Film

Un cuento sin tí
von Michael Fetter Nathansky
DE 2019 | 29 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 43
07.11.2019

Diskussion
Podium: Michael Fetter Nathansky
Moderation: Alejandro Bachmann
Protokoll: Nadine Voß

Synopse

Ein Appartement in Mexiko. In ihm lebte bis zu seinem Tod der Großvater des Regisseurs, wegen seiner Fluchthistorie eine legendäre Figur in der Familie. Den Enkel indes interessiert die Gegenwart des Landes. Er lädt wildfremde Menschen ein und füllt die Wohnung mit ihren Erzählungen und Gesängen. Doch der Großvater bleibt anwesend – und drängt sich immer weiter vom Rand ins Zentrum des Films.

Protokoll

Die Nachtschiene der Filmwoche kann nach einem Tag voller Filme schon mal zur Herausforderung für die Aufmerksamkeit werden. Nicht so im Fall von Un cuento sin tí. Alejandro Bachmann wird in der Diskussion die Leichtigkeit des Films loben, die humorvoll-spielerische Ebene, in der die nachdenklichen und melancholischen Nuancen trotzdem mühelos Platz finden. Im Modus dieser lebendigen Offenheit, der die ZuschauerInnen durch den Film trägt, bestreitet Michael Fetter Nathansky auch das anschließende Gespräch: Er spricht teilweise so schnell, dass das Mitschreiben schwerfällt und schlägt schon mal den ein oder anderen Haken, bevor seine Argumentation einen Punkt markiert.

Eine Parallele zu seinem filmischen Schaffen: Er finde nur schwer einen Schlusspunkt, erzählt er. Sobald eine fertige Version aus dem Schnitt kommt, hat er das Bedürfnis umzuschneiden, neu zu variieren, andere Geschichten zu erzählen. Bachmann stellt fest, dass der Esprit des Unabgeschlossenen auch in Un cuento sin tí zu spüren ist, diese Ahnung, dass hier noch etliche andere Geschichten erzählt werden können, die nur angerissen werden. Für ihn seien die einzelnen Protagonisten wie Teile eines Gedichts, ergänzt Fetter Nathansky, jeder füge seinen Vers ein, wie Gesprächsfetzen in der U-Bahn blitzen Geschichten auf. Diese kurzen Geschichtsfragmente, größtenteils gedreht im Apartment seines verstorbenen Großvaters in Mexiko-Stadt, sind jeweils zweistündigem Interviewmaterial entnommen, in denen er spielerische Angebote macht, Impulse gibt, in Interaktion tritt und dabei Momente kreiert, die zugleich authentisch und performativ wirken. Und neben allen Geschichten geht es dann doch auch um die, die Fetter Nathansky ursprünglich nicht habe erzählen wollen, die seines Großvaters. Weil er mit dem Heldenepos innerhalb der Familie brechen wolle, weil er ideologisch woanders stehe als sein Großvater, der „Bonze“. Ein Film über Mexiko und die Mexikaner sollte es werden und ein Zugang zu einem Land, zu dem er eine Verbindung fühle, aber keinen Bezug habe. „Angebote, die die Realtität macht“, habe er jedoch nicht ausschlagen wollen und bezieht sich auf die gefundenen Zusammenhänge in den Lebensläufen des Großvaters und der anderen Protagonisten, die ihm seine liebevolle, sich kümmernde Seite näher brachten und ihm halfen, ein differenziertes Bild von ihm zu entwickeln und die Rückkehr ins filmische Narrativ ermöglichten. Ein Diskutant sieht Parallelen in der tableauhaften Anordnung des Filmmaterials von Großvater und Enkel: In alten VHS-Aufnahmen spielen die Familienmitglieder auf Anweisung ihre Hobbys nach, in den Interviews im nun leerstehenden Apartment lässt Fetter Nathansky die Protagonisten sich im Spiegeltisch selbst beschreiben, bringt sie zum Singen und Weinen.

Am Ende des Abends bleiben die Lesarten von Un cuento sin tí divers: Ein Film über das Erzählen von Geschichten und Geschichte, ein Versuch, die eigene Familiengeschichte zusammenzubringen mit einem Außen, die Momentaufnahme eines zweiwöchigen Mexikoaufenthalts oder, wie es das Material selbst vorschlägt, ein Film gegen das Vergessen.

 Nadine Voß © Duisburger Filmwoche, Foto: Simon Bierwald
Nadine Voß © Duisburger Filmwoche, Foto: Simon Bierwald