Synopse
Eine Kellertür geht auf, der Blick fällt auf bunte Skulpturen, dann weites Land. Gefängnis, Kunst, Freiheit – zwischen diesen Polen bewegen sich die Biographien von Erika und Tine, 81, und seit 40 Jahren ein Paar. Mehr leise als laut erzählen ihre Fotografien, Videoaufnahmen, Tagebuchnotizen und Briefe von kreativer Verwirklichung, Liebe und selbstgeschaffenen Freiräumen vor und nach der Wende.
Protokoll
Im Stillen Laut – ein Film, den man, wenn man ihn als ein Porträt der Künstlerin Erika und ihrer DDR-dissidenten Lebensgefährtin beschreibt, nur unzureichend erfasst, beginnt mit dem Bild einer Öffnung. In einem Lagerraum werden Isolierverschalungen von den Fenstern genommen, Licht dringt herein. Das Bild ist ein vielsagender Beginn für einen Film, der mit großer Ruhe eine marginalisierte, aber selbstbehauptende Existenz auf die Leinwand bringt. Das Gespräch über den Film unterstreicht seine Qualität als eine Form queerer, filmischer Geschichtsschreibung, der einen spezifischen Blick auf eine spezifische Lebens- und Aktivitätskonstellation wirft, und dessen ästhetische Entscheidungen immer wieder an seinen Gegenstand rückgebunden wirken.
Ihre Dankbarkeit für den Film stellt Alex Gerbaulet an den Anfang. Dafür, wie er im Jetzt in zumeist laut geführten Nachwendedebatten, inmitten einer Diskursverschiebung in der es Misogynie und Rassismus schwierig machen, andere Töne zu hören, eine stille Beharrlichkeit und eine feste Haltung zeigt. Sie erkennt eine große Qualität des Films darin, wie er sich in seiner Form und Erzählweise der Geschwindigkeit und den Gesten seiner Protagonistinnen annähert. Wie schafft der Film das, diese Tonlage zu etablieren, und sich seinen Platz zu nehmen, so wie Erika und Tine sich den ihren geschaffen haben, einen Ort für queere Lebensentwürfe?
In der Recherche hatte Therese Koppe, die selbst, in den 1980ern in Ostberlin geboren, zwei Generationen jünger ist als die 80-jährigen Frauen, ursprünglich an ein Mehrgenerationenporträt über Künstlerinnen in der DDR gedacht, auf Erika Stürmer-Alex stößt sie zunächst in Texten und online, fährt zum Tag des offenen Ateliers, fährt nochmal hin, um Erika zu interviewen, lernt auch Tine kennen, ist fasziniert von der Offenheit der beiden und dem was sie beständig zusammen verhandeln. Über einen Zeitraum von zweieinhalb Jahren, während derer sie teilweise auch dort lebt und arbeitet, entsteht eine Vertrauensbeziehung. Tine fungiert auch als Chronistin des Hofes seit 1982, führt Tagebuch und veröffentlicht etwas davon in kleinen Heften, die sie an Freundinnen verschickt.
Aus der Beobachtung von heute, führt Evelyn Rack aus, sollte die Montage aus 70 Stunden Material aus einem Jahr Drehzeit, Archivbildmaterial und großen Mengen von Texten, eingebunden in die Chronologie eines Jahres auf dem Hof, zwei Lebensläufe erzählen, vor und nach der Wende, von Zeiten die nie nur gut oder nur schlecht waren. Etwas, das in der letzten Diskussion der beiden im Film nochmal explizit wird: ein differenziertes Blicken auf die Zwischenräume, in denen alternative Lebensstrategien und Räume möglich waren. Es ging dabei auch, so Koppe, um zwei unterschiedliche Perspektiven, Tine, die früh als Staatsfeindin markiert war, hat einen anderen biographischen Blick als Erika, das Arbeiter- und Bauernkind, die bei allen Auseinandersetzungen Sozialistin geblieben ist, Pole, über die die beiden auch ständig selbst in Verhandlung sind. In der Sichtung des Materials wurde oft schnell deutlich, was als Beobachtung funktioniert, und was über Archivmaterial und Tagebücher erzählbar ist.
Die ersten Stimmen aus dem Publikum kommen von Frauen, die eine ähnliche biographische Erfahrung mit den Protagonistinnen des Films teilen, und sind, gerade auch angesichts der eigenen Lebensläufe („Ich kucke auch mit kritischem Blick: Was haben sie jetzt wieder falsch gemacht?“, merkt eine schmunzelnd an), voller Anerkennung über das Porträt: Über die Genauigkeit der Beobachtung und die Angemessenheit des Blickes auf ein alterndes lesbisches Paar, auf Körper und auf Lebenszusammenhänge, über das Abzirkeln von politischen Dimensionen feministischer Praxis im autoritären Staat.
Eingegangen wird auch auf die Szene, die Erika unter der Dusche zeigt. Eine Zuseherin hat den respektvollen Blick auf die Attraktivität eines 81-jährigen Frauenkörpers sehr genossen. Koppe erklärt, dass die Szene einen Blick Tines auf Erika aufnimmt, die mal erwähnt habe, dass sie Erika gerne durch die Milchglasscheibe der Duschwand fotografiere. Gerbaulet sieht darin eine schöne Klammer zu der Eingangsszene, in der Erika aus ihrer Stasiakte vorliest: eine Eigeninszenierung, die gegen die feindselige Fremdsicht des Staates steht.
Eine andere Sequenz, die noch ausführlicher besprochen wird, ist die Episode um den Versuch einer Familie aus dem Westen, nach der Wende Besitzansprüche am Hof geltend zu machen. Aus deren Mund hören die Frauen: Sie haben ja 27 Jahre umsonst gelebt hinter der Mauer. Die Schilderung basiert auf einem Text den Tine in einem ihrer Heftchen geschrieben hat, erzählt Koppe. Das Aufnehmen einer Erfahrung der verständnislosen Nicht-Wertschätzung sei wichtig gewesen, weil sie biographisch für die beiden (und so viele andere) gewesen ist. Eine Publikumsstimme sieht darin eine schöne Rückübertragung: Auch nach der Wende ist der Ort, an dem Freiheit stattfinden sollte, noch einer, um den gekämpft werden muss.
Gerbaulet weist auch noch auf eine Ambivalenz der Nische hin, die der Film als alternativen Raum thematisiert: der Hof, den die beiden für sich und ihr Umfeld geschaffen haben, und auch als über 80-Jährige noch mit sichtbarem Arbeitsaufwand unterhalten. Ein funktionierender Schutzraum zum einen, dem gleichzeitig ein spürbarer Wunsch gegenüber steht, wirksam sein zu können, der sich freilich nicht auf Nischen beschränkt. Therese Koppe war wichtig, diese zwei Seiten im Film präsent zu haben: den Freiraum in seiner Bedeutung erfahrbar zu machen, und zugleich zu schildern, welcher Aufwand dahinter steht. Die Frage der Wirksamkeit war auch nach der Filmpremiere in Leipzig Gesprächsthema. Aus der Vernetzung dieser wie anderer Nischen sei so etwas wie ein Teppich entstanden, der unter den offiziellen Organen drunterläuft: eine stille Form der Wirksamkeit. Auf dem Hof lebt mit den beiden eine dritte Frau, eine Musikerin, die ihn später übernehmen soll, und sich bereiterklärt hat, die beiden zu pflegen, so lange es möglich ist. Erika und Tine arbeiten seit vielen Jahren und auch heute noch mit jungen Frauen aus der Umgebung des Hofes, um ihnen Zugänge zu Kunst und künstlerischer Praxis zu ermöglichen. Es gibt viele Wege der Wirksamkeit.
Evelyn Rack, Therese Koppe v.l. © Duisburger Filmwoche, Foto: Simon Bierwald