Film

Taming the Garden
von Salomé Jashi
DE/CH/GE 2021 | 92 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 45
12.11.2021

Diskussion
Podium: Salomé Jashi [per Zoom], Chris Wright (Schnitt)
Moderation: Luc Schaedler
Protokoll: Marius Hrdy

Synopse

Vogelgezwitscher und Kettensägen im von Rauchschwaden durchzogenen Waldidyll. Schicht für Schicht erfolgt die Entwurzelung eines jahrhundertealten Baumes. „Wie im Märchen“ erscheint dessen mühevoller Abtransport den Dorfbewohner:innen, die angesichts der Vereinnahmung ihrer Heimat durch einen Einzelnen sowohl staunen als auch trauern. Übrig bleiben etwas Geld, zerstörte Landschaften und ein vorsichtiges Raunen über den Mann, dessen Geld Bäume versetzt.

Protokoll

„Nur damit Iwanischwili seinen Baum haben kann?“ – sagt ein Protagonist nach ungefähr der Hälfte des Films und ich frage dies mich selbst die ganze Vorführung über. Das Projekt der komplizierten Entwurzelung eines alten Baumes in einem georgischen Wald und die Überfahrt über das Meer zur perversen Gartenutopie des Oligarchen ist eine befremdliche Allegorie für den Kapitalismus und der Entfesselung der Grenzen zwischen dem Privaten und dem Öffentlichen und beschreibt die Wechselwirkung der Perspektiven zwischen dem abwesenden Besitzenden und denen im Bild anwesenden Zurückgelassenen. Und so wundert es nicht, daß Regisseurin Salomé Jashi zur Musik polyphone georgische Sakralgesänge wählt, die vor allem in den Prozessionsmomenten des Baumes, als er aus dem Dickicht des Waldes herausgefahren wird, dann weiter durch das Dorf sich durch die der Straße entlangstehenden Bäume pflügt, und dann auf einem Lastschiff triumphal über das Wasser gleitend seinen Weg bahnt, die Besonderheit eines auf den ersten Blick vielleicht ordinären Stücks Holz unterstreicht. Andernorts setzen Stockhausens atonale Strukturen das Gerüst des Bombasts der Sache in kritische Beobachtung zu Georgiens Sonnenkönig Iwanischwili – den Prunk im Rauch einer Szene anbohrend, nie wirklich feierlich erlaubend, trübe.

Und Luc Schaedler richtet auch gleich im Gespräch im Anschluß zum Film eine Analogie zu Citizen Kane an die auf Zoom zugeschaltete Salomé Jashi und den am Podium in Duisburg sitzenden Editor Chris Wright. In Welles Film sind es die Habseligkeiten, die Kane an seinem Lebensende nicht mitnehmen kann und hier die Bäume Iwanishwilis, an denen sich niemand außer er erfreuen kann. Schaedler konkretisiert: Mißtrauen und Angst seien im Film präsent. Wie habe sich diese Unsicherheit der Menschen, die dem Mann gegenüberstehen, die Dreharbeiten beeinflußt? Jashi und später auch Wright begründen dies mit der Entscheidung, nicht nur eine Person zu verfolgen, sondern bewußte Entfremdungen durch den Schnitt und im Sounddesign zu kreieren, um nicht in eine konventionelle Continuity zu gelangen, die die Prämisse des Films (Baumtransfer zu entferntem Garten) eventuell banalisiert hätten. Es ging ihnen darum, ästhetische Momente zu schaffen – und das gelingt zum Beispiel auch recht gut in einer von Wright beschriebenen Szene, in der ein Rohr in den Schlamm gebohrt wird und gleichsam „Männer mit Geräten das Land vergewaltigen“.

Oft sehen diese Entfremdungen aber mitunter wie in einem geographischen Verwirrspiel aus, wo die Schnittrichtung nicht aufgelöst wird, teilweise wild – vor allem anfangs – zwischen Arbeitsgerät und Pauseneinheiten der Baum-Verrücker gewechselt und der unruhige Wald immer wieder mit Bildern vom ruhigen Meer durchbrochen wird. Wald – da geschieht die Arbeit, die Entwurzelung. Meer – hier geschieht die Transformation gen Gartenparadies. Dazwischen wabert jedoch auch der Dissens unter den Dorfbewohner*innen – für mich die interessantesten Begegnungen mit dem Film. Diese Situationen, in denen der Zwangsabschnitt eines jahrhundertalten Familienbaumes für die Durchfahrt des Mammuts lamentiert werden, frustrierter Widerstand sich gegen die Unternehmung bildet und auch danach über die Ohnmacht gertrauert wird, der eigenen Familiengeschichte beraubt zu werden, sind für mich auch diese seltenen Momente, in denen sich die Intention des Films von der fast schon feierlich zelebrierten Verfolgung kinematografischer Sackgassen abhebt und in ein offenes Gespräch über Kapital und Machtkritik tritt.

Dies wird im Filmgespräch doch noch von Schaedler mit dem Sammelthema „Schichten“ etwas eingefangen – Schichten, die er in „Taming the Garden“ erkennt: die buchstäbliche Entwurzelung des Baumes, die Vergütung für das Fällen von Bäumen, die Erwähnung von Korruption, Geldgier, Verlust in einem postsowjetischen Gebiet – alles als eine große Entwurzelung. Ein Mann aus dem Publikum zeigt sich schließlich überrascht von einer Aussage zuvor, in der Wright meinte, es gäbe keine Protagonisten in diesem Film – jedoch, daß der Baum für ihn selbst sehr wohl ein Protagonist sei. Er vermisse Nahaufnahmen des Baumes und fragt, ob es einen Schnitt gab, bei dem der Baum mehr zu sagen hatte? Jashi antwortet, daß sie ein bißchen Abstand zum Baum selbst haben wollte um kleine Details aufgreifen zu können, und sieht ihre Strategie mehr wie ein Tableau einer Landschaft durch Details als stille Nebenobjekte.

Für Schaedler schließlich sind die Bäume wirklich Individuen, die Geräusche machen – sie knarren, stöhnen. Durch den Klang bekämen diese eine Form der Anwesenheit, die das Bild allein nicht erzählen vermag, etwas Körperliches, das mit der Beziehung der Menschen verbunden ist. Ich hätte noch gerne über die Seile gesprochen, die die herangekarrten Bäume in Iwanishwilis Garten geradehalten, da ihre Wurzeln sie noch nicht tragen können, und eine Analogie zu Late Capitalism gezogen, aber die Frage dazu blieb in mir bis zum Schluß stecken.