Synopse
Das Ideal der Gemeinschaft altert in seiner Materialisierung: Die meist für Kibbuzim entworfenen Häuser Samuel Bickels‘ sind Gedankengebäude des Austauschs. Eine Architektur des Miteinanders und der Begegnung offenbart in lichtdurchfluteten Räumen und subtilen Asymmetrien die Patina einer Überzeugung.
Protokoll
Die Ähnlichkeit des Museum of Art im israelischen Ein Harod mit der von Renzo Piano errichteten The Menil Collection im texanischen Houston verweist auf eine Verbindung zwischen den beiden Architekturen. Der Filmemacher Heinz Emigholz erfährt, dass die Tageslichtführung des israelischen Museum of Art, gebaut von Samuel Bickels, eine direkte Vorlage für Piano war, der sie auf Wunsch der Mäzenatin Dominique de Menil für seinen Bau übernahm. Diese Verbindung ist der Ausgangspunkt einer langwierigen Auseinandersetzung des Filmemachers Heinz Emigholz mit dem eher am Rande der Wahrnehmung stehenden Architekten Samuel Bickels. Dieser studierte an der Polytechnischen Universität Lwów in seiner Heimatstadt Lemberg im damaligen Galizien (heute Lwiw, Ukraine). Er sei nicht einer der berühmten Bauhausarchitekten gewesen, die Emigholz als Spezialisten des Branding bezeichnet. Später emigrierte Nickels nach Palästina. Er schloss sich der Kibbuz-Bewegung an und entwickelte architektonische Projekte gemeinsam mit Menschen, die diese bevölkern sollten. Deshalb würden sich seine Gebäude so sehr unterscheiden, betont Emigholz. Trotz geringer finanzieller Mittel seien diese Gemeinschaftsprojekte mit einer unglaublichen Feinheit ausgeführt worden.
Emigholz’ Interesse liege vor allem bei der sozialen Architektur, nicht bei skulpturaler, die meist als Bildnis für den Architekten selbst fungiere, somit als Trophäenbildung zu verstehen sei. Ihn interessiere mehr das Umfeld und die anonyme architektonische Situation, in der die Bauwerke stehen. Für den Sozialismus könne man eine architektonische Sprache finden, die auf Gemeinschaft beruhe und durch Gemeinschaft zustande komme. Emigholz möge nicht die idealisierte Vorstellung von Sozialismus, man müsse auch die Rudimente zeigen. So sei er zu dem Entschluss gekommen, den Zerfall und Wiederaufbau von 22 Bauwerken des Baumeisters Bickels gleichermaßen darzustellen. Zusätzlich sieht man am Anfang des Filmes, wie junge Menschen eine Preview von BICKELS [SOCIALISM] schauen. Zu sehen ist das Kulturzentrum Casa do Povo in Sao Paulo, welches von Überlebenden des Holocaust konzipiert und von Ernst Mange 1953 erbaut wurde. Heute wird das Gebäude von einer Gruppe junger Kulturschaffender zu einem neuen Kulturzentrum wiederaufgebaut.
Werner Ružička spricht die Funktion des Filmemachers als Rechercheur und Forscher zugleich an. Die Direktorin und Kuratorin des Museum of Art in Ein Harod, Galia Bar Or, eine Freundin von Emigholz und Produzentin des Filmes, habe Zugang zu dem Archiv von Bickels gehabt. Gemeinsam mit ihr wollte Emigholz zuerst eine Fotoreise realisieren. Doch ein Foto sei bloß ein Sekundenbruchteil, im Film seien aber Container von Realzeiten darstellbar, es bewege sich immer etwas, auch wenn die Kamera statisch sei. So beschloss er, bereits auf der ersten Reise zu filmen. Die menschenleeren Bilder seien dabei kein Resultat einer Inszenierung, sondern eines der Hitzewelle, die während der Drehzeit geherrscht habe. Außerdem gebe Spuren der Menschen überall im Bild – unabhängig von den Spuren des Architekten. Emigholz betont, dass er keine visuellen Urteile ausspreche, sondern als Kameramann alles möge, was den Raum verkompliziert. Sowohl die Klimaanlagen, wie den Schimmel, der einen guten Grauton liefere. Er plädiert dafür, die Lebensdauer einzelner Häuser zu akzeptieren – man müsse nicht alles erhalten. Auch Häuser seien verbrauchbar und durch neue ersetzbar. Emigholz beschreibt sich selbst als unsentimental, aber der Wirklichkeit verpflichtet. Sein Film könne als Monument für den Architekten gelesen werden. Er ermögliche es, die ursprüngliche Neugierde, an Orte reisen zu können, zu befriedigen. Orte, die es irgendwann nicht mehr geben werde.
Emigholz arbeitete selbst an der Kamera – selbst mithilfe seines Assistenten Till Beckmann – und ohne Drehbuch. Er habe so lange gefilmt, bis er das Gefühl gehabt hätte, das jeweilige Gebäude filmisch und kinematografisch begriffen, zu haben. Er habe gedreht, ohne zu wissen, wie er schneiden werde, aber so, dass alle möglichen Gänge im Schnitt machbar gewesen wären. Entstanden seien keine Tableaus, keine alleinstehenden Bilder ohne Verbindung zu den folgenden und vorherigen. Vielmehr habe er Räume rekonstruiert. Der Film werde nicht chronologisch gedreht, viele Entscheidungen würden erst im Schnitt fallen. Dabei bestimme Emigholz nicht etwa mathematisch Zeiten für die Dauer der Bilder, er lasse sie je nach Komplexität des Inhaltes wirken.
Als Kinematograf sei er an durchgezeichneten und komplizierten Bildern interessiert. Mit 35-mm-Film könne er den Raum – im Gegensatz zu dem flachen 16-mm-Film – eher abbilden. Die hochauflösenden Digitalkameras würden ihm aber inzwischen bessere Möglichkeiten bieten als 35-mm-Film, vor allem wenn es um die unkomplizierte Sichtung der Filme und das schnelle Ausfindigmachen von Bildfehlern ginge. Michael Girke fragt, ob es Emigholz darum ginge, den Zuschauer die Räume so erfahren zu lassen, wie er sie selbst vor Ort erfahren habe, oder um eine spezifische kinematografische Erfahrbarkeit der Räume, wie Frieda Grafe sie beschreibt. Er glaube nicht an die eine Erfahrung des Raumes, so Emigholz. Er sehe die Kamera auch nicht als sein Auge, doch die Kompositionen leiten sich von seinen eigenen Blicken ab. Er wolle Zusammenhänge beschreiben, der es dem Zuschauer ermögliche, den Raum zu rekonstruieren. Dabei arbeite er mit Normalperspektiven, die zwar den Blick auf ein Rechteck reduzieren würden, aber die Verhältnisse zwischen Dingen so normal wie möglich darstellten. Die aufeinanderfolgenden Bilder komponiere er dann zu etwas Ähnlichem wie einen Gang.
Die Erzählung zum Schluss des Filmes nennt Emigholz ein „Statement der besonderen Art“. Malereien des Künstlers Meir Axelrod erzählen die tragische Geschichte der ehemaligen Organisationszentren der Arbeitsbataillone, einer Gemeinschaft von jüdischen Arbeitern in Palästina, die zurück in die Sowjetunion gingen. Unter Stalin wurde ihnen ein Platz auf der Krim versprochen. Weil jedoch Hebräisch in Russland verboten war und Zionismus unterdrückt wurde, nannten sie den neuen Kibbuz „Vio Nova“, was in Esperanto „Neuer Weg“ bedeutet. Der Kibbuz wurde gezwungen, sich in eine Kolchose umzuwandeln, die viele der damaligen Mitglieder verließen. Einige wurden verhaftet, andere von ihnen hat man nie wieder gesehen. Die verbliebenen Mitglieder – zwei Frauen und fünf Kinder – wurden unter der Besetzung Deutschlands im alten Brunnen der Kolchose ertränkt. Für den Filmemacher sei das eine sehr lebendige Geschichte. Emigholz erzählt von kommunistisch-israelischen Familien, die in die besetzten arabischen Gebiete ziehen, um dort zu leben und beim Aufbau mitzuhelfen. Somit lebe die Philosophie des Kibbuz heute noch vereinzelt weiter.