Film

Chinafrika.Mobile
von Daniel Kötter
CD/DE/NG/CN 2017 | 38 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 42
06.11.2018

Diskussion
Podium: Daniel Kötter
Moderation: Alexander Scholz
Protokoll: Mala Reinhardt

Synopse

Vom Rohstoff zum Smartphone und zurück – ein Produkt verbindet: aus der Mine, in das Gerät, auf den Markt, auf den Zweitmarkt, auf den Schrott. Ein verschlungener Kreislauf von brutaler Ausbeutung, aufkeimender Mündigkeit, Aufstiegswillen – ein stiller Austausch mit Stationen im Kongo, in China und in Nigeria. 

Protokoll

Das Licht der Taschenlampe flackert kurz auf, wir hören Schürfgeräusche und Gemurmel. Mit zwei Bergarbeitern befinden wir uns in einer Kobaltmine in der Demokratischen Republik Kongo. Einer der beiden filmt den anderen; der hält uns ein Stück abgeschlagenen Stein entgegen. Die kleinen schwarzen Stellen sind das wertvolle Kobalt. Daniel Kötter nutzt in seinem Film CHINAFRIKA.MOBILE bewusst die Möglichkeiten, die ihm Mobiltelefone zur Verfügung stellen. Das gesamte Video- und Audiomaterial des Projekts wurde mit Handys gefilmt. Alle Aufnahmen wurden von Menschen produziert, die selbst am Produktionsprozess und Lebenszyklus eines Handys beteiligt sind. Mal wackelig, mal verzerrt, mal unscharf, haben die Bilder einen gewissen Recherchecharakter. Wie die Stimmen, die zu hören sind, nähern sie sich dem Mobiltelefon als Metapher für einen viel größeren globalen Prozess an. Kötter betont, dass er das Handy dabei als Gerät zur Schaffung von Verbindungen versteht, zwischenmenschlich, gesellschaftlich, aber auch wirtschaftlich und staatlich.

CHINAFRIKA.MOBILE ist Teil des größeren Forschungsprojekts „Chinafrika. under construction“. Auf der Webseite des Projektes wird das Ziel folgendermaßen definiert: „Ziel des im Aufbau befindlichen künstlerischen Forschungsprojektes ‚Chinafrika. under construction‘ ist es, die kulturellen Beziehungen zwischen China und Afrika zu verfolgen und einen globalen Prozess darzustellen, der den europäischen Begriff grundlegend verändern wird. ‚Chinafrika‘ ist ein Symptom der de facto fortschreitenden Relativierung Europas.“ Weitestgehend unbemerkt im europäischen Kontext haben sich in den letzten Jahren vielfältige Handels- und Entwicklungsfelder für China auf dem afrikanischen Kontinent aufgetan. Das Kunstfest Weimar war auf Kötter zugegangen und hatte das Chinafrika-Projekt angestoßen. Für seine Forschung war er dann über vier Jahre hinweg in neun Ländern. Für das Filmprojekt identifizierte er das Mobiltelefon als Gerät und Moment, in dem sich alle Prozesse manifestieren lassen: Es ist das Destillat seiner Recherche und erzählt die diversen Verbindungen, auf die er aufmerksam wurde. Bei der Präsentation im Rahmen des Kunstfests Weimar nutzte Kötter das Material für eine Performance. Es wurde eine Stadtrundfahrt mit kleinen Gruppen mit kongolesischen und ghanaischen Stadtführern angeboten. Den Besuchern wurde u. a. Besuche der Kobaltminen von Kolwesi und des Computer Village in Lagos, Nigeria, versprochen. Tatsächlich fand eine Fahrt zum nahegelegenen Steinbruch und zum Shopping Center statt. Das Publikum konnte sodann an diesen Orten Teile des Films auf ausgeteilten Telefonen anschauen.

Als Film wollte Kötter ein breiteres Publikum ansprechen und hatte das Material neu angeordnet. Die Demokratische Republik Kongo (DRK), China und Nigeria werden darin in einem Geflecht von Abhängigkeiten dargestellt. Einen konkreten Ausgangspunkt zur Entfaltung des Prozesses, einen bestimmten Ort als Ausgangspunkt für seine Reise möchte Kötter dabei nicht festmachen; der Film besteht nicht zufällig aus vier visuell und auditiv sehr unterschiedlichen Kapiteln. Mit mehr Produktionsmöglichkeiten und einem größeren Budget hätte sicherlich professionelleres Material generiert werden können. Kötter hatte sich jedoch entschieden, nur Mobiltelefone zur Aufnahme zu nutzen und seine Protagonisten filmen zu lassen, und musste mit dem Material arbeiten, das ihm von ihnen geliefert wurde.

Die Unterschiedlichkeit des Materials begründet der Regisseur auch mit den verschiedenen lokalen Gegebenheiten und der Unterschiedlichkeit der Orte. Je nach Land waren andere Sicherheitsmaßnahmen und Drehgenehmigungen erforderlich. Die im ersten Kapitel gezeigte Mine der Kleinbergbauarbeiter in Kolwesi in der DRK beschreibt er als immens faszinierend und sowohl als Geburtsort der Geschichte, als auch Geburtsort des Gerätes. Auch der Abstand zwischen Kötter und der jeweiligen Kamera wird im Film spürbar. Während er sich in der DRK in etwa zehn Meter Entfernung seiner filmenden Protagonisten befand und sehr regelmäßigen Kontakt und Austausch über Material hatte, war er in Lagos in Nigeria nur wenige Meter von der Kamera entfernt. Obwohl Kötter hier enormer Offenheit begegnete, wird die Reaktion der gefilmten Menschen auf ihn als „weißen Mann“ viel sichtbarer. In China wiederum war er während der Dreharbeiten nicht vor Ort und hielt den Kontakt über Skype. Die Aufnahmen aus der Fabrik lassen einen gewissen Argwohn erkennen.

Durch die Herangehensweise, seinen Protagonisten die Sichtbarmachung eines Prozesses zu überlassen, der den meisten Menschen verborgen bleibt, erhält Kötter am Ende lückenhaftes und anekdotisches Material. Dies war laut ihm auch genau die Absicht. Er hatte seine Protagonisten gebeten, ihren Arbeitsalltag in langen Aufnahmen zu dokumentieren. Das Ziel war dabei, die spezifische Perspektive der Menschen vor Ort zu repräsentieren. Wann seine Protagonisten zu sehen sind, ob sie sich vorstellen oder nicht, überlies Kötter den Menschen selbst. Sein Film dreht sich nicht um einzelne Charaktere, sondern um den Prozess, in den sie involviert sind.

Allgemein wird die Kooperation von China und afrikanischen Ländern vor allem auf staatlicher, wirtschaftlicher, politischer und militärischer Ebene diskutiert. Chinas Handlungen in Afrika bieten dabei vielen Menschen vor Ort Möglichkeiten und Zukunftsperspektiven. Dennoch herrschen asymmetrische Machtverhältnisse, wobei Kötter sich dagegen verwehrt, in diesem Fall von Neokolonialismus zu sprechen. In den vier Kapiteln des Films werden dann auch die verschiedenen Sichtweisen auf die Prozesse klar. Während die chinesische Stimme den Prozess sehr enthusiastisch und affirmativ beschreibt, zeigt die kongolesische Stimme eher negative Aspekte auf. Kötter war sich zuvor auch der Problematik eindimensionaler Einordnungen einzelner Nationen bewusst. So hatte er bewusst etwa 45 Interviews mit Chinesen auf dem afrikanischen Kontinent geführt. Dabei begegnete er jedoch dem Problem, dass alle von ihm interviewten Chinesen nicht gefilmt oder aufgenommen werden wollten. Kötter begründet dies mit der sehr großen Überwachung wegen der Illegalität des Rohstoffabbaus.

Im Postproduktionsprozess nahm neben der Zusammenführung des unterschiedlichen Materials aus verschiedenen Aufnahmesituationen auch die Übersetzung der Sprache viel Raum ein. Die über das Videomaterial gelegten Audiomitschnitte stammen zum Großteil aus statischen Interviews. In China wurde ein langes Interview mit einem Vorarbeiter der gezeigten Fabrik auf Mandarin gedreht, in der DRK wurden lange Gespräche mit den „Creuseurs“ genannten Bergarbeitern auf Swahili aufgenommen und in Nigeria führte Kötter selbst die Gespräche mit seinen Protagonisten auf nigerianischem Englisch und Französisch. Alle Audioaufnahmen wurden vor Ort übersetzt und in Deutschland noch einmal Korrektur gelesen.

Während CHINAFRIKA.MOBILE den Lebenszyklus von Handys dokumentiert, wird der Teil der eigentlichen Nutzung der Geräte außen vor gelassen. So werden auch keine Aufnahmen in Ländern des globalen Nordens produziert. Dass trotzdem Kötter als „weißer Mann“ als Regisseur des Films auftritt, wird von einer Stimme aus dem Publikum kritisch hinterfragt. Wird dabei nicht wieder eine Armutsbeschau produziert? Wieso musste neben den eigentlichen Rohstoffen auch etwa der Rohstoff „Bild“ von den kongolesischen Arbeitern angefertigt werden? Kötter sieht bei dieser Anmerkung vor allem deutsche und europäische Förderinstitutionen gefragt. Diese bieten zwar zunehmend Programme an, für die sich auch Menschen aus dem globalen Süden bewerben können, allerdings besteht weiterhin eine strukturelle Ungleichheit zwischen Geldgeberen und nicht-weißen, nicht-europäischen Protagonisten und deren Geschichten. So hat Kötter sich selbst vor langer Zeit vorgenommen, keine Armut in Afrika mehr abbilden zu wollen. Als „weißer Mann“ ist er sich seinen Privilegien und seiner Position vor Ort bewusst. CHINAFRIKA.MOBILE ist für ihn ein Versuch, die Geschichten vor Ort trotzdem zu erzählen: durch die Augen, die Stimmen und Entscheidungen seiner Protagonisten.