Synopse
Willi schiebt seinen quietschenden Rollator gebeugt aber stur über seinen zugestellten Bauernhof, watet durchs Gestrüpp, füttert Vieh und Katzen. In Super-8- und 16-mm-Bildern entgleitet er in seine Umgebung und seine Vergangenheit, behauptet indes pragmatisch und nüchtern seine Existenz.
Protokoll
Eine Leinwand.
Der Cache kommt in Bewegung.
4:3.
Schwarz. Kriseln.
Geräusche.
Plötzlich Katzenfell. Atmende Textur.
Ankommen in Willis Kosmos.
In einem „Jahr der Nichtereignisse“.
Angst und Anziehung
Ankommen mussten auch die beiden Filmemacher Ann Carolin Renninger und René Frölke. Auf ganz unterschiedliche Weise.
Für Ann Carolin Renninger existierte Willi schon seit ihrer Kindheit. Sie kannte ihn und seinen Hof. Hatte Angst vor ihm und war dennoch fasziniert. Als Willi vor ein paar Jahren ins Krankenhaus eingeliefert wird, erwacht er nach einer OP zunächst nicht wieder. Alle glauben an das Verschwinden des „magischen Bauers“. Schlussendlich erlangt er doch wieder das Bewusstsein. Und damit entsteht auch der Wunsch, ihn in einem Film zu porträtieren.
René Frölke kommt daraufhin das erste Mal auf den Hof von Willi. Ein „Schwarzes Loch“ inmitten von Ordnung, gepflegten Häusern und Gärten. Eine Kraft geht von dieser Schlammwüste aus, wie sie liebevoll genannt wird, die einen nicht mehr loslässt. Enten, Hühner, Willi. Sie leben miteinander. Frei und selbstbestimmt. Die Grenze zwischen Mensch und Tier ist an diesem Ort in ständiger Bewegung.
„Was hast du am Ende? Gar nichts.“
Auch wenn der Titel AUS EINEM JAHR DER NICHTEREIGNISSE erst gegen Ende des filmischen Arbeitens feststand, so scheint es als ob er gleichzeitig Ausgangspunkt für den Prozess gewesen wäre. René Frölke erzählt, dass es tatsächlich schon relativ früh eine Inspiration gab. Ausgangspunkt war die Duisburger Filmwoche 2007 auf welcher der Film MICHAEL HAMBURGER – EIN ENGLISCHER DICHTER AUS DEUTSCHLAND lief. Michael Hamburgers Gedichte, vor allem „from a diary of non-events“, riefen bei den Filmemachern ähnliche Gedanken und Gefühl hervor, wie Willis Lebenswelt.
Bleibt die Frage, ob diese Lebenswelt nun wirklich nur von Nichtereignissen geprägt ist. Zunächst hat man den Eindruck, dass tatsächlich nichts passiert zwischen Dezember und November, außer dem zyklischen Verstreichen der Jahreszeiten und kurzen Gesprächen mit Katzen. Im Publikum fallen Schlagworte wie Ruhe, Stille und Entschleunigung. Aber auch Vergessen. Dieses Vergessen, wird erörtert, ist nur eine Seite der Medaille. Gleichzeitig sammeln sich Erinnerungen. In Schubladen und Dachböden. Aber auch in Willi selbst. Dinge finden wieder zurück in sein Gedächtnis. Der junge Willi wird auf Fotos und Passbildern präsent. Schwimmen im Po. Kriegserlebnisse. Jemand der Zuschauer bezeichnet sie als „verschränkte Erinnerungen“. Und tatsächlich scheint er immer wieder auf Umwegen zu bestimmten Punkten seiner Vergangenheit zurückkehren zu wollen. So ist die Filmemacherin Ann Carolin Renninger aus Neugierde diesen Spuren gefolgt, wie René Frölke erzählt und allein an den Po nach Italien gefahren, um Aufnahmen dieser Orte zu sammeln. Dabei war unsicher, ob diese im Film später eingesetzt werden sollten. Denn auch wenn Willi einige Dinge in seinem Leben nicht loszulassen schienen, so erzählte er doch, um zu erzählen, wie René Frölke meint. Oft stand eher die Narration selbst als der Inhalt im Fokus. Erinnerungen wurden reproduziert, verändert, Teile wurden wichtiger, andere verschwanden. Auf Schwarz wird hörbar, was andere glauben, wie der gegenwärtige Willi zu sein scheint. Vorgelesen aus einer Krankenakte. So formt sich im Laufe des Films ein Bild vom „Bauer Willi“, das wie der Film von Lücken lebt.
Mit dem Ende des Jahres scheint das Vergessen, ja Verschwinden, an Präsenz zu gewinnen, meinen einige Stimme im Publikum. Der Winter naht. Vanitassymbole wie die Nacht, Uhren und der Schlaf tauchen auf. Beim Kaffeetrinken wird über den Tod geredet. Unaufgeregt und pragmatisch. Und auch für Willi, so René Frölke, war das Altern durchaus ein Thema, da ihm bewusst war, dass jede schwere Krankheit seinen Tod bedeuten konnte. Jemand im Publikum merkt an, dass Willi selbst gegen Ende ebenso verschwindet. René Frölke erzählt daraufhin wie er ein letztes Mal auf Willis Hof filmen will. Die gelben Äpfel. Und dann wird die Katze krank und stirbt.
So könnte man doch meinen, dass es ein Film über Vergänglichkeit geworden sei, sagt Frölke. Ein Klischeewort, wie er findet, das die beiden Filmemacher versuchen zu entmachten, indem sie die Nähe zum Banalen halten. Diese Haltung spiegelt sich bei Willi. Auf die Frage, wie Willi den Film empfunden und was dieser mit ihm gemacht habe, erklärt René Frölke, dass Willi immer ein relativ geringes Interesse am filmischen Prozess hatte. Nach der gemeinsamen Sichtung erster Aufnahmen sagte er einmal „Jaja, so ist es halt hier“ – und schlief dann ein. Frölke vermutet weiter, dass er wahrscheinlich mittlerweile sogar vergessen habe, dass der Film existiert. Vielmehr sei es für Willi eine Beschäftigung gewesen. Eine Dialogmöglichkeit. Eine Stimme aus dem Zuschauerraum bemerkt dazu, dass es sehr schön sei, dass die Kommunikation zwischen filmemachenden Subjekten und gefilmten Subjekt immer auf Augenhöhe stattgefunden habe.
Zeigen und kaputt machen
Das Umgehen von Klischees war auch auf stilistischer Ebene eine große Herausforderung, erzählt der Filmemacher. Ein Bauernhof wecke in einem Großstädter immer gewisse Sehnsuchtsbilder. Aufgrund dessen entschieden sie sich gegen hochauflösende und vom Stativ gefilmte Bilder und für analoge, laute und vor allem unfallanfällige Kameras. Dabei stand weniger der Look des Analogen im Vordergrund, als der Einfluss, welches das Material auf den Prozess hatte. Und wie es diesen teilweise auch kaputtmachte. Empfindlichkeiten, Timing, Schärfe, Langsamkeit und das Auslaufen des Materials diktierten die Arbeit.
Dass sie mit einem Mix aus Farb- und Schwarzweißmaterial, sowie mit drei Super-8- Kameras und einer 16-mm-Kamera filmten, war dagegen für die Filmemacher zu Beginn wenig wichtig und eher Zufall als Entscheidung. Trotz dessen, erzählt Frölke, haben sich doch im Laufe der Arbeit verschiedene Charakteristika der Mittel gezeigt, die sie dann gezielter einsetzen konnten. Dabei führten beide Kamera, was für sie ungewohnt war, da sie vorher eher als Produktions-Regie-Duo zusammenarbeiteten. So stellte sich heraus, dass Ann Carolin Renningers Super-8-Material durch die schnellere Arbeitsweise persönlichere Dinge einfangen konnte, während Renè Frölke mit seiner 16-mm-Kamera eher langsam arbeitete und so die Stillleben einfing. Jede Kamera besaß ein eigenes Timing der Bilder. Ähnlich verhielt es sich mit der Entscheidung für Schwarzweiß oder Farbe. Dabei kam Schwarzweiß später eher für Aufnahmen von Willi im Haus zum Einsatz, während das Farbmaterial draußen die Texturen besser einfangen konnte. Zwischen zwei Polen bewegen sich die Filmemacher auch in ihrer Haltung zum Dokumentarischen. Der Film scheine permanent zwischen einem „So ist es halt“ und offenliegender Inszenierung zu schwanken, bemerkt ein Zuschauer.
René Frölke fragt sich zum Ende der Diskussion selbst, ob ihnen durch diese Mittelwahl das Umgehen von Klischees gelungen sei oder sie neue erschaffen haben. Werner Ruzicka ist der Auffassung, dass ihnen hier etwas Magisches gelungen ist. Aber „nicht als Ausdünstung, sondern selbst hergestellt“.
„Man kommt überall längs“
Dieser Satz ist eine Art Leitmotiv der Montage erzählt René Frölke. Aus den 4,5 Stunden Filmmaterial entstanden zu Beginn in einem assoziativen Verfahren, quer durch alle Jahreszeiten springend, drei 15-minütige Schnittfassungen. Das vorhandene Bildmaterial war teilweise gemeinsam, teilweise bei getrennten Aufenthalten entstanden.
Mit diesen waren die Filmemacher jedoch nicht zufrieden, da die Versuche keine Dramaturgie aufwiesen. So entschieden sie sich, den Prozess noch einmal zu beginnen und zunächst die Originalsounds anzulegen und darauf zu montieren. Zusätzlich wurden 2/3 der Texte transkribiert, inklusive Geräuschen. Gerade „Tonfetzen“ aus Stunden, wo einfach nicht passiert war, wo geschlafen und geschwiegen wurde, waren dabei sehr hilfreich. So entstand eine Zeitstruktur, wie Pepe Danquart bemerkt, die vom Ton diktiert wird. Dieser bildet den Fluss und die sich erneut anschaltende Kamera beugt sich. Und trotzdem verdeutlich uns das Schwarz das Vergehen der Zeit. In den neuen Schnittversionen folgten die Filmemacher der Ordnung der Jahreszeiten. Nur wenige Bausteine wurden versetzt, nachdem das Material chronologisch vorlag. Eine Stimme im Publikum findet, dass der „Takt der Natur“ regelrecht ausgestellt wird. Frölke verteidigt diese Anordnung. Warum nicht, wenn das Jahr tatsächlich so ist? Die Jahreszeiten empfand er als sehr fließend und diesem Fluss galt es zu folgen. Warum eine Künstlichkeit hineinbringen? Der Filmemacher eröffnet aber gleichzeitig, dass es ihm sehr schwer gefallen ist, diese Klischeebilder der Jahreszeiten zu finden. Aufgrund dieser Herausforderung und der Tatsache, dass ihnen nur drei bis vier Rollen Material á drei Minuten pro Tag zur Verfügung standen, widmeten sie sich am Anfang eher Willi. Mit dem Vergehen der Drehzeit jedoch bekamen sie die Ruhe und auch den Blick für die „Stillleben“. Das wirkte sich auch auf den Schnitt aus. Die Arbeitsweise diktierte gewissermaßen die Dramaturgie. Und so ist es auch zu erklären, warum Willi am Ende des „Jahres der Nichtereignisse“ zu verschwinden scheint.