Film

Linger on Some Pale Blue Dot
von Alexandre Koberidze
DE/IL 2018 | 29 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 42
09.11.2018

Diskussion
Podium: Alexandre Koberidze
Moderation: Henrike Meyer
Protokoll: Franya Barth

Synopse

Ein Schlaglicht führt in eine kleine Bäckerei im Rhythmus. Dort kneten Maschinenarme, drehen sich Kessel, feuern altertümliche Gerätschaften handbemessene Teigmengen an. Ein Rotieren im wechselnden Tempo der Zubereitung bestimmt das Metrum der mehlbefleckten Tel Aviver Stube.

Protokoll

Eine schwarze Leinwand. Plötzlich ein Spot aus bläulichem Licht, der uns den Weg von den Sternen, zum Meer, zu einem Paar Schuhe weist, dem wir – vorbei an Grashalmen, Mauern und Graffiti – bis in eine Bäckerei folgen. Dort angekommen werden wir die Zeugen eines Backvorgangs, dessen Ende eigentlich das fertige Brot markieren sollte. Stattdessen schauen wir jedoch auf eine endlose Wüste und in einen blassblauen Himmel, um schließlich von den nächtlich funkelnden Augen der Katzen betrachtet zu werden. Musikalisch begleitet werden wir dabei von einer endlosen Folge aus entfernt vertrauten Filmmusiktracks – mal jazzig und beschwingt, mal melancholisch, mal geheimnisvoll und mystisch. Alexandre Koberidze erzählt uns mit seinem experimentellen Dokumentarfilm LINGER ON SOME PALE BLUE DOT etwas von den großen und den kleinen Dingen. Vor allem aber davon, wie man Brot herstellt.

Wir haben eine Art Sachfilm gesehen, haben alle Prozesse verfolgen können, jedoch nicht das fertige Produkt gesehen – warum?, fragt Moderatorin Henrike Meyer zum Einstieg. „Brot kennt jeder“, entgegnet Koberidze, deshalb müsse man es nicht zeigen. Lange war für den Filmemacher unentschieden, in welche Richtung der Film sich bewegt. Nachdem er die Förderzusage für die Produktion eines Dokumentarfilms in Israel erhielt, sei relativ schnell klar gewesen, dass es für ihn unmöglich ist, einen klassischen Dokumentarfilm über Israel zu machen. Ihm fehle schlichtweg das Wissen, das Verständnis um alles zu begreifen, was dort passiere. Brot aber sei jedem nahe. Auch in Konfliktgebieten gebe es Brot – auf beiden Seiten.

Die Ästhetik des Films wird maßgeblich von der altertümlichen Mechanik der Maschinen geprägt, deren Details immer wieder in den Fokus geraten. In einigen Szenen, so Meyer, entwickelten die Maschinenteile ein regelrechtes Eigenleben. Der rotierende Metallarm einer Knetmaschine, der sie an den schwingenden Rüssel eines Elefanten erinnert, scheint unablässig weiter zu kneten, auch wenn der Bäcker Pause macht. Ein rundes, kreisendes Scharnier wird durch die schrittweise Annäherung der Kamera zum rotierenden Planeten im Orbit. Das Kaffeepulver, das durch die Geste des Umrührens in der Tasse verwirbelt, weckt Assoziationen an das märchenhafte Gestöber einer Schneekugel. Auch die Hände des Bäckers, transformiert durch das Weglassen seines Gesichts zu einem eigenständigen, vom Körper losgelösten Objekt, das sich visuell wie ein Zahnrad in den Arbeitsprozess einfügt. Gesichter, so Koberidze, seien ein Feld, auf dem man viel falsch interpretieren könne. Es war wichtig, in erster Linie einen Bäcker zu sehen und nicht so sehr einen Menschen. Er habe nach Methoden gesucht, wie man die Dinge dekontextualisiert. So müsse man entweder nah sie herantreten oder sich sehr weit entfernen. Was er nicht zeigen wollte, ist das Ergebnis – das fertige Brot in seiner fertigen Form. Auch den Ort sollte man nicht zuordnen können. Es gehe ihm um Neutralität und eine bewusste semantische Offenheit, so der Regisseur.

Die nahezu kontemplativen Aufnahmen der arbeitenden Maschinen und der teils arbeitenden, teils wartenden Hände des Bäckers werden durch einen markanten „Soundtrack“ begleitet. Das Besondere dabei: Koberidze arbeitet hier ausschließlich mit musikalischen „Readymades“ aus der Datenbank von Universal. Auf der Seite des Unternehmens, so Meyer, könne man die Filmmusiken sogar nach Hashtags, wie „filmnoir“, „drama“, „drone“, aber auch thematisch nach Begriffen wie „love“ oder „gentle“ filtern. Immer aber breche hier gefühlt ein ganzer Kosmos der Filmgeschichte mit den gewählten Titeln herein, der das Gezeigte in weitere ästhetische Sphären überführe. Auf die Frage, ob er sich bei der Auswahl von den Orten habe leiten lassen, entgegnet er, dass er ausschließlich genrespezifisch gearbeitet habe. Die Einarbeitung der Musik stellte für ihn einen seltsamen Prozess dar. Eigentlich passe alles zu allem, aber trotzdem komme am Ende immer etwas anderes heraus. Diese Entscheidungen forderten am Anfang viel Zeit. Irgendwann fand er jedoch eine Logik, die für ihn funktionierte.

Meyer lenkt das Gespräch auf die Anfangs- und Schlussszenen des Films, die wie eine diskursive Rahmung der Bäckereiszene wirkten, da sie vor allem durch die Verwendung der Blenden eine ganz andere Raumwirkungen erzeugten. Koberidze bezeichnet diese Rahmung als Teil seiner Gedanken über den Dokumentarfilm. Mit Bezug auf die Blenden äußert er: „Ich will ganz genau zeigen, was mich interessiert.“ Den Rest aber wolle er weglassen. In den Straßen Israels passiere so viel, worüber er nicht wage, zu sprechen. Der Film beginnt im Himmel bei den Sternen und endet auch im Himmel. Brot machen und die Sterne – für den Regisseur liegt das eigentlich nah beieinander.

Der Titel des Films LINGER ON SOME PALE BLUE DOT verweist unmissverständlich auf die berühmte Fotografie, die am 14. Februar 1990 vom Raumschiff Voyager aus sechs Milliarden Kilometern Entfernung von der Erde aufgenommen wurde und auf dem von unserem Heimatplaneten nicht mehr zu erkennen ist als ein winziger, blass-blauer Punkt. Noch heute, so der Regisseur, verblüffe ihn dieses Bild und die Tatsache, wie klein der Mensch und seine Lebenswelt im Vergleich zum Universum ist. Dennoch ist die Erde und das menschliche Leben für ihn deshalb nicht unbedeutend. „Es ist klein, doch genauso groß und nicht weniger wichtig, als das Große drumherum.“

Bei der Eröffnung des Gesprächs für das Publikum werden zunächst Stimmen laut, die sich kontrovers zur Verwendung der Universal-Filmmusik äußerten. Im Umgang damit fehle einem Zuschauer die kritische Befragung des Materials, die er im Umgang mit den Bildern als wesentlich gelungener erachtet. Eine andere Zuschauerin bekundet wiederum ihre affirmative Zustimmung zu der Entscheidung. Sie habe sich amüsiert. Weitere Stimmen aus dem Publikum bemerken, dass Koberidze mit LINGER ON SOME PALE BLUE DOT ein vielfältiges Referenzsystem eröffne. So fühlte sich ein Zuschauer an Schriften Sergej Tretjakofs oder Filme von Alain Resnais erinnert.

Werner Ružička sieht in der Gegenüberstellung von Wüste und Mehl und der strukturellen Assoziation mit dem Teig des Brotes auch einen Verweis auf die Dialektik zwischen Hunger und Nahrung, zwischen der Öde, die der Krieg hinterlässt, und dem Brot als Grundlage des Lebens. Dennoch nehme der Film dabei keine Antworten vorweg, bleibe auf positive Art und Weise undurchschaubar und gebe Raum für Reflexion. Letztlich, so der Regisseur, versuche er mit seinem Film zu zeigen, dass im Prozess des Brotbackens, die eigenen zwei Hände nicht genug sind, sondern nur einen kleinen Teil des großen Ganzen darstellen. Eine Zuschauerin zeigt sich besonders beeindruckt von der Art und Weise, wie der Film über das dokumentarische Arbeiten an sich reflektiert und damit für sie auch zum Ausdruck einer Selbstreflexion des Regisseurs werde. Der skrupulöse Umgang mit der Filmmusik, deren Einsatz im Feld des Dokumentarischen normalerweise verpönt ist, widerspiegele für sie letztlich den ebenso skrupulösen Ansatz, in Israel einen Dokumentarfilm zu drehen, der versucht, dem Narrativ der Krise eine Utopie der Neutralität entgegenzusetzen.