Synopse
Die meisten Bienen im Königreich sind Einzelgänger. Patrick zieht alleine durch blühende Felder, mühsam auf der Suche nach den Insekten und dem eigenen Platz im Unverbundenen der Natur. Zuhause im Studierzimmer benennt und katalogisiert er, arbeitet an den Grenzen der Wissenschaftlichkeit mit an der Vereinzelung seiner Umwelt.
Protokoll
Max Sänger lernt seinen Protagonisten, den Bienenforscher Paddy Saunders, auf einem Campingplatz in Cornwall kennen. Ursprünglich habe er geplant, seinen Abschlussfilm an der HfbK Hamburg über Minenräumer im Libanon zu machen. Nach abendlichen Gesprächen mit Paddy über seine Filmidee und das Motiv der menschlichen Figur in Landschaften begleitet der Filmemacher den Bienenforscher bei der Arbeit – und aus Landminen werden Wildbienen. Schlussendlich, bemerkt der Filmemacher lächelnd, stecken beide halb unsichtbar in der Landschaft.
Das Vorhaben, den Forscher in den Mittelpunkt des Filmes zu stellen, erweist sich als herausfordernd, Paddy sei grundsätzlich kamerascheu. Moderatorin Henrike Meyer hebt seine besondere Ausdrucksweise hervor. Hier spreche kein breitbeiniger Wissenschaftler, sondern einer, dessen Sprechweise etwas Selbstrelativierendes, Tastendes habe. Sie vermutet, dass eine Szene, in der Paddy dem Filmemacher am Telefon von den Wildbienen erzählt, arrangiert worden sei, um den Forscher zum Sprechen zu bringen, und fragt, inwieweit das Voice-over des Films auf einer Textmontage beruhe. Als schwierig habe sich zunächst die thematische Einordnung des Gesagten erwiesen, berichtet Sänger. Er habe möglichst tief in die Welt des Bienenforschers einsteigen wollen und sei dabei auf eine Reihe ökologischer Fragen gestoßen, deren Komplexität sein erzählerisches Vorhaben überstiegen habe. Als Beispiel nennt er das Bienensterben – in der öffentlichen Wahrnehmung meist einzig mit den Honigbienen verbunden. Im Endeffekt habe er Paddy als Orientierungspunkt gewählt, an dem sich die größeren Themen andeutungsweise kristallisieren.
Der Filmemacher kommt auf den selbstrelativierenden Sprachduktus des Ökologen zurück, der sich sein Leben lang mit der Thematik beschäftigt habe und doch immer wieder vor Fragezeichen stehe. Man bewege sich am Rande des Fassbaren, habe es mit winzigen Lebewesen zu tun. Meyer wirft ein, dass eben die Betrachtung des Speziellen dem Menschen erlaube, sich mit dem Universellen in Bezug zu setzen. Paddy, der beobachtete Beobachter, erschließe sich – ähnlich dem Dokumentarfilmer – mit Lupe und Mikroskop einen Ausschnitt der Welt. Sänger berichtet von seiner Entscheidung, sich ganz in die Welt seines Protagonisten zu begeben und stundenlang mit ihm an den Steilküsten und in den Heiden Cornwalls zu verharren. Man versuche in einem „Don Quichott’schen Ritt“ die kleinen Lebewesen mit Käscher – oder eben der Kamera – einzufangen. Eine schwierige, aber auch meditative Angelegenheit. Das zunehmende Interesse des Filmemachers an den Wildbienen veränderte auch Paddys Haltung gegenüber dem filmischen Vorhaben. Die Moderatorin bemerkt, dass an den Aufnahmen des Bienenforschers, der mal eine virtuelle Landkarte auf seinem Bildschirm betrachtet und mal in eine Landschaft eintaucht, die Nähe zum Filmemacher in einer Analogie von distanzierter Beobachtung und kontemplativer Vertiefung deutlich werde.
Werner Ružička fühlt sich von Sängers Beschreibungen des stundenlangen Wartens in der Landschaft an Bilder des spätromantischen Malers Ludwig Richter erinnert. Ähnlich sei Sänger in seinem Film FAR’ FALASTIN vorgegangen, der 2013 in Duisburg lief. Die Natur gebe Takte vor und schlage Schneisen, die sich menschlichen Grenzziehungen entzögen. Mit dieser romantisch verglasten Brille vor Augen fragt Ružička, warum das starke Motiv des Friedhofs an den Beginn des Filmes gesetzt wurde. Im Endeffekt sei die Setzung des Friedhofs eine Bauchentscheidung gewesen, erklärt Sänger, mit dem Anspruch, einen Assoziationsraum aufzumachen. Ein Raum, der einen Bezug zum massiven Insektensterben durch die Landwirtschaftspraktiken der vergangenen Jahre andeute, doch entsprechend Paddys zurückgenommener Art nicht offen thematisiert werde.
Nach der Bedeutung des Titels gefragt erklärt Sänger, dass „spineless kingdom“ im Englischen das Reich der Wirbellosen bezeichne und er – in der wortgetreuen Übersetzung – die Anspielung auf die „rückgratlose Welt“, welche die Insekten vernichte, als treffend empfände.
Ein Zuschauer spricht einen Bruchmoment im Film an. Zwischen zwei Natureinstellungen sitzt Paddy im Auto, im Radio ist der Song eines Rappers über Verantwortung zu hören. Sänger bemerkt, dass die Person des Bienenforschers im Film vage bleibe, eine Kontextualisierung sei ihm wichtig gewesen. Paddy untersuche das Vorkommen einer bestimmten Wildbiene in Cornwall – ein Projekt, das er oft ohne Förderung auf eigene Faust vorantreibe. Eine Zuschauerin betrachtet die Szene als weitere „Facette einer erratischen Persönlichkeit“, wie das Papstbild in seinem Wohnzimmer, den leeren Katzennapf. Anfang und Ende des Filmes erinnern sie an den Eingang ins Universum – wir Menschen, eines Tages nicht mehr als Staubkörner. Ihr Vorredner bemerkt, dass man auf der Tonebene nicht die Geräusche der Bienen höre, sondern die Umgebungsatmosphäre. Diese Gestaltung spiegele seiner Meinung nach die Zugehörigkeit jedes kleinen Aspektes zum großen Ganzen.
Eine weitere Zuschauerin bittet um eine Erklärung für die Entscheidung Sängers, den Film auf eine halbe Stunde zu beschränken. Die Laufzeit des Filmes sei das Ergebnis seiner beobachtenden Arbeitsweise, deren Möglichkeiten er völlig ausgeschöpft habe. Rückblickend bereue er nur, dass er nicht noch andere Herangehensweisen ausprobiert habe, die das Thema durchaus ermöglicht hätte. Doch aus Respekt vor Paddys Scheuheit gegenüber der Kamera habe er das Porträt nicht in weiteren Aufnahmen vertieft, sondern sich, einmal in Lauf gekommen, auf den beobachtenden Modus eingeschossen. Er könne sich durchaus vorstellen, in einem weiteren Projekt neue Arbeitsmodi mit seinem Protagonisten auszuprobieren.
Eine andere Zuschauerin empfindet ähnlich, der Film lasse viele Fragen offen. Sie fragt sich, ob Sänger seinen Protagonisten jenseits der filmischen Rolle als einsamer Weltenretter im Kontext seines sozialen Netzwerkes begleitet habe. Sänger berichtet, dass Paddy sich in einem filmisch schwer greifbaren, losen sozialen Netz bewege. Die Betrachtung der ökonomischen Lage seines Protagonisten, der nebenbei als Gärtner arbeite und nur ab und zu Aufträge an Land ziehe, habe ihn persönlich an die Bedingungen des Filmemachens erinnert. Auf die Frage einer Zuschauerin, weshalb der Bienenforscher seine Tätigkeit trotz prekärer Lage hauptberuflich weiterverfolge, entgegnet der Filmemacher, dass sie diese Frage jedem der im Raum Anwesenden stellen könne. Irgendwann hinterfrage man die eigene Tätigkeit nicht länger und wisse einfach nichts Besseres. Paddy führe seinen Kampf gegen die Mühlen der industriellen Gleichgültigkeit auf pragmatische und unmissionarische Art, nicht als selbsternannter Retter der Bienen. Eine Haltung, die der Bienenforscher mit dem Filmemacher teilt.