Synopse
Nachlassverwalter seiner selbst: Rudolf Thome stutzt Rhododendron, reinigt den Teich, fährt Fahrrad. In der Beschaulichkeit seines Bauernhofs schreibt er überdies an seinem 29. Film, den jedoch niemand finanzieren mag. Thome übt sich mit Leichtigkeit in abgeklärter Schwermut. Sonnenuntergänge filmen nur Anfänger.
Protokoll
Überall Blumen ist der Arbeitstitel von Rudolf Thomes unrealisiertem letzten Drehbuch. Von diesem Projekt erfuhr sie in einem Telefonat mit ihm, erzählt Regisseurin Serpil Turhan. Thome habe ihr mitgeteilt, er wolle ein letztes Mal versuchen, ein Drehbuch zur Förderung einzureichen. In diesem Moment habe sie gewusst, dass der Moment gekommen sei, ihre Idee eines Films mit Thome zu verwirklichen. Ohne große Vorbereitungszeit sei sie entschlossen gewesen, diese besondere Situation zu nutzen. Durch Thomes Rückzug aus Berlin auf das Land hatte sich bei ihm zu dieser Zeit schon eine Phase des Übergangs in einen neuen Lebensabschnitt angekündigt, so Turhan. Während sie mit ihrer Tochter schwanger war hat Turhan einen Monat lang auf Thomes Hof gelebt. Diese Zeit habe sie als sehr meditativ wahrgenommen. Vor allem die Einsamkeit habe ihr ein „Runterkommen von Berlin“ ermöglicht. Die letzten Szenen seien dann in einem Folgebesuch nach der Geburt ihrer Tochter entstanden.
Von Rudolf Thome, für den sie unter anderem als Schauspielerin gearbeitet hat, hat Regisseurin Turhan viel gelernt: Wie man konsequent sein Ding macht und dabei, auch als Außenseiter, stark bleibt. Eine wichtige Grundlage dieser Ich-Stärke hat Moderator und Kommissionsmitglied Joachim Schätz aus dem Film herausgelesen. Für Thome spiele beispielsweise die Quantifizierbarkeit seiner Pläne eine Rolle. Nicht nur zähle und plane er die wöchentlichen Fahrrad-Kilometer und die Likes auf seiner Facebook-Seite, auch für seine Lebensplanung spiele die genaue eigene Alterserwartung (Ziel: 90 Jahre) eine Rolle. Thome strukturiere seinen Alltag, er steckte sich einen Rahmen durch feste Uhrzeiten für jede Tätigkeit, bestätigt Turhan. Die Beeinflussung durch die Jahreszeiten sei dabei fester Teil seines Alltags. Besonders die regelmäßigen Feuer im Garten bei jeden Wetter fand Turhan sehr schön: „Die Zeit vergeht, das Leben geht weiter.“ Für Moderator Schätz werden an Thomes Hof Verbindungslinien zwischen dessen Leben und Werk sichtbar. Der Hof sei sowohl materieller Niederschlag seiner Karriere als auch privates Archiv. Die Entscheidung dort zu drehen, war für Turhan zentral. Thomes jetziges Leben, sein ganzer Alltag finden auf dem Hof statt, ein von Thome vorgeschlagener Dreh in seinem Produktionsbüro oder in seiner Wohnung am Chamissoplatz wäre ihr zu künstlich gewesen, erklärt Turhan. Vielleicht habe die besondere ritualisierte Ordnung Thomes dazu geführt, dass er – anders als alle bisherigen ProtagonistInnen Turhans – die Kamera als sehr starken Eingriff in seinen Alltag erlebt hat.
Dieser Aspekt, Thome als Darsteller, beschäftigt die Diskutierenden. Schätz fragt nach Prozessen der Aushandlung zwischen Regie und Protagonisten. Die erste sieben Tage seien sehr schwierig gewesen, berichtet Turhan. Thomes Selbstinszenierung habe sie nicht gemocht. Es habe einen Streit gegeben, der allerdings nicht im Film zu sehen ist. Sie habe versucht ihn davon wegzubringen, sich als Schauspieler zu verstehen und ständig für die Kamera Dinge wiederholen zu wollen. So arbeite sie nicht gern. Nach dem Streit habe sich aber alles ganz organisch aufgelöst, sein Widerstand sei dann weg gewesen. Hilfreich war hier der Besuch von Sohn Nikolai und Tochter Joya, der Turhan mehr in die Beobachterperspektive versetzt hat. Ein Diskussionsteilnehmer findet gerade die Widerstände des Protagonisten interessant. Mit seinem Ausspruch „Wenn dann kann ich ja nur spielen, dass ich nicht spiele.“ kämpfe Thome gegen die Zumutung der Objektivierung an. Sie habe nicht gewollt, dass er vorgebe, sie wäre gar nicht im Raum, widerspricht Turhan. Es sei einfach so, dass gesetzte Interviews für sie wie Krämpfe sind. Eine simple Kapitulation kann Moderator Schätz nicht erkennen. Interessant findet er eher, wie Thome sich mit der Drehsituation arrangiert hat. Er präsentiere sich nicht für die Kamera, bewahre sich aber ein gewisses Temperament. Wie er einerseits polternd, großzügig und mitteilend ist, so gebe er doch andererseits nie aus der Hand, was er mitteilen will. So setze er beispielsweise, wenn das Gespräch auf seine ganz persönlichen Erinnerungen an Marquard Bohm und Martin Schäfer kommt, mit einem finalen „Ja mei!“ selbst den Schnitt. Am Anfang habe Thome sogar regelmäßig durch Klatschen ihre Szenen beendet, beschwert sich Turhan. Da sei sie ausgerastet und habe ihm bei ausgeschalteter Kamera sehr deutlich ihre Meinung gesagt. Das sei so aus ihr herausgekommen. Davon war Thome zunächst etwas verletzt, dann habe es Verhandlungen gegeben. Sie fragte, wann er sich wohl fühlen würde, und einigte sich mit ihm auf ein Weggehen aus dem Bild. Thome habe dann verstanden, das es ihr wichtig war, ihn einfach zu begleiten und dabei manchmal zu drehen und manchmal nicht. Ein Diskussionsteilnehmer wirft dennoch ein, er habe gerade die Szenen gemocht, in denen Thome performt. Hier werde er als Mensch sichtbarer als in den authentischen Beobachtungsszenen.
Diskussionsteilnehmer Michael Girke kommt auf die Rolle Turhans im Film zu sprechen. Die Regisseurin sei selbst nie im Bild. Ihre Unsichtbarkeit in den Interaktionen werde für sein Empfinden zuweilen fast zwanghaft durchgehalten. Turhan widerspricht halb ironisch mit dem Hinweis auf das Film-Plakat von Rauchzeichen, auf dem sie in Thomes Privatarchiv einmal indirekt zu sehen ist. Sie habe einfach keine Notwendigkeit gesehen, sich ins Bild zusetzen. Mit der Produzentin und der Cutterin, Eva Hartmann, sei sie sich einig gewesen, dass sie nicht zuletzt durch das Lesen der Tagebuch- bzw. Blogeinträge bereits ausreichend im Film präsent sei. Ihr sei es wichtiger gewesen, mit Thome im Fokus einzelne Facetten zu zeigen als lange Interviews. Warum sie alleine mit der Kamera und ohne Team gedreht habe, möchte Schätz wissen. Das echte Zusammenleben mit Thome auf dem Hof wäre sonst nicht möglich gewesen, begründet Turhan ihre Entscheidung. Es gebe Momente, die man nur ohne Team einfangen könne.
Ein Diskussionsteilnehmer möchte Turhans Haltung zu Thomes Werk ansprechen. Was sein neues Drehbuch-Projekt genau beinhalte, sei viel zu schwer nachzuvollziehen. Es sei sehr unklar, wie Turhan dazu steht. Hat sie ihm Erfolg gewünscht? Sie habe einfach nur Zeit mit ihm verbringen wollen, erwidert Turhan. Der Filme erzähle davon, wie die beiden sich gegenseitig geöffnet und ihre Freundschaft intensiviert haben. Sie habe ihm gesagt, wie froh sie war, dass er am Ende keine Crowdfunding-Kampagne gemacht hat. Filme ohne Geld zu machen sei schon für junge Leute wie sie sehr schwer. In sieben von 28 Filmen Thomes habe sie selbst vor oder hinter der Kamera mitgewirkt. Obwohl sie nicht alle seiner Filme liebe, gebe es zwei oder drei Film, die für sie ganz besonders wichtig sind. Seine langen Monologe über sein Lebenswerk haben sie allerdings nicht im Geringsten interessiert, wie sie bei ihrem ermüdenden Dreh eines Cargo-Interviews von Ekkehard Knörer mit Thome feststellte.
Festivalleiter Werner Ruzicka lenkt die Aufmerksamkeit der Diskutierenden auf den Blog Thomes, „moana.de“, und gibt sich als regelmäßigen Leser zu erkennen. Thome schildere hier präzise den Wechsel der Jahreszeiten und berichte über die Arbeit an seiner Autobiografie. Ruzicka fragt, ob Turhan sich in Konkurrenz zu diesem Blog gesehen habe. In seinem Kalkül müsse ihr Film doch nur eine Art visuelle Ergänzung zu seinem Buch sein. Turhan gibt zu, die Bilder in Thomes Blog seien zum Teil schöner als ihre eigenen, aber für sie war es grundsätzlich eher anders herum: Thomes Blog habe eine gute Dokumentation ihrer Arbeit geliefert, die von ihrem Team dadurch live mitverfolgt werden konnte. Sie habe ihn allerdings gelegentlich ermahnen müssen, nicht allzu viel persönliche Dinge von ihr im Blog zu veröffentlichen. Die Tagebuch- bzw. Blogeinträge, die sie im Film vorliest, stammen alle aus dem Jahr vor dem Dreh sowie von dem Moment der Absage. Ruzickas Eindruck, dass Thome in letzter Zeit häufiger über das Älterwerden und den Tod schreibt, erklärt Turhan sich damit, dass Thome jetzt körperlich bewusster lebe als früher. Ihr Dreh habe vor zwei Jahren stattgefunden. Von ihrem eigenen Vater wisse sie, dass der berufliche Ruhestand bei Männern oft mit einer neuen Körperlichkeit einhergeht. Die Angst, dass Thome, wie er selbst gegenüber seiner Tochter im Film angedeutet hat, stirbt, wenn er keinen Film mehr machen kann, sei unbegründet, beruhigt Turhan Ruzicka. Das Radfahren und der Hof nähmen ihn genug in Anspruch.