Film

Träume von Räumen
von Matthias Lintner
DE 2019 | 85 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 43
06.11.2019

Diskussion
Podium: Matthias Lintner
Moderation: Jan Künemund
Protokoll: Eva Königshofen

Synopse

Entrückt vom allzu geordneten Berlin-Mitte rahmt roter Backstein den Hof eines alten Arbeiterquartiers. Hier stehen Bänke und leere Flaschen, türmt sich später im Jahr das Laub vor angefangenen Gemälden und Partyresten. Spuren eines gemeinschaftlichen Wohnens, das an diesem heimelig provisorischen Ort zur Subversion wird. Der Filmemacher begegnet dort seinen Nachbarn: dem aufgekratzten Künstler Rafael, Punk Koben mit ihren zwei Hunden und Herrn Pieper, greise Seele dieser Leerstelle mitten in der Hauptstadt.

Protokoll

Träume von Räumen ist der erste Langfilm von Matthias Lintner, der, obwohl er in Berlin spielt, in Duisburg soeben seine deutsche Erstaufführung hatte. Wie also jetzt Berlin nach Duisburg überführen um darüber zu reden, leitet Jan Künemund das Gespräch ein und gibt sich gleich zu Beginn als Fan zu erkennen. Der Film habe ihn sehr berührt, was es umso schwieriger mache, nun darüber zu sprechen. Und so widerspricht Künemund auch direkt einer zuvor gelesenen Kritik, der Film sei voll abgeschmackter „Berlinisms“. Gentrifizierung gäbe es schließlich auch in anderen Städten, vor allem aber eröffne das Voiceover – vom Regisseur gelesene Textteile aus George Perecs titelgebendem Träume von Räumen – eine poetische Ebene, die ortsunabhängig vom Leben von einem Raum zum anderen spräche. Für die Bewohner*innen des Wohnblocks könne das wiederum konkret den Umzug in ein Alten- oder Obdachlosenheim bedeuten, (oder, denke ich, den stundenlangen Aufenthalt in den Onlineforen des Berliner Immobilienmarktes).

Der Film sei „Zeugnis der Ohnmacht einer bereits verlorenen Schlacht“, beschreibt Künemund es treffend, nennt die Erzählweise des Films an späterer Stelle als im Plusquamperfekt verfasst, die „von Resten erzählt“, als „Reste von etwas, die bedroht sind“. Überhaupt interessiere ihn der Melancholiebegriff des Filmes, und wie sich auch die Grenzen des Zusammenlebens darin zeigten.

Matthias Lintner hat selber sechs Jahre lang dort gelebt, parallel zu seinem Studium an der DFFB. Er sei in den Wohnblock gezogen, als ein Großteil bereits leer stand. Seine Nachbar*innen hatten im Laufe der letzten zehn Jahre genug Zeit, sich an den Gedanken zu gewöhnen, jederzeit die Wohnung verlassen zu müssen. Er habe die Erfahrung gemacht, dass er und seine Nachbar*innen großen Spaß an den regelmäßigen Begegnungen im Hof (beim gemeinsamen Nosferatu schauen, beim Malen von Bildern, oder einfach bei einem Gespräch) im sonst so anonymen Berlin hatten. Und so sei es ihm wichtig gewesen, den Ort als einen eigenen „Kosmos“ darzustellen. Filmisch bedeute das etwa, dass die Kamera keine räumliche Orientierung zulässt – inspiriert vom Perec-Text habe er die Navigation durch die Räume „spielerisch“ belassen wollen, sagt er. Jan Künemund nennt daraufhin die diversen ästhetischen und formalen Angebote des Films als „spielerische Unzuverlässigkeiten“, die auf kleine Minidramen träfen, etwa wenn der Regisseur beim Wechseln einer Glühbirne einen Stromschlag bekommt. Er möge es, verschiedene Methoden auszuprobieren, so Lintner, sie alle seien gewissermaßen ortsspezifisch entstanden, situativ. So auch die Interviews, in denen der Regisseur zwischen zwei sprechenden Personen vor der Kamera sitzt, dem Gespräch eher beiwohnt als an ihm teilnimmt. „Es muss gerecht sein“, sagt er, auch wenn er es natürlich sei, der den Filmschnitt schlussendlich bestimme. „Das mechanische Auge nimmt uns auf und ich komme da dann nicht mehr raus.“ Aus dieser Suche nach einer gerechten Darstellung habe sich dann eher beiläufig ergeben, dass er selbst zum Protagonist des Filmes wurde.

Nicht nur hier zeigt sich die hohe Selbstreflexivität, die in Träumen von Räumen steckt, und die auch mich heute morgen im Kino zum Teil der Fanbase hat werden lassen. Auch der Umgang mit seinen Protagonist*innen lässt sich bereits im Film als sehr vorsichtig erkennen und wird von Lintner im Gespräch bestätigt. So ist er etwa nicht den visuellen Reizen der musealen Wohnung des alten Nachbarn Herr Piper verfallen. Die aufgereihten Teddys und anderer Nippes sind zwar zu erkennen, aber nur vage, die Türen nur halb geöffnet, die Bilder „blurry“. „Denn es ist ja schließlich der Privatraum von Herrn Piper“, der mittlerweile die einzige Person ist, die noch dort wohnt, erzählt Lintner gegen Ende des Gesprächs. Er besuche ihn noch öfter inmitten des Baulärms, versuche ihm ein bisschen zu helfen. Auch hier zeigt sich die Umsichtigkeit in den Begegnungen von Filmemacher und Darsteller*innen, die für Lintner ja eben viel mehr sind als das: Bekannte aus jahrelanger Nachbarschaft. Das sei „wichtig, das Wichtigste“; die Leute zu kennen, die man filmt. Allein Herrn Piper habe er über einen Zeitraum von zwei bis drei Jahren kennen gelernt, bevor er ihn zum ersten Mal gefilmt habe. Das Reagieren auf die Menschen sei ein Modus, der ihm sehr gefalle, auf sie einzugehen und ihnen eine Bühne zu geben, die sie sich selber aussuchen können.

Auch das Publikum scheint den Film größtenteils sehr zu mögen, bewundert die lange Plansequenz, mit der der Film beginnt (und die Lintner grinsend als Kameraübung für sein Studium kommentiert). Alex Gerbaulet zeigt sich beeindruckt von der „besonderen Zärtlichkeit den prekären und beschädigten Räumen gegenüber, die den Leuten keinen Platz zuwiesen, sondern der Flüchtigkeit überließen“. Eine andere Person verteidigt Lintner sofort gegen eine leise Publikumskritik an den stilistisch auseinander weisenden Bildern, die durch den Einsatz verschiedener Kameras entstanden sind. Der Film sei ein gelungener Essay, ein ungemein erfrischender Versuch mit der Wirklichkeit, nicht das „spröde, kalte Exekutieren einer Doktrin“.

Mit diesem Lob endet das Gespräch. Kurz zuvor bittet Lintner das Publikum aber noch um technische Ratschläge, „wenn jemand sich da auskennt“, denn Herr Piper habe kein Fernsehen mehr und er wolle sich darum kümmern.