Film

Bigger than Life
von Adnan Softić
DE/MK/IT 2018 | 31 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 42
09.11.2018

Diskussion
Podium: Adnan Softić
Moderation: Katrin Mundt
Protokoll: Laura Reichwald

Synopse

Skopje entwirft sich mit architektonischem Klassikkitsch als Wiege eines europäischen Selbstbildes. Glatt geschliffene Säulen und grell beleuchtete Springbrunnen als Replik einer neuen Vergangenheit; das Ächzen unter Repräsentationsdruck prunkvoll übertönt durch heroische Musik. Eine neue Bauweise von Geschichte.

Protokoll

Italien. Ein Tempel. Im griechischen Stil. Bei Sonnenschein. – Mit diesem ersten Bild etabliert der Regisseur Adnan Softić gleich zu Beginn das Thema der Geschichtspolitik. Für ihn ging es bei der Gestaltung des diesen darum, Griechenland in Italien zu entdecken. Und mit dieser Entdeckung eine Verschiebung erlebbar zu machen, die gleichzeitig Kontinuität und Diskontinuität ist, wie er sagt. Er fände die Aussage sehr problematisch, dass Europa aus Griechenland oder Italien kommt. Das sei eine unglaubliche Vereinfachung und ein Beispiel dafür, wie Geschichte in Europa gedacht werde. Es gäbe zwei Wege für ihn, Geschichte zu denken. Das kann einmal das Aufgreifen von Ideen sein, das könne aber auch etwas Materielles sein. Das, was sich gerade in Skopje abspiele, dem Ort von welchem der Film handelt, hätte für ihn mit diesem Problem zu tun.

„It’s amazing. So much history here“, meinen die Touristen, die Skopje besuchen. Die Baukräne vor den scheinbar antiken Bauwerken stören dieses Bild für sie nicht.

1963 durch ein Erdbeben völlig zerstört, was im Film nur am Rande erwähnt wird, entscheidet man sich gegen einen originalgetreuen Wiederaufbau und für eine Planstadt nach antikem Vorbild. Dabei gibt es geschichtlich gesehen keinerlei Grundlage für das Nacheifern der griechischen Antike. Auch die Thematisierung der Tatsache, dass es sich hier um Kopien handelt, fehlt völlig; stattdessen stelle man einen seltsamen Anspruch auf Authentizität, erzählt Adnan Softić. Wer jetzt vermutet, dass es sich bei den Baumaßnahmen um eine geschickte Maßnahme zur Steigerung der Touristenströme handele, liegt falsch. Viel mehr seien sie aus Sichtweise der Nationalisten notwendig, um sich als kleines Land mit komplexen Geschichtsnarrativ auf internationalen Feld zu behaupten. Damit man aber überhaupt Geschichtspolitik betreiben könne, muss die Geschichte auf eine Linie gebracht und Vergangenheiten, die unliebsam sind, unsichtbar werden. Dafür sei man bereit zu investieren, meint der Filmemacher. Insgesamt zeige das Phänomen Skopje für ihn wie Nationalismus funktioniert.

Sozusagen ein gebauter Nationalismus, bemerkt Katrin Mundt. Adnan Softić pflichtet ihr bei und führt aus, dass Skopje eine besondere Stadt sei, die für Europa wichtig ist. Vor Ort leben drei große Gruppen von Menschen miteinander: Mazedonier, Albaner und die größte Roma-Community Europas. Diese Diversität der Stadt werde durch das Projekt überschrieben und das sei für ihn eine der Hauptmotive gewesen, in Skopje diesen Film zu drehen. Es sei sehr drastisch, dass in absehbarer Zeit 30 bis 40% der Menschen nicht mehr in die Geschichte dieser Stadt passen werden. Er habe sich bei den Filmarbeiten gefragt, wie Geschichte im gesamten Europa gedacht und reflektiert wird. Denn das, was in Skopje passiert, sei kein rein lokales Problem, findet Adnan Softić. Darin stimmt ihm Katrin Mundt zu. Skopje sei auch ein Sinnbild für eine europäische Entwicklung. Für eine Neuerfindung Europas, welches über Ausschlüsse funktioniert.

„Niemand nimmt uns ernst. Alle schauen auf uns herab“, beklagt sich im Film eine Stimme der Einwohnerschaft. Katrin Mundt fragt sich, wie man eine Stadt künstlerisch bearbeiten kann, die einem so offensichtlich etwas vorspielt und wie Adnan Softić zu dem Projekt kam. Dieser erzählt, dass er 2012 auf einer Internetplattform über unterschiedliche Architekturgroßprojekte auf der Welt auf den Masterplan für die Neugestaltung Skopjes gestoßen ist. Da wusste er sofort, dass er dies filmisch bearbeiten muss, gerade eben weil er sich auch in seinen früheren Arbeiten viel mit dem Thema Erinnerung beschäftigte. Die Baumaßnahmen vor Ort schienen mit dieser Thematik verknüpft, aber auch mit den Bereich des bereits erwähnten Nationalismus. Es war für ihn eine wunderbare Möglichkeit die Entstehung einer Nation in Echtzeit verfolgen zu können.

Und trotzdem bleibe Skopje eben doch nur ein Abklatsch davon, meint Katrin Mundt. Sie möchte wissen, inwiefern man so eine Stadt nicht einfach nur auslachen sollte. Adnan Softić findet, es sei einfach, sich nur lustig zu machen; und langweilig. Seine Funktion als Autor ist eher eine gegenteilige. Er wolle etwas verständlich machen, sich selbst und anderen. Außerdem möchte er den Zuschauern ermöglichen, Dinge zu fühlen, sich dabei zu ertappen, Dinge zu mögen, und nachvollziehen zu können, wie argumentiert wird. Darum habe er versucht, sich dem Problem aus verschiedenen Perspektiven zu nähern und nicht die Haltung einer Seite einzunehmen. Mit den für die Baumaßnahmen verantwortlichen Stellen konnte er allerdings keinen direkten Kontakt herstellen, sodass er andere Kanäle finden musste, beispielsweise die Vergleiche in den Liedern. Die seien nicht von ihm, sondern die habe er vor Ort gefunden, aufgegriffen und formell verarbeitet.

„Mein Gedächtnis ist nicht mehr in die Fassaden eingeschrieben. Ich bin zwangsumgesiedelt“, sagt eine Stimme am Ende des Films. Wir erfahren von den Härten und gewissermaßen der Gewalt, welche den Bewohnern Skopjes durch den Umbau der Stadt widerfahren ist. Viele gehen heute nicht mehr in die modifizierten Stadtteile. Man müsse sich das vorstellen, meint der Filmemacher, wie es ist, wenn eine Stadt plötzlich anders aussieht. Es gibt nichts mehr, woran man sich emotional binden kann, weil alles neu ist.

Adnan Softić nimmt diesen Schmerz in seinem Film ernst. Sowohl inhaltlich als auch auf Ebene der Bildpolitik. Er nähert sich Skopje visuell vor allem durch Imitation des Prunks und bricht diese Art von Bildern später im Film. Die Bewohner – auf visueller Ebene fast nur als „Ornamente“, als Statuen vorhanden – werden vor allem als Stimmen auf der Audioebene präsent. Adnan Softić meint selbst über seinen Film, dass es sich um eine Filmoper oder einen Musikfilm handle, und er in diesem Sinne auch die Stimmen behandle. Zunächst schrieb er nach Vorbild des Librettos Texte. Dann verkürzte und verdichtete er diese. Er wolle in BIGGER THAN LIFE etwas unmögliches schaffen, meint Softić, nämlich die Verbindung zweier für ihn total gegenteiliger Stile. Das sei einerseits der Essayfilm, welcher ihm als Filmemacher sehr nahe ist und den Zuschauern die Möglichkeit gibt, sich über das Gesagte und Gesehene Gedanken zu machen sowie eine Distanz zu haben um zu reflektieren. Und andererseits sei es die Oper, welche den Zuschauer vereinnahmt, sehr nah dran ist und wenig Abstand nimmt. Es sei ein sehr reizvolles Spiel gewesen, zwischen diesen Polen zu arbeiten und diese zu vereinen.

Ein Teil des besagten Spiels ist auch die Musik, mit denen die Stadt beschallt wird und welche Softić im Film zitiert und ausgehend davon neu komponiert. Er hat dafür viel recherchiert und gesammelt, bevor er sich wieder reduzierte. Die Musik von Wagner oder Smetana ist überall in Skopje zu hören, erzählt der Filmemacher, und er habe sich gefragt, warum ausgerechnet diese Komponisten ausgewählt wurden. Dann fiel ihm auf, dass es diejenigen Komponisten seien, die im 17. und 18. Jahrhundert für die Entstehung der Nationalmythen wichtig waren. Das sei eine interessante Wiederholung. Die Architektur funktioniere ähnlich, auch dort gibt es Wiederholung, aber es ist eine geschummelte, schnell errichtete aus Rehgips. Gewissermaßen ein sehr teures Filmset. Ausgehend von den gefundenen Musiken habe er dann ein eigentliches Libretto geschrieben in Form einer Eigenkomposition für jedes der vier Kapitel. Zusätzlich wurde mit Geräuschen aus der Stadt gearbeitet. Man könnte zusammenfassend sagen, dass Found Footage sein Ground Zero war, sagt Adnan Softić. Er habe immer geschaut, was in der Stadt vorhanden ist und ausgehend davon gestaltet.

Reduktion sei auch auf inhaltlicher Ebene ein wichtiges Stichwort gewesen, erklärt der Filmemacher. Der Film hätte einfach eine bestimmte Kapazität gehabt, die er nicht überlasten wollte. Um sich selbst den Druck wegzunehmen allen Aspekten gerecht werden zu wollen und wieder frei denken zu können, hat er ergänzend ein Buch geschrieben.

„Da wurden Dinge durchgesetzt, die man später nicht wieder losgeworden ist.“ In BIGGER THAN LIFE zeichnet Adnan Softić auf diese Weise das Bild einer Stadt zwischen Tempel und LED-Leuchten. Für ihn findet Skopje zwischen diesen Extremen statt. 600 Millionen Euro investierte die Stadt in ihr neues Erscheinungsbild. Eine Umkehr scheint nicht mehr möglich, obwohl die neue Regierung dies durchaus wolle. Aber es gilt Verträge zu erfüllen, und ein Abriss ist aus finanzieller Sicht undenkbar. Das ist tragisch. Passenderweise ist daher das letzte Bild im Film ein bunt leuchtendes LED-Panel, zu dem ein aufdringlich, unangenehmer Ton zur Taubenabwehr ertönt. Das sei symbolisch für das, was in Skopje geschehe, denn dort gibt es etwas, das zu dem Bild, was man repräsentieren will, nicht dazugehört. Diesen „Rest“ in der Geschichte, der nicht ausgesprochen wird und nicht mehr dazugehören soll. Wie die Taube. Und dieses Etwas hat der Filmemacher eingefangen.