Film

Szenen meiner Ehe
von Katrin Schlösser
DE 2019 | 93 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 43
06.11.2019

Diskussion
Podium: Katrin Schlösser
Moderation: Bettina Braun
Protokoll: Sebastian Markt

Synopse

Wie inszeniert sich ein Paar, was meint, sich nicht füreinander inszenieren zu müssen? Dem entrückten Lachen des Hochzeitsvideos folgt die minutiöse Erkundung einer Ehe mit der Handykamera. Beobachtungen des Geliebten bei Alltäglichkeiten, Erinnerungen aus dem Off, Verhandlungen am Küchentisch und im Bett. Im reinen Reden mit- und übereinander entsteht die Narration einer Verbindung, die sich für Pflicht und Wahrheit entschieden hat.

Protokoll

Handyaufnahmen auf der Kinoleinwand, zwischen Garten, Schreibtisch und Bett, oft sehr nah. Eine intime Distanzlosigkeit der Bilder und auch des Gesprochenen: zwei Menschen im Austausch und im Streit über ihre Beziehung, über Alltägliches und über Grundsätzliches, über Banales und über Intimes. Szenen einer Ehe. Es wird viel gelacht im Kino, vor allem in der ersten Hälfte des Films, mal beklommen oder irritiert, aber auch angesteckt von der Selbstironie der Figuren. Die Handykamera, die am Küchentisch aufgestellt scheint, fängt zwei Menschen ein, die sich gegenüber sitzen, beide angeschnitten an den Rändern des Bildes und eine leeren Mitte dazwischen, während der Mann der Frau erklärt, dass sich hinter ihrem „Talk“ eine andere Wahrheit verberge, die er kenne, und auch gleich ausbreitet. Ob er denn noch Liebe empfinde, fragt die Frau. Gerade nicht, antwortet der Mann, ohne aufzublicken. An dieser Stelle ist es sehr still im Saal.

Das Gespräch auf dem Podium zwischen Braun und Schlösser umkreist die Konstellation der filmischen Öffentlichmachung von etwas Privatem. Bettina Braun fragt nach den Motivationen, die die Produzentin den Schritt zur Regisseurin und Protagonistin hat gehen lassen, nach dem Verhältnis zwischen (Selbst-)Beobachtung und Inszenierung, nach den Konsequenzen des Filmens auf die Beziehungsinteraktionen, nach den Grenzen des Zeigbaren. „Es ist ganz merkwürdig“, sagt Katrin Schlösser zu Beginn, „ihr sitzt alle da und habt den Film gesehen und ich weiß nicht was ihr denkt“. Der erste Entstehungszusammenhang sei eine von ihr geleitete Arbeitgruppe an der Kunsthochschule für Medien gewesen, in der ein Film über Begehren entstehen sollte, und ihre baldige Realisierung, dass das Beobachten bei einem derart sensiblen Thema bei sich selbst anfangen müsste. Sie begann 2014 mit den Aufnahmen, ab 2016 mit dem festen Vorhaben, dass ein Film daraus werden soll, Förderung wird beantragt. Während das ursprüngliche Konzept eher ein Portrait ihres Mannes, des Schriftstellers Lukas Lessing vorsah, fällt im Schnitt mit Barbara Gies schnell die Entscheidung, dass das besondere des Materials vor allem in der Beziehung des Paares liegt. Drei Zeitebenen sollten im Film präsent sein: Die Vorgeschichte der Affäre, als beide mit anderen verheiratet waren, und der abgebrochenen Schwangerschaft; die Wiederbegegnung und Heirat zehn Jahre später; und die Jetztzeit des Films. Die erste Szene, in der sich das Paar die Geschichte des Wiedersehens gegenseitig erzählt, war bewusst daraufhin geplant, alles andere im Film entstünde aus dem Moment heraus. Bettina Braun bringt den Satz, den der Mann im Film sagt, dass sie sich nicht mehr füreinander inszenieren sollten, in die Diskussion ein, als paradoxe Ausgangslage für das Experiment. Die Grenzen zwischen Beobachtung und Inszenierung, bestätigt Schlösser, waren prekär und in ständiger Verhandlung. Eines ihrer Motive, sagte sie, war, den Inszenierungen durch den Film etwas entgegenzusetzen, gleichzeitig ist das Bewusstsein, jetzt potentiell auch in einem Film zu agieren, in den Momenten nicht mehr zu unterlaufen. Die Szene, in der Lukas sie dabei filmt, wie sie aus einer vorhegend Wut, die in dem Moment nur mehr gespielt scheint, Tassen zerschlägt, wäre eine Regieanweisung an sich selbst gewesen, als etwas, das man in dieser Situation wohl machen würde. Das Gespräch am Friedhof, bei dem ihr Mann von seiner Erschütterung über eine Erzählung des Erinnerungsmals an ungeborene Kinder erzählt, sei auf seine Initiative entstanden, gleichzeitig war es eine wichtige dramaturgische Überlegung, ihn noch einmal zur Auseinandersetzung mit dem Schwangerschaftsabbruch zu führen.

Herausgefallen seien, aus Überlegungen des Schutzes, im Schnitt auch Szenen, die die Kinder der beiden aus anderen Beziehungen betrafen und die Expartner*innen. Ihre Eltern und die Mutter ihres Mannes einzubeziehen – die auch im Bild präsent sind – erschien hingegen wichtig, weil es einen Blick öffne auf die Sprachlosigkeit und die Arten von Beziehungen, aus der beide kommen.

Wenn Schlosser auf dem Podium „ich“ sagt, dann ist das die Regisseurin, die Frau im Film nennt sie „die Frau“ oder „die Protagonistin“. Schlösser begreift ihren Film als Emanzipationsprozess. Die Frau im Film sieht sie als unsichere Frau, die kein Vertrauen hat, in das, was passiert. Im verdoppelnden Blick auf sich selbst, liegt so wohl auch die Möglichkeit eines anderen Selbstentwurfs.

Braun spricht noch den Humor im Film an, der ihr eine komplexe Funktion innezuhaben scheint, als Aufheiterung, aber auch als Schutz. Mit der Frage nach der Qualität und Bedeutung des Lachens im Kino wendet sie sich ans Publikum.

Die durch die Handykamerabilder noch unterstrichene, nach außen gekehrte Intimität in Schlössers Film, die man als mutiges Geschenk empfinden kann, oder als Zumutung, zeitigt im Publikum intensive Reaktionen. Man kann, den Ausführungen der Regisseurin folgend, diese Geste des Zur-Verfügung-Stellens als eine Intention des Films verstehen: eine Preisgabe, die es sich und anderen erlaubt, Dinge zu sehen und zur Sprache zu bringen. In jedem Fall ist der Resonanzraum, den das Kino (und der Diskussionsraum) für die privaten Bilder bereitet und sie damit in öffentliche transformiert, bis dahin unter Spannung. Das Publikum reagiert vor allem (wiewohl auch noch vereinzelte Nachfragen vorkommen). Eine diskursive Auseinandersetzung darüber ist allerdings nur noch bedingt möglich. Affekte und Wahrnehmungen des Publikums stehen neben den Erläuterungen auktorialer Intentionen, finden aber kaum noch zu Vermittlung zwischeneinander.

Ein erster Zuseher bringt seinen Gefallen zum Ausdruck, er habe viel gelacht und gelernt darüber, was es bedeutet, so lange Beziehungen zu haben. Ein anderer beginnt seinen Beitrag damit einzubekennen, das Kino nach der Szene, in der Schlössers Mann den Hund tritt, verlassen zu haben. Er sah in dem Film zunächst eine Aushandlung auf Augenhöhe, das sei aber entglitten. Den Mann empfand er in Diskurs und Gestik als gewaltvollen Menschen, der Film erschien ihm daraufhin als Abbrechnung, der das Gewaltvolle in der Macht der Regie nur umdrehe, Emanzipatives könne er darin nicht erkennen. Eine Diskutantin beschreibt pointiert das Gefühl anschwellender Wut, dass sie während des Films verspürt hat. Sie betrachte ein Paar, das über eine Wohnung und ein Haus verfügt, die sie im Rahmen ihrer Ehe bespielen können, und sich nun auch noch des Kinoraums bemächtigt. „Warum sind heterosexuelle Beziehungen immer so laut, warum beanspruchen die immer so viel Platz?“ Bei Hetero-Beziehungen werde immer vorrausgesetzt, man hätte einen gemeinsamen Nenner; dieses Sprechen von Liebe sei aber unpräzise. Sie empfinde das Ergebnis „sumpfig, aber nicht offenbarend sumpfig, sondern einfach nur sumpfig“. Jemand findet die Rolle der Filmemacherin inquisitorisch und stellt sich einen Film vor, der gleichberechtigt auf Augenhöhe stattfinde. Noch eine Wortmeldung unterstreicht den dezidiert weiblichen Blick des Films, im männlich geprägten Kino eine Seltenheit, der ein facettenreiches Bild einer zeitgenössischen Männlichkeit freilege: rational und als Clown, als Narrator, der sich die Welt zurechterklärt.

Hier hakt Katrin Schlösser nochmal ein. Der Eindruck freut sie, darum sei es ihr tatsächlich auch stark gegangen: den Blick einer Frau auf einen Mann. Die Teilnahme ihres Mannes an dem Projekt empfinde sie als Geschenk. Er lebe jetzt gut damit, dass es ihn gibt. Was er über den Film denke, das müsse man ihn selber fragen. Als ihre stärkste Erkenntnis aus der kinematographischen Selbstbeobachtung, damit schließt Schlösser, bleibt der Eindruck, dass die Protagonistin und die anderen um sie rum ein Bild von funktionierenden Beziehungen, ein Ideal von Liebe haben, das wenig mit der Realität übereinstimme.

Zuletzt kommt noch ein begeisterter Zuseher zu Wort. Auf so einen Film habe der seit Montag gewartet, er erhelle viel über Beziehungen in einem einfachen Setting, und eröffne eine Zukunft des Dokumentarischen.