Film

Die Geträumten
von Ruth Beckermann
AT 2016 | 89 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 40
11.11.2016

Diskussion
Podium: Ruth Beckermann
Moderation: Werner Ružička
Protokoll: Iris Fraueneder

Synopse

Zwei Schauspieler stehen um ein Mikrofon und artikulieren die lyrische Sprachlosigkeit des Briefwechsels zwischen Ingeborg Bachmann und Paul Celan – Zeugnis einer großen Liebe und einer unmöglichen Begegnung. Aufgeschriebene Sehnsucht, Fremdheit und Rührung tönen durch das Aufnahmestudio und finden zwischen den Sprechern leisen Widerhall. 

Protokoll

Idee und Drehbuch

Das Filmgespräch wird von Ružička mit der Frage eröffnet, wann Beckermann die Idee zu Die Geträumten gekommen sei. Rückblickend, meint diese, sei der Film eine logische Folge aus ihrem vorhergegangenen. Zwar habe sie das Buch, Herzzeit, bereits 2008 gelesen, doch an einen Film erst vor zwei Jahren gedacht, als sie in der Jury für einen Literaturpreis Ina Hartwig kennenlernte und mit ihr über den Briefwechsel sprach. Das Tonstudio hatte sie dabei von Beginn an im Kopf. Innerhalb von 4 Wochen entstand das Exposé, die Förderung wurde sogleich bewilligt. Die Arbeit am Drehbuch nahm ein volles Jahr in Anspruch, aber insgesamt war der Film anderthalb Jahre nach der Idee fertig. Wichtig sei ihr gewesen, Distanz zwischen den realen historischen Personen und den Texten zu schaffen, also kein Biopic oder einen historischen Spielfilm zu drehen. Ihre Schauspieler_innen sollten nicht Bachmann und Celan spielen. Sie treten als Sprecher_innen in einem Tonstudio auf, einem zeitlosen Ort, wo sie ausgewählte Stellen aus dem Briefwechsel lesen.

Ružička fragt zum Drehbuch, wieweit die Augenspiele etc. geplant oder zum Teil improvisiert gewesen seien. Das Sprechen des Textes, so Beckermann, war sehr genau geplant. Das Drehbuch habe dreihundert Seiten umfasst und sei aus rund 25 Fassungen hervorgegangen. Vieles kam aber auch ungeplant in den Film. Das Sofa etwa hatte sie zufällig im Büro nebenan gefunden, die James-Brown- Musik hatte Laurence Rupp gehört. So sehr Beckermann diese Dinge willkommen waren, so wenig hätte sie sie gezielt eingebracht, um etwa mit der Musik Paris-67-Assoziationen zu evozieren. Thematisch wie inszenatorisch war für Beckermann Reduktion ein Kernaspekt des Projekts. Viele Themen aus Herzzeit, wie Literaturkritik oder Kolleg_innenschaft, hatte sie bewusst nicht ins Drehbuch aufgenommen. Zentral sollten das Ringen um die Beziehung und der Ausdruck der Gefühle vor dem historischen Hintergrund der Zeit sein. Die Todesfuge war von Beginn an notwendigerweise im Konzept, die Gruppe 47 oder die Plagiatsaffäre sollten hingegen keine zentrale Rolle spielen. Celans Einsamkeit und seine Abhängigkeit von der deutschen Sprache und der deutschen Szene aber mussten deutlich werden.

Beim Auswählen und Zusammenstellen der Passagen und Sätze aus den einzelnen Briefen sei es Beckermann um Dialogisierung und Rhythmisierung gegangen. Die Chronologie wurde in der Collagierung aber durchwegs eingehalten.

Die Arbeit mit Plaschg und Rupp

Ružička fragt Beckermann nach ihrem Vorgehen bei der Wahl ihrer Schauspieler_innen und wie sie auf Soap&Skin-Sängerin Anja Plaschg gestoßen sei. Sie habe für die Besetzung unbedingt junge Leute mit österreichischer Sprache / „aus dem Hause Österreich“ (Bachmann) finden wollen, was ob der vielen Deutschen an den österreichischen Schauspielschulen nicht so leicht gewesen sei. Ihre Casterin, mit der sie bei der Suche zusammengearbeitet hatte, habe aber schnell an Plaschg gedacht. Sie selbst hatte sie dann um die Weihnachtszeit 2015 in einem Wiener Café kennengelernt und war sofort von ihrer Persönlichkeit, ihrer Aura beeindruckt. Die Frisur war damals weitaus extremer (Nachfrage Ružička). Bachmann hatte sie gebeten, die Haare etwas wachsen zu lassen – also im Sinne der generellen Reduktion auch „das Rasierte zu reduzieren.“

Auf Ružičkas Vermutung einer „duell-artigen Beziehung“ zwischen den beiden geht Beckermann nicht näher ein, dazu habe sie schon zu viele Interpretationen gehört. Aber sie gibt sich froh mit der Entscheidung, nicht zwei Schauspieler_innen engagiert zu haben. So bestand anstatt einer professionellen Beziehung eine gewisse Unsicherheit bzw. Schüchternheit im Verhältnis der beiden zueinander. Sie hatten einander zuvor auch nicht gekannt und erst langsam gegenseitiges Vertrauen entwickelt. Sie habe von seinen Schauspiel-Skills profitiert, er von ihrem intellektuellen Niveau. Sie die stärkere Aura mitgebracht, er sich während des Films mehr entwickelt. Die Reduktion war für ihn als Schauspieler natürlich die größere Herausforderung.

Konkret zum Dreh

Gedreht wurde ohne Proben. Die Dreharbeiten waren sehr intim und intensiv und Pausen sehr wichtig. Dass Plaschg und Rupp leidenschaftliche Raucher_innen sind, kam dem Film nicht zuletzt in diesem Zusammenhang sehr zugute.

Für Beckermann war der Film ein Experiment. Sie hatte den beiden Herzzeit nicht zum Lesen gegeben und das Drehbuch erst eine Woche vor Drehbeginn. Angesichts der großen Wirkung, die die Texte auf sie selbst gehabt hatten, habe sie herausfinden wollen, welche Wirkung sie auf Plaschg und Rupp haben würden. Ihr war es egal, ob die beiden Bachmann und Celan kannten, es ging ihr rein um ihre Verkörperung der Texte sowie darum, wie sich ihre Beschäftigung damit auf ihre Beziehung auswirken würde.

Die Locations (Kantine, Sendesaal etc.) waren im Vorhinein genau festgelegt, nicht jedoch, wann sie dort drehen würden. Dass im Sendesaal ausgerechnet Wolfgang Rihm geprobt wurde, dessen Musik optimal zur Stimmung des Films passt, war reiner Zufall. Auch die Pausendialoge waren frei.

Sie hatten immer mehrere Takes gedreht, wobei die Auswahl der Takes dann recht schnell ging.

Das Setzen der Pausen habe länger gedauert, die Stellen dafür waren nicht festgelegt.

Briefwechsel Bachmann-Celan und dessen audiovisuelle Übersetzung

Co-Autorin des Drehbuchs war mit Ina Hartwig eine Literaturwissenschaftlerin. Ob es Debatten zwischen ihr und Hartwig gegeben habe, möchte Ružička wissen – ob deren Blick auf die Texte ein anderer gewesen sei und mit ihrem Zugang konfligiert habe. Nein, meint Beckermann, Hartwig hielte genauso wenig von einer germanistischen Herangehensweise, wie sie selbst.

Im wiederholten Lesen der Briefe habe Beckermann einen immer neuen Blick auf Bachmann/Celan gewonnen. Ihre Sympathie sei dabei interessanterweise von Celan, dem realen Opfer, zu Bachmann gewandert, die versucht, sich auf die Seite der Opfer zu schreiben. Hartwig und Plaschg, die sich ebenfalls intensiv mit dem Briefkorpus befasst hatte, hätten hingegen mehr Probleme mit Bachmann gehabt. In der Arbeit am Drehbuch hatten sie sehr viel über ihre Sicht der beiden Charaktere, die Auswahl der Briefe und die damit einhergehende Gewichtung diskutiert.

Peter Ott stellt fest, dass Plaschg und Rupp immer sprechen, was sie als Bachmann bzw. Celan schreiben und sie nie in ihrer Leser_innenposition verkörpern. Er fragt, ob es mal eine Überlegung gewesen sei, die beiden auch die Briefe des Gegenübers laut lesen zu lassen. Beckermann verneint dies: Sie wollte Klarheit.

Michael Girke hätte sich mehr Verfremdung gewünscht. Die Distanz zum Damals hätte deutlicher gemacht werden sollen. Er hat ein Problem mit Rupps Sprechweise: „Wie die Gefühle damals artikuliert wurden, kollidiert mit der heutigen Sprache.“

Am Schluss des Filmgesprächs kommt eine Diskutantin darauf zurück und merkt an, dadurch wäre das Ganze ihrer Ansicht nach zu sehr zum Theaterstück geworden. Sie habe die fehlende Stilisierung bzw. Verfremdung gut gefunden. Auch läge ihrer Meinung nach das Dokumentarische des Films genau darin, einen Prozess zu verfolgen, Leuten bei der Arbeit zuzusehen.

Eine Überlegung von Till Brockmann fortführend, erläutert Beckermann: Bei einem Briefwechsel befinden sich Schreibende und Lesende nicht am selben Ort, im Film jedoch schon. Briefe in einem Buch zusammenzubringen, ist bereits Fiktion (vgl. Bertrand Badiou), denn eigentlich liegen sie in getrennten Archiven. Die Briefe in Körper und diese in denselben Raum zu bringen sieht sie als eine Weiterführung dieser Fiktion.

Details

Die Bluse & das Sofa

Jemand aus dem Publikum fragt: „Anja Plaschg trägt immer dieselbe Bluse. Wie lange haben Sie gedreht?“ Beckermann: „Acht Tage, mit drei Tagen Pause dazwischen. Da wurde diese Bluse gewaschen.“ Die größten Probleme mit der Bluse habe allerdings der Tonmann gehabt, weil die Seide so laut raschelte. Das aus diesem Grund angefertigte Baumwoll-Pendant konnte aber optisch nicht mithalten und wurde wieder eliminiert.

Ursprünglich wären drei Kostüme geplant gewesen, zwei fielen aber Beckermanns Reduktions- Wunsch zum Opfer und ihrer Überlegung, welche Überlegungen dann vom Publikum zum Kostümwechsel angestellt werden würden.

Peter Ott findet es irritierend, dass Plaschgs Kostüm so stark hervorsticht im Gegensatz zu Rupps. Es waren seine eigenen Jeans, und die auffälligen Schuhe ihre eigenen, erklärt Beckermann.

Das ORF Funkhaus …

… in der Argentinierstraße war im Herbst 1938 von Reichsstatthalter Baldur von Schirach eröffnet worden. Beckermann hatte mehrere Tonstudios besichtigt und sich für das ORF Funkhaus entschieden, obgleich sich für sie zunächst die intime Brief-Situation mit dessen Größe spießte. Inzwischen wurde der Verkauf des Hauses beschlossen.

Fenster und Wandbilder

Ružička mag die Idee, durch das Fenster zu filmen und lobt auch Details wie die Wandbilder als indirekte Kommentare. Sämtliche dieser Details scheinen ihm wie für den Film gedacht zu sein.

Die Autofahrt …

… hat Beckermann selbst mit dem Handy aus dem Taxi gefilmt. Sie habe eine Form finden wollen, mit dem Zeitraum der sechs Trennungsjahre umzugehen, bzw. auch einfach mal den Innenraum verlassen um wieder rein kommen zu können und die Spannung neu aufzubauen. Die Fahrt wurde später (auf Produzentinnenwunsch) ein zweites Mal schöner gedreht, sie habe aber ihre eigene Aufnahme bevorzugt.

Die Vorführung des Films …

… in Moskau führte zu Tränenausbrüchen und dem Wunsch nach einem Happy End.

… beim Festival Meridian Czernowitz (Celans Geburtsstadt) steht noch aus, ein Diskutant bietet auf Beckermanns Interesse hin die Vermittlung an, zumal er am kommenden Tag den Besuch der Leiterin von „Gedankendach“ erwartet, die das würde einrichten können. Wir sind gespannt.

Spekulationen

– Wäre heute, in Zeiten von Twitter und sms, eine solche Geschichte medial überhaupt noch möglich? Oder braucht es dazu die Verzögerungen der Post? (Ružička)

– Hatte Bachmann beim Verfassen ihrer Briefe die potentielle Publikation im Kopf, dachte sie an die künftige Einbindung der Briefe in ihr literarisches Werk, in die Literaturgeschichte? (Ružička)

(Till Brockmann glaubt das eher nicht.)

Abschließend fragt Ružička nach der Idee hinter dem letzten Bild der beiden im Flugzeug. Beckermann erwähnt dazu das eine, sehr bekannte und vielfach abgedruckte Foto, das Bachmann und Celan bei einem literarischen Abendessen zeigt. Nach dem Dreh hatte Hartwig zufällig in einem Wiener Antiquariat, wo sie ein Buch bestellt hatte, zahlreiche Bachmann-Fotos an der Wand entdeckt. Wie sich herausstellte, war es das Antiquariat ihres Neffen, Andreas Moser. Darunter sei auch dieses Bild gewesen, wohl aufgenommen im Wiener Prater oder einem Pariser Vergnügungspark – für Beckermann eine Rückkehr zum Glück des Anfangs.