von Zufällen lebt, wie wenn Matteo Savini eine Rede hält, die einem eben von der Protagonistin formulierten Horoskop entspricht, oder wenn eine Dürrezeit einen Skatepark entstehen lässt. Roy sagt, dass sie jeden Kitsch vermeiden wollte und dass das Ende, um emotional zu wirken, mysteriös sein muss. Oder hieß es mythologisch aufgeladen, wie viele der Filmbilder? Die Bedeutung des gesprochenen Wortes tritt auf alle Fälle hinter diese zurück, im Film wie im Gespräch. Beide lassen genug Raum zur Assoziation, sei es durch Bildauswahl, Montage oder durch die scheinbar zufälligen neuen Konnotationen, die manchmal bei nicht korrekt akzentuierten Worten in einer Zweitsprache entstehen. Der Schnitt sei schwierig gewesen, weil ja Vorhersagen gemacht wurden, zu denen man jetzt hin will. Weil man Antworten sucht. Ohne autoritär sein zu wollen, ohne Vorgaben zu machen. Eher gehe es um ein Sammeln von Bildern, wie es auch die Protagonistin tut, oder um ein Einfangen. Andere Dinge wusste sie im Vorhinein, etwa, dass sie eine Szene wollte, in der Tomatensoße hergestellt wird; die werde dann halt „geschrieben“, oder zumindest vorgegeben, und dann schaue man, was dabei passiert. Eine andere Schwierigkeit war die Zeit: Es sei ein Irrtum zu glauben, dass Leute, die scheinbar nichts tun, davon mehr hätten. Das Gegenteil sei der Fall, und sowieso gelte es, das „heteronormative Konzept der Produktivität“ zu überwinden. Oder ihm Widerstand entgegenzusetzen.

Für die meisten, wenn auch nicht alle Zuschauer:innen im Publikum scheint das Vorhaben aufgegangen zu sein. Eine „heilende“ Wirkung der Bilder von Gemeinschaft mit Mensch und Tier wird dem Film zugesprochen, gerade an einem „beunruhigenden Tag wie diesem“. Gerade weil sich der Film nicht auf einen ganzheitlich-achtsamen Modus fixiert, sondern auch Rituale und Praktiken zeigt, die als patriarchal-brutal empfunden werden. Auch die Wirklichkeit sei ja nie, so die Regisseurin, nur gut oder schlecht. Einem Zuschauer, nach dessen Empfinden vieles im Film „kontrolliert“ wirkte und der wissen wollte, woher das Bedürfnis komme, alles steuern zu wollen, widerspricht sie: geskriptet sei da kaum etwas, ihre Arbeitsweise sei instinktiv, stoße manchmal auf Dinge, die dann sanft verknüpft werden. Oder besser: „zur Berührung gebracht“. Auch gehe es ihr nicht um ein Transkript der Wirklichkeit, sondern sie mache sich lediglich Notizen dessen, was sowieso größtenteils improvisiert ist. Ein lockeres, subjektives Protokoll. Eine Zuschauerin sieht Italien „besser repräsentiert“ als in anderen Filmen, und erkundigt sich nach den Auswahlkriterien der unspezifisch wirkenden Orte. Die zusammengefasste Antwort: (Geografische) Nähe und Begehren (desire). Die Bildauswahl brauche dann auch ihre Zeit. Die sie sich nehme, während die anderen unweigerlich warten müssten und dafür die Gelegenheit erhielten, die Elemente zu genießen. Weitere Ausführungen zu Motivfindung, Bildgestaltung und Kontroll(abgab)e klingen auf dem Papier esoterisch, entsprechen aber den Bildern, deren Wirkung – darauf scheinen sich die meisten einigen zu können – nichts dergleichen anhaftet. Es mag daran liegen, dass der Film stets nahe beim Konkreten, Dinglichen bleibt. Aufgescheuchte Vögel nach einem Blitz, körperliche Intimität (und der Blick der Kamera auf den geliebten Körper), Hände und Tomatensoße. Wo bleibt da Raum für das Publikum, fragt eine Zuschauerin, die sich offenbar nicht angesprochen fühlt. Die erzählte Geschichte sei nicht mehr oder weniger als ein Vorschlag. Oder eine Einladung, sich wie in Benjamins Einbahnstraße gemeinsam mit dem Kosmos zu verbinden.

 Clémentine Roy, Therese Koppe v.l. © Duisburger Filmwoche, Foto: Simon Bierwald
Clémentine Roy, Therese Koppe v.l. © Duisburger Filmwoche, Foto: Simon Bierwald