Film

La Cupola
von Volker Sattel
DE 2016 | 41 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 40
11.11.2016

Diskussion
Podium: Volker Sattel
Moderation: Till Brockmann
Protokoll: Hajo Wildeboer

Synopse

Inmitten einer unwirtlichen rötlichen Felsformation an der sardinischen Küste umhüllt eine verwitterte Kuppel ein Haus ohne tragende Wände. Ein verlassener Freiraum – einst bewohnt von Monica Vitti, Michelangelo Antonioni und Visionen neuer Lebensart – bietet Platz für versprengte Figuren und Rückblicke. 

Protokoll

Comincio a capire. Kein Drehplan und viel Raum für Unvorhergesehenes. Gefragt nach seinen Regieentscheidungen verweist Regisseur Volker Sattel immer wieder auf den Zufall, auf Vorgefundenes. Nach der Diskussion im Anschluss an La cupola muss ich daher von mindestens drei weiteren Urhebern des Films ausgehen: Dem titelgebenden Kuppelhaus, dem Regisseur Antonioni und der Film-Protagonistin Giuseppina Isetta. Um alle drei TeilhaberInnen am Film dreht sich die Diskussion. Inwieweit waren sie in der Lage, sich den Film von Regisseur Volker Sattel anzueignen?

Im Laufe der Duisburger Filmdiskussion wird klar, wie bewusst sich Regisseur Sattel über die eigene schicksalhafte Rolle im Leben des Hauses ist. Es handelte durch ihn. Die „Kuppel“ hat sich von Sattel in Szene setzen lassen. Nachdem der Architekt seinem Bauherrn zugesagt hatte, nie etwas über das Prominentenhaus zu publizieren, suchte es sich seinen Regisseur über die Printmedien. Sein Wiederentdecker Niklas Maak, beschrieb es in einem FAZ-Artikel (25.6.12), der Sattel zufällig in den Hände viel. Als er für eine Aufführung seines Vorgängerfilms Beyond Metabolism (df 2014) in Venedig war, hörte er im Umfeld der Architekturbiennale wieder von diesem Haus. Das war der endgültige Anlass für einen Familienurlaub auf Sardinien. Wie Regisseur Sattel bald feststellte, zog das Kuppelhaus aber nicht nur ihn an. Auch Wanderer, verliebte Pärchen und Wildschwein-Familien schauen hier immer wieder vorbei. Mit diesen zufälligen Begegnungen und dem Wissen, nicht der einzige Verehrer zu sein, erklärt Sattel die narrative Rahmung, die er dem Portrait gegeben hat. „Das Haus ist labyrinthisch, keine Architektur-Ikone. Es muss mit Menschen zusammen begriffen werden“, so Sattel. Das neugierige Kind diene im Film weniger dazu, einen unkon- ventionellen Blick auf das Haus zu etablieren, wie es Moderator und Kommissionsmitglied Till Brockmann vermutet. Vielmehr, so erklärt der Regisseur, ermögliche der kindliche Erkundungsdrang ein respektvolles Eindringen: „Ein Kind braucht keine Berechtigung, das Haus zu betreten.“ Sattel wollte dem Haus sein Geheimnis nicht nehmen. Die gegenwärtigen Besitzverhältnisse hat er darum bewusst im Unklaren gelassen. Mehr als einem möglichen Bewohner oder Eigentümer, der vielleicht sogar Ansprüche nach Restauration oder Innenraumgestaltung geltend machen könnte, fühlte Sattel sich scheinbar den Hausgeistern verpflichtet, die er in der Diskussion wagt herbeizurufen. Den unheimlichen Geräuschen des Hauses hat er daher ermöglicht, sich auf der Tonebene seines Film einzuschreiben. Durch eine Öffnung im Dach und die kaputten Fenster dringe Wind ein, an anderen Stellen wiederum seien alle Töne fast vollkommen isoliert. Das Ruinenhafte sei seine Quelle zum Heute gewesen, erklärt der Regisseur. Die verfallenen, turmartigen Bauten aus der Bronzezeit, die sardinischen Nuraghen, sind für ihn so auch eher architektonische Referenz als die in der Diskussion häufig vorgebrachten Bunker. Wie diese sei das Haus zwar als Betongebilde in die Dünenlandschaft eingelassen, ganz anders zeichne es sich jedoch durch die Leichtigkeit der dünnen Kuppel und seine Offenheit aus. Dem schließen sich Brockmann und auch Kommissionsmitglied Katrin Mundt an. Für Mundt sind es gerade die durch die Tongestaltung scheinbar permeablen Wände, die eine gewisse Offenheit generieren. Sie habe gehört, wie der Klang der Muschel, die der Junge in der ersten Szene ankratzt, vor und zurück, von innen nach außen wabert. Aber auch auf der Bildebene habe Sattel eine Offenheit des Hauses konstruiert. So schlage die Szene, in der die Protagonistin Isetta mitten im Gespräch den Raum nach draußen verlässt, regelrecht eine Schneise in das Haus. Brockmann hingegen lenkt die Diskussion, ganz im Sinne des bescheidenen Regisseurs, wieder zurück auf die Beeinflussung des Films durch das Haus. Die Diskussion über die Korrektur von stürzenden Linien in der Architekturfotografie, wie sie noch am Vortag im Gespräch zu Nikolaus Geyrhalters Homo Sapiens geführt wurde, erübrige sich hier. „Das geht hier gar nicht.“ (Brockmann) Das entscheidende Bild für die Agency des Mensch-Beton-Aktanten und damit den Beweis für ihre Konstruiertheit findet schließlich Diskussionsteilnehmer Michael Girke. Er weist die Anwesenden auf die blickdramaturgische Entscheidung Sattels hin, Vater und Sohn, die sich draußen vor dem Haus befinden, am Schluss aus dem Innenraum des Hauses durch das Panoramafenster heraus zu zeigen. „Das Haus wird hier zum Subjekt des Filmes.“ Durch die Offenlegung dieses formalen Coups kann sich Sattel jetzt nicht länger hinter Gegebenem verstecken: „Das war so intendiert.“

Einer der Geister, die während der Diskussion durch den Raum schweben, ist der Architekt. Nicht der des Hauses (das war Dante Bini, der Erfinder der „Binishell“-Bauweise) sondern der „Architekt der Kino-Moderne“, zu dem der 2007 verstorbene Michelangelo Antonioni in einer Retrospektive des Österreichischen Filmmuseums erklärt wurde. Es ist dieser Ruf, der in der Duisburger Filmdiskussion am Freitagmorgen in Frage gestellt wird. Es geht dabei weniger um das Antonionihafte in Sattels Film – „Personen durch Räume erzählen“ (Brockmann) vs. „Räume durch Personen erzählen“ (Sattel) – als um das Bedeutungs- spektrum, das mit dem großen Namen selbst verbunden ist: von der politischen Geste bis zum „Gossip“ (Brockmann). Zunächst zur politischen Geste: Im Berlinale Katalog formulierte Christoph Hochhäusler für La Cupola: „The utopia of an alternative concept of living seems to float above its form.“ Diese von Sattel in der Diskussion wieder aufgegriffenen Vereinnahmungen sind es, auf die Brockmann anspielt, wenn er genauer wissen möchte, für welche Haltung der wohlhabende Gutsbesitzer-Sohn Antonioni in den Augen Sattels steht? Funktioniert die Projektion des Anti-Bürgerlichen auf den Bauherren und damit auch auf dessen Kuppelhaus schon durch den Hinweis, dass Zabriskie Point, an dem sich in Antonionis Œvre noch am ehesten eine Gesellschaftskritik festmachen lässt, hier geschrieben wurde? Regisseur Sattel hat sich gefragt, warum Antonioni einen solchen „Nichts-Ort“ immer wieder aufgesucht hat. Das Haus, so vermutet Sattel, war nicht nur ein Labor für die Entwicklung neuer Beziehungsformen sondern vor allem auch Refugium, ein dem hier anfänglich verworfenen Bunker gar nicht so unähnlicher Schutzraum, der eine archaische Form des Isolierens ermöglicht hat. Gerade dieser radikale Rückzug, so hilft Diskussions- teilnehmer Girke aus, zeige die Zugehörigkeit Antonionis zu den sozialen Gegenbewegungen seiner Zeit. Spätestens an dieser Stelle macht sich Unmut im Zuschauerraum breit. Ein Diskussionsteilnehmer formuliert es positiv und hebt besonders das „explizite Ende“ hervor. Indem hier die Eigentumsverhältnisse angesprochen werden, platze etwas auf, das im Film latent vorhanden ist. Fast jedes Stück der italienischen Küste sei im Privatbesitz. „Soll ich mir als normalverdienender Zuschauer vorstellen hier zu wohnen?“ Das Fazit fällt entsprechend hart aus: Antonioni sei ein „totalitärer Ästhetizist“, der lediglich „Landschaften mit Ölfarben angepinselt hat“. Die Langeweile, die aus dem Kuppelhaus aufs Meer blickt, sei der krasse Gegensatz zur politischen 1968-Bewegung in Italien, wie sie etwa durch die Brigate Rosse Ausdruck erhielt. Daran, dass diese Kritik am großen Meister nicht direkt auf den Film über dessen Feriendomizil übertragen werden kann, erinnert Diskutant Girke und deutet an, dass der Film durchaus eine gewisse Kritik am Größenwahn des Bauherren enthalte: Im erwähnten Kamerablick Sattels auf die Felslandschaft und das Meer erkennt Girke eine „mythologische Gottesperspektive“. Sattel stimmt dem zwar nicht direkt zu, räumt aber ein, Antonioni habe wohl die Anmaßung des Hauses gefallen, als eine schnell und effizient hergestellte, perfekte menschliche Schöpfung inmitten eines der ältesten Gesteinsformationen Europas zu stehen.

Dann wäre da noch der Gossip. Moderator Brockmann ist eine bestimmte dramaturgische Bewegung aufgefallen: Beginnend bei der Architektur und der Landschaft, werde es gegen Ende des Films intimer. Das Bett und das Bidet kämen ins Bild; gleichzeitig seien im Ton pikante Details aus dem Jet-Set-Leben von Monica Vitti und Michelangelo Antonioni zu erfahren. Brockmann, der in Erfahrung bringen konnte, dass Vitti zu dieser Zeit schon mit Antonionis Kameramann, Roberto Russo, liiert war, macht die Erwähnung eines gewissen Franco neugierig. Ein bisher unbekannter Liebhaber von Vitti? Filmemacher Sattel führt aus, er habe mit diesen Kontextualisierungen etwas über die Zeit Ende der 1960er-Jahre erzählen wollen. Vitti und Antonioni seien ein Traumpaar für die Klatschpresse gewesen – eine Fassade hinter der sich aber Beziehungsexperimente versteckten. Den Architekten Bini habe Vitti im noblen Fremdenverkehrsort Cortina kennengelernt, erzählt Sattel. Er sei von ihm im Rahmen der Recherche kontaktiert, aber später zur Begehung des Hauses nicht eingeladen worden, weil er befürchtet habe, Bini würde den Film dann an sich reißen.

Eine Entscheidung, die dazu führte, dass der gesprochene Text im Film größtenteils von der Verwalterin Giuseppina Isetta stammt. Sattels Ausführungen zur Protagonistin Isetta, stellen die Wahrnehmung, hier werde quasi aus dem Nähkästchen geplaudert, extrem in Frage. Natürlich wisse Isetta sehr viel, wenn nicht gar alles, über Vitti und Antonioni, denn sie war sehr eng mit dem Paar befreundet. Es sei aber von Anfang an unklar gewesen, ob Isetta überhaupt vor der Kamera sprechen würde. Eigentlich habe sie gar nicht in den Film gewollt. So deutet für Sattel alles darauf hin, dass ihre Teilnahme, die mit Rechercheurin Francesca Bertin spontan ausgehandelt wurde, eher zufällig war.

Oder war ihre Teilnahme eine Regie-Entscheidung von Isetta selbst? Folgt der Film hier ihrer ganz eigenen Agenda? Sattel schildert sie als Persönlichkeit mit schelmischem Charakter und merkt an, ihre immer wieder vorgebrachte Vergesslichkeit sei vielleicht nur vorgetäuscht gewesen. „Sie ist eine kluge Frau.“ Dann ist da noch die zuvor besprochene Schneisen-Szene, in der Isetta den Raum verlässt, als spiele sie eine Rolle in einem Antonioni-Film, und damit Bertin zu einer spontanen schauspielerischen Improvisation veranlasst. Gerade diese Szene kann Brockmann als einen Beleg für die besondere Produktivität dieser Protagonistin im Film akzeptieren. Sattel erinnert dann noch an Isettas Erzählung von der nächtlichen Angst Vittis. Diese lasse an Vittis Filmfiguren denken. Für Sattel, der in diesen Momenten mit der Kamera in der Beobachter-Perspektive verblieben war, erfüllten sich mit den detailreichen Bilder Isettas seine größten Hoffnungen auf eine Konversation zwischen Fakten und Fiktion.