Film

Uncomfortably Comfortable
von Maria Petschnig
US/AT 2021 | 72 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 45
11.11.2021

Diskussion
Podium: Maria Petschnig
Moderation: Alejandro Bachmann
Protokoll: Eva Königshofen

Synopse

Routinen des Überlebens: Duschen im Gym, Jobben im Lagerhaus, Schlafen im Jeep. Nach 17 Jahren Gefängnis hat sich Marc von allen Abhängigkeiten gelöst. Keine Beziehung, keine Wohnung. Ein Jahr lang begleitet die Filmemacherin den 58-Jährigen in Brooklyn und überlässt ihm dabei das Regime über Zeit, Nähe und Distanz. Ein Film als kollaboratives Projekt. „Ich möchte sehen, was sich aus deinen künstlerischen Fähigkeiten und meinen Umständen entwickeln kann.“

Protokoll

Duisburg, zweiter Abend. Es ist noch früh und der Saal gut gefüllt. Maria Petschnigs Siebzigminüter „Uncomfortably Comfortable“ wurde soeben uraufgeführt. Es ist der erste Langfilm Petschnigs, die bildende Kunst studiert hat und seit 2003 in New York lebt. Dort, in Brooklyn, ist sie auch ihrem Protagonisten begegnet, auf der Straße nach dem Einkaufen, in der Nähe seines Autos, das für Marc Thompson zugleich Fortbewegungsmittel und Wohnung ist. Die „langsame Annäherung“, so beschreibt Petschnig ihr Kennenlernen, wurde schon bald zur abgemachten Verbindlichkeit. Vertraglich wurde vereinbart was gefilmt werden darf und was nicht, beschlossen, dass Petschnig und Thompson sich ein Jahr lang regelmäßig treffen werden.

Zu Beginn des Gesprächs erkundigt Alejandro Bachmann sich, wie die Zusammenarbeit aussah und inwiefern der Film auch die Begegnung zweier Künstler:innen dokumentiere. Denn Thompson schreibt und dieses Schreiben durchzieht den Film von Anfang bis Ende, umrahmt ihn auch formal, wenn sich zu Beginn und Schluss in seiner Handschrift „Uncomfortably Comfortable“ ins Bild buchstabiert. Offenkundig wird Thompsons literarisches Verhältnis zu seiner Umwelt in seinen Texten, die im Film als Voiceover zu hören oder in den „poetisch anklingenden Textnachrichten“ (Bachmann) zu lesen sind, die einen Einblick in die Verabredungssprache von Petschnig und Thompson geben. In Form von Screenshots erscheinen die Nachrichten als Bild im Bild, eine Ästhetik, die den Film an vielen Stellen durchzieht und die Petschnig im Verlauf des Gesprächs „ihre Handschrift“ nennt.

Es sind Fragen nach der Herstellung von Nähe und Distanz auf bildlicher Ebene und nach einer dokumentarischen Ethik angesichts der ungeteilten Rassismuserfahrung der weißen Regisseurin und des Schwarzen Protagonisten, um die sich das Gespräch im Folgenden dreht. Dieses Gefälle innerhalb der ohnehin schon hierarchischen Konstellation Filmemacherin/Portraitierter, wird in einer zentralen Szene des Films verhandelt: Eine Totale des blauen Himmels, man hört Petschnig und Thompson im Auto, wie sie Zeug:innen einer Brandstiftung werden. Es folgt ein Wortwechsel. Ob man nun die Polizei rufen solle? Petschnig ist dafür, Thompson dagegen, denn man könne nie wissen, was die Polizei mit den Verhafteten anstelle. – In diesen wenigen Sätzen erzählt sich viel über die gesellschaftliche Situierung beider, auch, weil wir wissen: Thompson war jahrelang inhaftiert, ist rassifiziertes Subjekt im US-amerikanischen prison-industrial complex, Petschnig eine weiße Künstlerin in Brooklyn. „Es ist deprimierend, ich kann ihm nichts antworten, dass ich ihn woanders hinrücken könnte“, reflektiert Petschnig auf ihr Verhältnis. Sie habe viel über Rassismus lernen können in der Zusammenarbeit mit Thompson, der es aber auch „Leid sei, mit weißen Personen darüber zu sprechen“ (Petschnig verständnisvoll).

Im Folgenden gerät das Gespräch ein wenig ins Stocken, vielleicht ist der Saal ein bisschen müde, vielleicht ist der charmante Hall auf den Mikros ein wenig zu stark, Nachfragen gibt es aber doch: Pepe Danquart, der als erster das Publikumsmikro ergreift, zeigt sich begeistert vom eigenwilligen Montagestil Petschnigs. Es sei ihr in diesem „tollen Film gelungen, durch die Montage die Intensität der Situation zu unterstreichen“, meint Danquart und bezieht sich hier konkret auf ein langes Black mit Ton, das Petschnig stehen lässt, als es um ein traumatisches Erlebnis Thompsons geht. Nämlich den Unfalltod des kleinen Bruders, für den er sich lange selbst die Schuld gab. Wie sie von diesem Erlebnis erzählen wolle, damit habe sie „bis zum Schluss gehadert“, so Petschnig, schließlich habe sie sich für das Black entschieden – „alles andere hat nicht funktioniert.“ Welche Rolle die frühere Inhaftierung Thompsons für die Filmemacherin gespielt habe, lautet eine andere Frage. Sie habe Thompson nicht auf seine Gefängniserfahrung reduzieren wollen, entgegnet Petschnig und beschließt das Gespräch mit einer nicht unwesentlichen Anekdote: Fast habe Thompson den Film verworfen, seine damalige Freundin hatte sich „etwas mehr Netflix“ vorgestellt. Anderthalb Jahre später war er dann doch einverstanden.