Film

Walden
von Daniel Zimmermann
CH 2018 | 106 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 42
08.11.2018

Diskussion
Podium: Daniel Zimmermann
Moderation: Katrin Mundt
Protokoll: Georg Kußmann

Synopse

Eine Tanne fällt, wird verarbeitet, beginnt eine kontemplative Reise. 360˚-Schwenks begleiten ihren Weg, öffnen Räume. Das Naturprodukt verlässt allmählich den Wald; durchquert als Schnittholz graue Bezirke des Transits, an denen nur die Ränder grünen. Seine Tournee folgt einer universellen Logik. 

Protokoll

Vor einer anderen Vorführung des Filmes habe der Moderator mit dem Publikum eine Atemübung gemacht. Das habe das Publikum entspannt, sagt Regisseur Daniel Zimmermann bevor das Screening seines Films WALDEN beginnt. Es deutet sich an, dass der Film eine gewisse Ruhe ausstrahlen wird. Man könnte sagen, WALDEN beginne damit, dass ein Baum gefällt wird. Und tatsächlich geschieht dies in der allerersten Einstellung. Bis es so weit ist, schwenkt die Kamera jedoch zunächst über Minuten in meditativer Langsamkeit durch das Unterholz, über Blätter, Ranken, Borke. Durch die Veränderung des Blickwinkels werden Geschehnisse im Hintergrund präsent. Ein Waldarbeiter – durch die Entfernung verkleinert – setzt die Motorsäge an. Als das „Baum fällt!“ gerufen wird, ist die Kamera schon längst weiter rotiert. Auch als der obere Teil des Baumes krachend ins Bild schlägt, lässt sie sich keine Sekunde von der ruhigen Gleichmäßigkeit ihrer Bewegung abbringen. In diesem stoischen Duktus nun besieht dieser Film den Weg, den der gefällte Baum nimmt. Von seinem Ausgangspunkt, einem österreichischen Klosterwald, mittels diverser Transportmittel bis in den brasilianischen Regenwald.

Katrin Mundt fasst einleitend zusammen, der Film führe von Wald zu Wald und halte sich in der Zwischenzeit an dreizehn verschiedenen Stationen auf. Dabei verfolge er den Transport des in der Anfangsszene gefällten und zu Balken verarbeiteten Baumes. Das Holz gerät dabei immer wieder für relevante Zeitspannen aus dem Auge und bilde trotz dessen eine Art narrativen roten Faden, der sich durch den Film ziehe. Zimmermanns Hintergrund als Holzbildhauer, Filmemacher, Dramaturg, künstlerischer Leiter etc. berühre Aspekte, die sich alle in diesem Film wiederfänden. Mundt möchte wissen, wann er den Impuls verspürt habe an diesem Projekt zu arbeiten. Zimmermann antwortet soweit er sich erinnern könne, müsse das vor etwa acht Jahren gewesen sein, als er für ein Bühnenstücke im Kontext der Kolonialisierung im Amazonas Gebiet recherchierte.

Mundt erwähnt, das Motiv des Holzes gebe im Film die Richtung vor und dennoch wäre man als Zuschauer damit beschäftigt sich zu orientieren, herauszufinden wo es innerhalb und über die Einstellung hinaus hingehe. Zimmermann erwähnt die Dimensionen, die der Film umspannt. Das Holz mache eine knapp fünfzehntausend Kilometer lange Reise. Der Transportweg habe dabei etwas von einem Rorschach- Test. Es gebe als Fixpunkte hingekleckst die beiden Häfen Hamburg und Manaus, die sich nur marginal unterschieden. Die Orte davor und dazwischen verästelten sich und zeigten unterschiedliche Elemente auf – von Arbeit, Menschen, Mobilität und Vergleichbarem. Mundt ergänzt, die Wirkung des Films habe mit dem Einsatz der Kamera zu tun. Jede Einstellung sei als gleichmäßig bewegter 360-Grad-Schwenk angelegt. Das gebe ein sehr langsames Tempo vor. Auch die Positionierung der Kamera spiele eine Rolle in der Hinsicht, dass sie das Betrachten des Übergangs verschiedener Landschaften, das Changieren zwischen Vorder- und Hintergrund und Strukturen verschiedener Skalierung erst ermögliche. Diese Herangehensweise habe Zimmermann zufolge eine spannende Herausforderung dargestellt, da Kameramänner und -frauen es in der Regel gewohnt seien, Kadragen in einer Richtung zu suchen. Für dieses Projekt sei es dagegen wichtig gewesen Standpunkte zu finden, von denen aus sich in der 360-Grad-Sicht durch das Schwenken spannende Dramaturgien finden ließen.

Mundt möchte wissen, wie die Suche nach den Drehorten ablief, die sie als generische, typische Orte, zum Teil auch als Unorte bezeichnet. Zimmermann antwortet knapp, es seien eben alles Orte auf dem Transportweg gewesen. Mundt erkundigt sich, ob die symbolgeschichtliche Aufladung der Orte ein Kriterium gewesen sei. Zimmermann möchte wissen, ob sie damit andere Filme meine. Es sei dort ein sehr bekannter Film gedreht worden. Auf den hätte man sie häufig angesprochen. Dieser sei jedoch nur insofern ein Kriterium gewesen, als es ihnen wichtig war, anders mit der indigenen Bevölkerung umzugehen, als dieser Film es gemacht habe. Mundt möchte wissen, ob damit die Positionierung der Indigenen im Bild gemeint sei. Die würde sie als tableauhaft beschreiben. Zimmermann erzählt, sie hätten viel recherchiert und überlegt, wie man die Einheimischen inszenieren oder nicht inszenieren könne oder solle. Letztlich habe man sich für diese tableauhafte Inszenierung entschieden, da die Szenen, in denen er die Menschen während der Recherche angetroffen habe, ihm zu absurd vorgekommen waren. Er habe dort eine Familie getroffen, die auf einem generatorbetriebenen Flachbildfernseher Hollywoodfilme anschaute, während nebenan Schnellboote für Urlauber bereit standen, die für zwei Wochen zum Fischen dort hinreisten.

Mundt fragt noch einmal umfassender zum Aspekt der Inszenierung im Film. Die habe es je nach Szene in unterschiedlicher Ausprägung gegeben. Sie habe den Eindruck gehabt, es habe Arrangements mit dem Ziel gegeben, bestimmte Narrationen zu suggerieren. Da gebe es Beispiele wie die Häfen, bei denen es sehr einfach sei, weil sich Assoziationen mit dem Motiv des Transports sofort ergäben, auch wenn nicht gerade ein Schiff durchs Bild führe. Es gebe aber auch subtilere Koinzidenzen, wie die Begegnung zweier symbolträchtig benannter Schiffe, die kein Zufall sein können. Zimmermann bestätigt, dass solche Details inszeniert wurden. In Mundts Lesart verbinden sich diese Details zu einem durchgehenden Narrativ kolonialer Verhältnisse.

Werner Ružička grätscht dazwischen, um zu berichten, dass er vor allem Nachdenken, wo der Film inhaltlich hinführe, zuallererst mit einem großen Genuss dem Geschehen auf der Leinwand zugewandt war. Der Film mache nämlich etwas dezidiert filmisches: Den Menschen, der aus sich heraus nicht in der Lage sei zu schwenken, durch den konstanten Schwenk aus gewohnten Rezeptionsverhalten und Zeitempfinden zu werfen. In diesem Zustand der cineastischen Unsicherheit in der Verortung des Standpunkes den zahlreichen Gegenständen der Panoramaschenks ausgesetzt zu werden, wäre großartig. Gerade Elemente, wie das Herunterklappen des Baumes am Anfang hätten eine visuelle Gewalttätigkeit, die ihn begeistert, erschüttert und in artverwandte Zustände versetzt habe. Zimmermann erzählt, den Kandidaten für die Position des Kameramanns habe er immer gleich gesagt, er möchte sie im Film nicht spüren. Es war sein Ziel, dass die Kamera durch ihr mechanisches Drehen mit exakt gleichbleibender Geschwindigkeit allen Dingen den selben Wert gebe. Das würde er damit gleichsetzen, dass sie sich zugleich für nichts und für alles gleichermaßen interessiere. Dieses visuelle Konzept stelle für ihn eine Verbindung zweier Weltsysteme dar. Der katholischen Perspektive auf der einen, der animistischen auf der anderen Seite.

Mundt wirft ein, die Schwenks seien zwar als 360-Grad-Schwenks angelegt, wären in der Regel aber nicht vollumfänglich im Film enthalten. Sie interessiert sich dafür, wie die Entscheidungen über Anfang und Ende der Einstellungen getroffen wurden. Die Ungewissheit darüber habe in ihrer Wahrnehmung die Verunsicherung über die Verbindung der Szenen miteinander verstärkt. Bernhard Braunstein, der den Film geschnitten hat und an der Recherche beteiligt war, beantwortet diese Frage. Die Entscheidungsfreiheit über Anfang und Ende habe bei der Montage geholfen einen Rhythmus zu finden. Die Schwenks hätten im Rohzustand zum Teil mehrere Umdrehungen umfasst, so dass es recht viele Mölichkeiten gab sich für Ein- und Ausstiege zu entscheiden. Die Umdrehungsgeschwindigkeit der Kamera sei stets exakt identisch gewesen, aber die Unterschiedlichkeit der Dinge und ihrer Entfernungen im Bild erzeugten sehr variable Zeitempfinden. Interessanter Weise seien die Einstellungen in der finalen Schnittfassung alle von recht ähnlicher Länge, ohne dass es dem Betrachter unbedingt so vorkomme. Bei der Auswahl der Ein- und Ausstiege für die einzelnen Szenen sei es darüber hinaus wichtig gewesen, das Holz als den roten Faden des Films zu berücksichtigen. Dabei stellte sich heraus, dass es günstiger war, sich nicht zu häufig auf den Transport des Holzes zu konzentrieren, da es die Aufmerksamkeit von den Dingen abziehe, die eigentlich interessanter seien: Blätter, Strukturen, insbesondere auch die Strukturen dessen, was Mundt zuvor Unorte genannt habe.

Aus dem Publikum werden die Fragen gestellt, ob es für die Struktur des Films Vorbilder in der Filmgeschichte gäbe und ob WALDEN als große erzählerische Metapher gemeint sei. Die Ankunft im lateinamerikanischen Wald hätte gewirkt, als wäre die Zivilisation oder Menschheit als eine Art Zwischenspiel überwunden worden. Zugleich hätte es aber auch Brechungen gegeben, beispielsweise durch Motoren. Zimmermann bezeichnet die Filme von James Benning als große Inspiration. Die Ankunft des Holzes im Wald würde er eher als ein mystisches Motiv bezeichnen. Im dichten Regenwald, der etwas traumhaftes an sich habe, verschwinde das Holz einfach. Das ziele atmosphärisch auf etwas Unerklärliches, auf etwas Irrationales ab.

Eine weitere Publikumsfrage richtet sich auf die Beziehung des Films zu seinen Referenzen, insbesondere zu Henry David Thoreaus Buch „Walden“, dem der Film seinen Titel entnommen hat. In diesem Buch, das im Übrigen auch von Benning filmisch bearbeitet worden sei, wäre vom Motiv des zivilen Ungehorsams die Rede gewesen. Der Ausdruck fände sich auch in der Synopsis dieses Films wieder. Zimmermann sagt, Thoreau zeichne in seinem Buch ein sehr präzises Bild der Gesellschaft. In gewisser Weise mache sein Film dies auch. Der Begriff des zivilen Ungehorsams sei seines Wissens nach von Thoreau in die Welt gesetzt worden. Einen Baum, der im Nutzwald eines Benediktinerstifts abgeholzt wurde, in den Amazonas zu tragen, in einer Umkehrung der Richtung, welche die meisten anderen zivilen Güter nähmen, sei für ihn ziviler Ungehorsam. Außerdem entziehe sich der Film in seiner Form der gewohnten Rhythmik und Art Filme zu machen.

Aus dem Publikum wird der Film als „schön“ bezeichnet, obwohl seine Darstellung von und Kritik an Weltsystemen eher eine Traurigkeit auslöse. Darin zeige sich vor allem die Tendenz einer dem Wachstum verpflichteten Denk- und Handlungssphäre. Die Synopsis habe Hoffnung auf eine praktischere Kritik oder eine konkretere Form zivilen Ungehorsams geweckt. Dass diese im Film nicht beinhaltet sei, wäre enttäuschend gewesen. Das Holz zu transportieren sei nur ein Symbol. Zimmermann gibt zu, dass man den Holztransport als kleine, simple, naive Geste auffassen könne, die jedoch in vielen Ebenen und Kontexten lesbar sei. Weitergedacht stelle sich die Frage, was man als Kunstschaffender überhaupt in die Welt setzen könne, um solchen Ansprüchen gerecht zu werden. Er wollte mit WALDEN zeigen, was alles auf dem Transportweg zu sehen ist. Was in die gefundenen Bilder hineininterpretiert werde, lasse der Film jedem Zuschauer offen.

Mundt ergänzt, ihr falle zum Stichwort des zivilen Ungehorsams der Moment der Irritation ein, der sich im Verlauf des Films einschleiche, wenn man langsam die umgekehrte Richtung des Transports realisiert. Das sei produktiv, weil diese Erkenntnis nach einer Auflösung verlange. Was mit dem Holz passiert, möchte man erfahren, wird aber in der Irritation belassen. Das funktioniere gut.

Joachim Schätz merkt an, die Schwenks des Films funktionierten für ihn sehr gut in der Idee der Verbindung und Dualität eines Ausstellens von Logistik – zu der implizit auch die Logistik und der Aufwand des Filmes selbst gehöre – und der Idee von Animismus und Egalität aller Elemente. Dieser letzte Aspekt sei durch die Gleichförmigkeit der Schwenks erzeugt worden. Der erste komme seinem Eindruck nach durch das Geradejetzt bestimmter Ereignisse zustande, die ihm zum Teil als Inszenierungen erscheinen. Er möchte wissen, ob die Einflussnahme auf das Eintreten von Ereignissen Mittel zum Zweck der Narration waren oder in der Absicht passiert sind, den Aspekt der Logistik hervorzuheben. Zimmermann antwortet, jede Szene sei choreographiert worden. Einerseits um narrationsrelevante Elemente wie das Holz, Transport- oder Verladeprozesse sichtbar zu machen, andererseits um jede Plansequenz mit einer eigenen Dramaturgie auszustatten. Schätz bedauert, dass die Dualität von pointierter Logistik und Animismus am Schluss des Films durch das Verschwinden des Holzes im Regenwald zu Gunsten einer Seite aufgelöst werde. Braunstein hält dagegen, die Holzleisten würden bis zum letzten Frame durchs Bild getragen. Es handele sich nicht um eine Auflösung.

Schätz möchte mehr darüber wissen, wie sich die Filmemacher der Choreographie genähert haben. Braunstein sagt, neben dem praktischen Interesse, den Protagonisten einmal pro Szene im Bild zu haben, hätte man versucht, in einem Spannungsfeld zwischen Zufall und Gestaltung zu arbeiten, das auch die Dramaturgie und den Schnitt stark beeinflusst habe. Zimmermann fügt hinzu, bei der Auswahl hätte sich herausgestellt, dass in der Regel die nicht richtig auf den Punkt choreographierten Takes am spannendsten gewesen seien.

Ružička möchte wissen, ob in den Szenen Originalton oder Sounddesign zu hören war. Braunstein erzählt, es seien mit großem technischen Aufwand sehr viele Originaltöne im 5.1-Mehrkanal-Verfahren aufgenommen worden. Die dienten zur Orientierung. Es habe dann einen sehr intensiven Tonschnitt mit dem Ziel gegeben, die Aufmerksamkeit zu lenken. Beispielsweise seien Hunde im Bild zu sehen, die man vom Kamerastandpunkt eigentlich nicht bellen gehört habe. Das Bellen sei nun künstlich eingefügt, was den Blick zu den Hunden lenkt. Auch für den Spannungsaufbau eigneten sich einzelne Töne. Die Mischung sei dennoch sehr zurückhaltend und naturalistisch erfolgt. Es sei beeindruckend, wie gravierend sich die Tonlandschaft über die Zeit und die verschiedenen Orte verändere. Mundt bekräftigt diese Einschätzung. Sie habe sich im Lauf des Films von sehr unterschiedlichen Sounds attackiert gefühlt. Interessanter Weise habe die noch anwachsende Zahl der Geräuschquellen bei den letzten Bildern im Regenwald dazu geführt, dass sich dieses Sound-Universum akustisch eher homogenisiert habe, indem die Einzelquellen in der Gesamtlandschaft aufgingen. Konkret beschreibt sie eine Szene, in der die Kamera von einer stark befahrenen Straße auf eine Felswand, diese relativ lange Zeit entlang und zurück zur Straße schwenkt. So lange die Straße nicht zu sehen ist, sind keine Motorengeräusche zu hören. Mundt möchte wissen, ob das Zufall oder Sounddesign war. Zimmermann sagt, es sei nötig gewesen die Geräusche der Autos herauszunehmen, um den Fokus auf die Details auf der Felswand zu legen.

Eine Zuschauerin sagt, sie empfinde den Film als Gedicht mit starker Aussage, die sie verstehe. Zimmermann bedankt sich ohne weiteren Kommentar. Bezugnehmend auf Zimmermanns Bemerkung vor der Vorführung fragt Ružička welche Übungen vorenthalten wurden. Zimmermann antwortet, es handele sich um Atemübungen zum Entspannen. Kurz vor Ende taucht das Motiv, mit dem die Veranstaltung begann, also erneut auf. Im Film hat es die Kreisbewegung mit Zirkelschluss nicht gegeben. Hier schon. Fünf, sechs, sieben Mal einatmen… ausatmen. Das habe ein Moderator vor einer anderen Vorführung mit dem Publikum gemacht. Hier sei es nicht nötig, dort habe es geholfen die Situation zu verlangsamen. Die hiesige Moderatorin greift das Motiv der Verlangsamung auf und bedankt sich für das Gespräch.